Studie: Die Energiewende ist wirtschaftlich sinnvoll
Jahrelang war die vorherrschende Meinung, dass die Dekarbonisierung zusätzliche Kosten für Volkswirtschaften verursacht. Eine Studie der ETH Zürich kommt zum gegenteiligen Schluss: Die Energiewende lohnt sich für die Schweiz.
Im Sommer 2022 gelang US-Präsident Joe Biden nach zähen Verhandlungen doch noch der grosse Wurf: Mit dem «Inflation Reduction Act» will der Staat die Inflation bekämpfen. Der Hauptbestandteil des Programms sind Subventionen im Umfang von rund 370 Milliarden Dollar für Unternehmen, die in den USA in grüne Technologien investieren. Für jedes neu produzierte Elektroauto sollen die Hersteller beispielsweise eine Steuergutschrift von bis zu 7800 Dollar erhalten, sofern gewisse Anteile der Wertschöpfung im Inland generiert wurden. Dieser protektionistische Aspekt des Programms wurde zwar im Ausland kritisiert, doch für die Energiewende sind die Subventionsmilliarden sicherlich eine gute Nachricht, zumal sie auch hohe private Investitionen nach sich ziehen dürften.
Rekordinvestitionen in die Energiewende
Das Beispiel zeigt, dass immer höhere Summen in die Dekarbonisierung des Energiesystems investiert werden. Gemäss der Publikation Energy Transition Investment Trends 2023 stiegen die Investitionen zwischen 2004 und 2022 von 32 auf 1100 Milliarden Dollar (siehe Grafik). Der grösste Teil davon entfällt auf die Elektrifizierung der Mobilität und die Produktion erneuerbarer Energien.
Wie viel kostet die Energiewende?
Lange Zeit gingen Fachleute davon aus, dass die Investitionen in die Transformation der Energiesysteme aus volkswirtschaftlicher Sicht Mehrkosten verursachen. Berechnungen von Anfang der 2000er-Jahre zum Beispiel sagten voraus, dass die Weltwirtschaft wegen der Ausgaben für die Energiewende bis 2050 um rund 10 % schrumpfen wird. Zwar wurde dieser Wert in neueren Publikationen immer wieder nach unten korrigiert. Der Konsens blieb aber: Die Dekarbonisierung schwächt das Wirtschaftswachstum.
CO2-Abgaben bremsen das Wachstum
2022 berechnete der Weltklimarat IPCC einen jährlichen Rückgang von 0,04 % der globalen Wirtschaft. Auch für die Schweiz vermeldete eine im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) durchgeführte Studie, dass durch die Energiewende mit einem leicht verminderten Wirtschaftswachstum zu rechnen sei. Dass Untersuchungen immer wieder negative Effekte prognostizierten, ist unter anderem auf die Annahme zurückzuführen, Menschen seien nur durch hohe CO2-Abgaben zu Investitionen in erneuerbare Energien zu bewegen. Weil solche Abgaben aber die Preise erhöhen und damit das Wachstum bremsen, resultierte in den Simulationen jeweils ein Rückgang der Wirtschaftsleistung. (Die Kosten, die durch die Klimaschäden entstehen, sind in der Studie nicht berücksichtigt.)
Dank Förderung: höhere Investitionen als erwartet
Viele Staaten setzen jedoch auf Subventionen und Vorschriften, um die erneuerbaren Energien zu fördern, und weniger stark auf Steuern und Abgaben. Staatliche Förderungen und Vorgaben haben den Vorteil, dass sie die Energiepreise weniger stark beeinflussen als zusätzliche Abgaben. Dies zeigte Wirkung: Die Investitionen waren höher als prognostiziert und die Kosten für den Ausbau von Photovoltaik und Co. sanken schneller als vorhergesagt.
ETH-Studie: Schweiz profitiert von Energiewende
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die volkswirtschaftlichen Kosten der Energiewende? Dieser Frage ist eine im Oktober 2022 veröffentlichte Studie des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich nachgegangen. Die Forschenden simulierten Strommarktpreise und Handelsströme und verglichen in Form von zwei Szenarien, wie sich die Kosten für ein klimaneutrales Energiesystem in der Schweiz bis 2040 entwickeln könnten. Das erste Szenario basiert darauf, dass die Schweiz weiterhin Anschluss an das europäische Stromnetz hat und entsprechend intensiven Stromhandel betreiben kann. Das zweite Szenario geht dagegen von einem begrenzten Stromhandel mit den europäischen Nachbarn aus, was aufgrund der unklaren Entwicklung der Schweizer Europapolitik ebenfalls möglich ist.
Szenario 1: Reger Stromhandel
Bleibt die Schweiz im europäischen Strommarkt, kann sie wie gewohnt im Sommer Strom exportieren und im Winter importieren. Die ETH-Forschungsgruppe nimmt an, dass die Importe insgesamt leicht ansteigen werden. Die Simulation für dieses Szenario ergab tiefere Strompreise als heute, aber insgesamt höhere Ausgaben von ungefähr 500 Millionen Franken. Diese sind auf die Elektrifizierung des Verkehrs (mehr E-Fahrzeuge) und der Wärmeversorgung (mehr Wärmepumpen) zurückzuführen. In diesem Szenario spart die Schweiz aber auch etwa 2,5 Milliarden Franken an Energiekosten, weil kein Erdgas und Heizöl sowie keine Treibstoffe mehr importiert werden müssen. Summa summarum würden die Schweizer Energieausgaben bei diesem Szenario um ungefähr 2 Milliarden Franken pro Jahr oder 200 Franken pro Kopf sinken.
Szenario 2: Eingeschränkter Stromhandel
Derzeit (Anfang 2023) besteht kein gültiges Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU, was im Stromhandel gewisse Einschränkungen mit sich bringt. Sollte sich langfristig keine Einigung erzielen lassen und die Schweiz 2040 nur begrenzt Strom aus dem europäischen Ausland importieren können, muss sie selbst mehr in die erneuerbare Stromproduktion investieren. Die Stromkosten lägen in diesem Fall rund 40 % höher als bei einer engen Anbindung an den europäischen Markt, wie sie in Szenario 1 angenommen wird. Ungefähr gleich hoch wären die Einsparungen aber bei den fossilen Energieträgern, sodass aus volkswirtschaftlicher Sicht insgesamt dennoch weniger Geld für Energie ausgegeben werden müsste.
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Die Resultate der ESC-Studie sind bisher noch nicht von einer Fachpublikation überprüft worden. Eine ebenfalls letzten Herbst veröffentlichte Studie der Universität Oxford kommt aber zu ähnlichen Ergebnissen. So sollen die Energiekosten für ein klimaneutrales Energiesystem bis 2040 ungefähr 20 % tiefer liegen, als wenn keine Dekarbonisierung stattfindet. Dies deckt sich mit der Kernaussage der ETH-Forschenden: Die Volkswirtschaft profitiert direkt von den Investitionen in das erneuerbare Energiesystem der Zukunft – und zusätzlich wohl auch indirekt durch sinkende Energiekosten. Damit gibt es nebst dem Umweltschutz ein gewichtiges Argument mehr, den Umbau unserer Energieversorgung voranzutreiben.
Hier steht eine Simulation zur Diskussion. Dabei entscheiden die verwendeten Parameter massgeblich über den Ausgang. Nicht zu verwechseln mit einer Studie, die faktische Daten auswertet.
Eine Studie ist eine wissenschaftliche Untersuchung. Auch für das Studium von Szenarien, die sich auf die Zukunft beziehen, wird mit faktischen Daten gearbeitet. Weil Daten aus der Zukunft nicht zur Verfügung stehen, greift man auf Daten aus der Vergangenheit zurück. Zusätzlich sind Annahmen über die zukünftigen Entwicklungen sowie über Wechselwirkungen in komplexen Systemen notwendig, die in Modellen und Parametern festgehalten werden. Wir finden es sinnvoll, dass für die hier vorgestellte Studie Szenarien mit unterschiedlichen Annahmen simuliert wurden.
Otto Schärer
Vor 1 Jahr
Was ist den mit dem teuren Atomstrom den wir aus Frankreich kaufen müssen?
Der Strompreis wird nicht von einem Land oder einer einzelnen Erzeugungsart bestimmt, sondern vom teuersten Kraftwerk, das benötigt wird, um den Bedarf zu decken. Das waren in letzter Zeit Kohle- und Gaskraftwerke. Die Erfahrung zeigt, dass der wachsende Anteil erneuerbarer Energien (Photovoltaik, Windkraft) dazu beiträgt, die durchschnittlichen Börsenpreise zu senken. Mehr dazu: https://www.ekz.ch/de/blue/wissen/2021/was-versteht-man-unter-der-merit-order.html
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Kommentare: Was denken Sie?
Samuel Rath
Vor 1 Jahr
Hier steht eine Simulation zur Diskussion. Dabei entscheiden die verwendeten Parameter massgeblich über den Ausgang. Nicht zu verwechseln mit einer Studie, die faktische Daten auswertet.
Thomas Elmiger
Vor 1 Jahr
Eine Studie ist eine wissenschaftliche Untersuchung. Auch für das Studium von Szenarien, die sich auf die Zukunft beziehen, wird mit faktischen Daten gearbeitet. Weil Daten aus der Zukunft nicht zur Verfügung stehen, greift man auf Daten aus der Vergangenheit zurück. Zusätzlich sind Annahmen über die zukünftigen Entwicklungen sowie über Wechselwirkungen in komplexen Systemen notwendig, die in Modellen und Parametern festgehalten werden. Wir finden es sinnvoll, dass für die hier vorgestellte Studie Szenarien mit unterschiedlichen Annahmen simuliert wurden.
Otto Schärer
Vor 1 Jahr
Was ist den mit dem teuren Atomstrom den wir aus Frankreich kaufen müssen?
Thomas Elmiger
Vor 1 Jahr
Der Strompreis wird nicht von einem Land oder einer einzelnen Erzeugungsart bestimmt, sondern vom teuersten Kraftwerk, das benötigt wird, um den Bedarf zu decken. Das waren in letzter Zeit Kohle- und Gaskraftwerke. Die Erfahrung zeigt, dass der wachsende Anteil erneuerbarer Energien (Photovoltaik, Windkraft) dazu beiträgt, die durchschnittlichen Börsenpreise zu senken. Mehr dazu:
https://www.ekz.ch/de/blue/wissen/2021/was-versteht-man-unter-der-merit-order.html