E-Lkw: Bereit für die Überholspur?

Elektro-Lastwagen galten lange Zeit als unwirtschaftlich und nicht praxistauglich. Fortschritte bei der Batterietechnik könnten das ändern. So dürfte der Elektromotor nach dem Personenverkehr bald auch den Schwerverkehr effizienter machen.

7 Min.
blauer Lkw mit futuristischem Design

Als die Schweizer Traditionsbrauerei Feldschlösschen Ende 2013 einen Lastwagen mit reinem Elektroantrieb in den Testbetrieb nahm, sprach die Fachwelt von einer Neuheit. Tatsächlich war der 18-Tonner nach einer Umrüstung von Diesel auf Strom ein Novum, jedenfalls auf Schweizer Strassen. Und die Neuigkeit hatte einen weiteren Schweizer Bezug: Auch der Hersteller des Fahrzeugs, die E-Force One AG, kommt aus der Schweiz. An den folgenden Tests haben sich auch grosse Detailhändler wie Lidl beteiligt, die das neuartige Fahrzeug aufgrund seiner vergleichsweise noch begrenzten Reichweite vor allem auf der letzten Meile im Warentransport – also von den Warenlagern der Agglomerationen in die Verkaufsstätten – einsetzten.

Vorteile und Nachteile von Elektro-Lkw

Im direkten Vergleich mit herkömmlichen Lastwagen, die einen mit Diesel betriebenen Verbrennungsmotor nutzen, ist ein elektrisch angetriebener Lkw deutlich energieeffizienter. Das liegt am hohen Wirkungsgrad der Elektromotoren selbst, aber auch an der Tatsache, dass der Elektroantrieb während des Bremsens einen Teil der mechanischen Energie zurückgewinnt. Diese sogenannte Rekuperation macht einen E-Lkw gerade beim Stop-and-Go-Betrieb in städtischen Umgebungen sehr attraktiv. Sie schützt zudem vor dem Verschleiss, der beim Bremsen entsteht, und unterstreicht einen weiteren wichtigen Vorteil des Stromers: seine geringe Wartungsintensität. Weil der elektrische Antriebsstrang mit viel weniger beweglichen Teilen und in der Regel mit einem schalt- und kupplungsfreien Getriebe auskommt, sind Ausfallzeiten in der Werkstatt rar.

Ein rein elektrisch angetriebener Lkw ist deutlich energieeffizienter als ein Diesel-Lkw.

Reichweite und Ladezeit als Nachteil

Es gibt jedoch auch Nachteile. Weil elektrische Nutzfahrzeuge noch nicht weit verbreitet sind, kann eine Panne sehr teuer werden. Es kann vorkommen, dass die Ersatzteile oder gar die Spezialisten fehlen, die das nötige Fachwissen für die Reparaturen mitbringen. Daneben scheuen die Spediteure auch aus wirtschaftlichen Gründen vor dem Einsatz von Elektro-Lkw zurück. So sind die Anschaffungskosten nach wie vor höher als bei einem konventionellen Lastwagen. Der Preis der Batterien ist dabei einer der wesentlichen Kostenfaktoren. Auch die beschränkte Reichweite und der im Vergleich zum Auftanken eines Diesel-Lkw höhere Zeitbedarf für das Aufladen der Batterie machen einen wirtschaftlichen Betrieb je nach Einsatzgebiet schwieriger.

Investitionen in Infrastruktur nötig

Ein weiterer Aspekt, der beim Betrieb von E-Lkw für Schwierigkeiten sorgen kann, ist die Ladeinfrastruktur. «In der Logistik ist es entscheidend, dass die Stehzeiten der Fahrzeuge möglichst gering bleiben», sagt Andrea Vezzini. Er leitet das Zentrum für Energiespeicherung an der Berner Fachhochschule (BFH) und forscht mit seinem Team an der Wiederaufbereitung von E-Lkw-Batterien (siehe Aufklapp-Element). Während man bei einer längeren Fahrt mit einem Elektro-Personenwagen meist problemlos einen Zwischenstopp zum Aufladen einlegen könne, sei dies im Schwerverkehr undenkbar. «Die Batterie eines E-Lkw muss dann geladen werden, wenn das Fahrzeug ohnehin steht – also beim Löschen und Aufnehmen der Fracht und in der Nacht während der kurzen Ruhepause.» Um die Batterien während dieser kurzen Zeitfenster mit möglichst viel Energie zu versorgen, benötigen die Frachtterminals eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur sowie einen entsprechenden Ausbau der Anschlussleistung. Dies bedingt einige Investitionen, die wohl erst getätigt werden, wenn eine gewisse Anzahl E-Lkw im Einsatz steht.

Luftaufnahme eines Logistikzenters mit parkierten Lkw
Das Aufladen von E-Lkw wird auch an Frachtterminals erfolgen. Die dafür nötige Infrastruktur fehlt heute noch. (Bild: Pixabay/marcinjozwiak)

Wertvolle Second-Life-Nutzung

Zur Lösung dieses Problems könnten ausgerechnet die Batterien selbst beitragen. Auch wenn diese aufgrund des Alterungsprozesses der Zellen ihr «erstes Leben» in einem Lkw beenden müssen, haben sie noch ausreichend Speicherpotenzial für den stationären Einsatz – zum Beispiel in einem Logistik-Hub. Sie tragen so dazu bei, den Spitzenbedarf zu glätten, wenn viele Lkw gleichzeitig aufgeladen werden. So lassen sich die erheblichen Kosten für den Ausbau der Anschlussleistung reduzieren. Ausserdem können stationäre Speicher vor Ort produzierte Solarenergie zwischenspeichern, für deren Produktion die Dächer und Fassaden von Logistikzentren beste Voraussetzungen bieten. Mit der Energie der Mittagssonne lassen sich so auch am Abend oder nachts noch E-Lkw aufladen.

Kommt der Tesla Semi 2022 endlich?

Bei allen Widerständen darf man nicht vergessen, dass der technische Fortschritt bei der Batterietechnik in den letzten Jahren bereits viele vermeintliche Limiten überwunden hat. Im Personenverkehr ist das Elektroauto vom Stadtauto mit begrenzter Reichweite längst zum vollwertigen Verbrennerersatz geworden. Auch bei der Elektrifizierung des Schwerverkehrs sind weitere Fortschritte zu erwarten. Ein wichtiger Impuls dazu könnte – wie auch beim Individualverkehr – von Tesla kommen. Der kalifornische Autobauer hat bereits 2017 einen eigenen E-Lkw vorgestellt, den «Semi». Dessen Serienproduktion musste immer wieder verschoben werden, soll nun aber 2022 womöglich 2023 endlich beginnen.

Lkw mit Autos auf dem Anhänger
Der Tesla Semi auf Testfahrt im Einsatz als Autotransporter. (Foto: Tesla)

Neues Batterieformat

Auch wenn der Praxisnachweis noch aussteht, sind die angekündigten Leistungsdaten des Tesla Semi sehr attraktiv. Die Nutzlast von bis zu 36 Tonnen und die Reichweite von 480 respektive 800 Kilometern (je nach Batterievariante) zu einem Preis von 150’000 bis 180’000 Dollar wären gemäss Vezzini tatsächlich ein grosser Fortschritt für E-Lkw. Eine wichtige Rolle spielt dem Experten zufolge die Einführung eines neuen Batterieformats.

Die neu entwickelten Batterien haben eine höhere Energiedichte und damit ein geringeres Gewicht bei gleicher Speicherkapazität.

Andrea Vezzini, Leiter BFH-Zentrum Energiespeicherung

«Die neu entwickelten Batterien haben eine höhere Energiedichte und damit ein geringeres Gewicht bei gleicher Speicherkapazität», erklärt Vezzini. Zudem habe Tesla offenbar den Kobaltanteil reduziert und die Verbindung zwischen den Zellen und den Stromableitern im Gehäuse optimiert («tabless Design»). Das neue Batterieformat könnte dazu führen, dass die Batterien allgemein kostengünstiger und E-Lkw dadurch wettbewerbsfähiger werden.

Verschiedene Antriebe

Auf welchen Strecken und bei welchen Einsatzzwecken sich E-Lkw letztlich etablieren werden, ist aus Sicht von Andrea Vezzini noch offen. Der BFH-Fachmann schätzt auch den Wasserstoff als zukunftsfähige Antriebstechnik für den Schwerverkehr ein. «Wasserstoff hat den Vorteil, dass er sich langfristig speichern lässt», sagt er. Damit dürfte er eine wertvolle Ergänzung zu den Batterien sein, die sich für die kurzfristige Speicherung besser eignen. «Letzten Endes wird es für verschiedene Antriebssysteme Platz und Bedarf geben», ist Vezzini überzeugt.