Das lange Leben der (E-) Autos – unterwegs in die Kreislaufwirtschaft
E-Autos sind die besseren Autos fürs Klima. Jedenfalls, wenn man sie mit Verbrennern vergleicht. Doch muss ein Umstieg weg von Benzin und Diesel ein neues Auto bedeuten? Und wann kommt eigentlich das Kreislauf-Auto?
In Teil 1 dieser Miniserie sind wir der Frage nachgegangen, welche Klimabilanz der Umstieg vom Verbrenner aufs E-Auto hat. Kurz zusammengefasst: In fast allen Fällen ist man nach dem Umstieg langfristig klimafreundlicher unterwegs als vorher. Allerdings bleibt da noch ein alter Verbrenner übrig, der unter Umständen irgendwo auf der Welt weiter Emissionen verursacht. Muss das sein? Nein, es gibt noch andere Ansätze neben «Ersetze klimaschädliches Auto durch klimafreundliches».
Wenn es nur auf den Antrieb ankommt …
Der Vorteil von E-Autos ist aus Sicht der Klimabilanz der emissionsfreie Betrieb. Wenn sie noch dazu mit Strom aus erneuerbaren Energien geladen werden, sind auch die indirekten Emissionen des Betriebs vernachlässigbar. Die Klimabilanz von E-Autos trübt lediglich deren Produktion. Warum also nicht einfach nur den Antrieb des alten Verbrenners tauschen, sodass Karosserie, Fahrgestell und so weiter – in der Fachsprache «Glider» genannt – nicht noch einmal hergestellt werden müssen?
E-Retrofitting: Verbrennermotor und Tank raus, E-Antrieb und Akku rein.
Verbrennermotor und Tank raus, E-Antrieb und Akku rein: Dieser Ansatz nennt sich E-Retrofitting, und er wird immer stärker beachtet. Auch, weil namhafte Hersteller mitziehen – doch dazu weiter unten.
Klimabilanz und Potenzial von E-Retrofitting
Für das E-Retrofitting sprechen vor allem zwei Aspekte. Der eine ist die geringere Ressourcen- und Energieintensität verglichen mit dem Neukauf eines kompletten Autos. Gemäss einem Bericht der European Federation for Transport and Environment (T&E) von 2024 verursacht ein Fahrzeug mit Elektro-Retrofitting gegenüber einem neuen E-Auto über die gesamte Lebensdauer rund 40 Prozent weniger Emissionen. Gegenüber einem Verbrenner, der weitergefahren wird, liegt der Vorteil bei 70 Prozent.
Der zweite Aspekt betrifft den Automarkt. E-Retrofitting kann helfen, schnell genügend elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Denn selbst wenn die Verkaufszahlen der E-Autos in der Schweiz und in Europa weiter zunehmen, ist das Ziel von Netto-Null-Emissionen im Verkehr bis 2050 noch in weiter Ferne. Gemäss dem T&E-Bericht dürften im Jahr 2035 auf dem europäischen Gebrauchtmarkt etwa 14 Millionen E-Autos fehlen. Das durchschnittliche gebrauchte E-Auto wird dann 4 Jahre alt sein und 20’000 Euro kosten.
Analyse zeigt Potenzial für bis zu 210 Millionen E-Retrofit-Fahrzeuge bis 2050.
Im Bericht werden verschiedene Szenarien aufgezeigt, wie sich E-Retrofit-Fahrzeuge im europäischen Automarkt etablieren könnten. Im konservativsten Szenario gäbe es in Europa 8 Millionen E-Retrofit-Fahrzeuge. Diese wären vor allem Oldtimer, also einfach umzurüstende Liebhaberautos. Im ambitionierten Szenario gäbe es 210 Millionen E-Retrofit-Fahrzeuge bis 2050. Dieser Ansatz würde verschiedene politische Massnahmen bedingen, die günstige (umgebaute) E-Autos fördern.
Woran E-Retrofitting noch krankt
Wer sich für E-Retrofitting interessiert, bemerkt unweigerlich zwei Dinge. Erstens: E-Retrofitting ist heute eine vergleichsweise teure Nische. Es tauchen immer wieder Anbieter auf, die das ändern wollen. Eines der jüngsten Beispiele ist das deutsche Startup E-Revolt, das ab 2025 standardisierte Umbausätze verkaufen will, mit denen sich handelsübliche Fahrzeuge in kurzer Zeit umrüsten lassen. Die Kosten sollen bei 12’000 bis 15’000 Euro liegen – weniger als ein neues E-Auto, aber deutlich mehr als ein gebrauchter Verbrenner. Die Reichweite soll etwa 250 Kilometer betragen. Wenig, gemessen an heutigen E-Autos, aber den Platzverhältnissen in Verbrennerautos geschuldet, die nicht für die Aufnahme einer Batterie konzipiert wurden.
Seine Nische gefunden hat Uwe Koenzen. Die Umrüst-Kits seiner Firma B&K Classic eCars kosten bis zu 75’000 Euro inklusive Strassenzulassung. DW stellte den deutschen Unternehmer in einem sehenswerten Filmbeitrag (17 Minuten) sowie in einem Artikel mit Text und Bildern vor.
Subventionen für die E-Auto-Umrüstung
In Frankreich bietet Renault mit einer Partnerfirma E-Retrofitting für ältere Modelle an. Für knapp 14’000 Euro erhält der alte R5 eine elektrische Reichweite von 90 Kilometern. Nochmals weniger, dafür ist der alte Kultwagen in dreieinhalb Stunden geladen, an der 220-Volt-Steckdose. Der Blick nach Frankreich offenbart das zweite Manko von E-Retrofit: Es gibt keinen internationalen Markt, noch nicht einmal einen europäischen.
Viele Länder kennen keinen standardisierten Zulassungsprozess für umgerüstete Verbrennerautos. Frankreich, wo es für E-Retrofitting sogar Unterstützungsbeiträge gibt, ist eine Ausnahme, ebenso Deutschland, die Niederlande und Grossbritannien.
E-Retrofit in der Schweiz
In der Schweiz fristet E-Retrofit ein Nischendasein. Zwar gibt es auch hierzulande Ateliers, die Fahrzeuge umrüsten. Allerdings sind dies vor allem alte Liebhabermodelle. Einerseits haben diese oft wenig oder keine Fahrzeugmechatronik, die an den neuen Antrieb angepasst werden müssten. Andererseits haben die Old- und Youngtimer für ihre Besitzerinnen und Besitzer einen emotionalen Wert, der kostspielige und langwierige Umbauten relativiert. Denn auch in der Schweiz gibt es keine automatische Zulassung für E-Retrofits. Jedes umgebaute Fahrzeug muss einzeln vorgeführt, technische Nachweise müssen für einzelne Bauteile erbracht werden.
Die Berner Fachhochschule wollte beweisen, dass es günstiger und einfacher geht. Studierende haben einen Audi A2 umgerüstet, der fortan von einem Motor aus einem Nissan Leaf und der Batterie eines Mitsubishi iMiEV angetrieben wird. Allerdings wurde das Ziel des Projekts, eine Strassenzulassung zu erhalten, nicht erreicht. Die Batterie hätte zum Nachweis ihrer Sicherheit zerstört werden müssen.
Solche Tests sollen zukünftig entfallen und die Zulassung einfacher werden, fordert nun die Politik. Eine entsprechende Motion wurde im März 2024 zunächst vom Nationalrat und danach vom Ständerat angenommen. Nun ist der Bundesrat gefordert.
Mit dem Auto in die Kreislaufwirtschaft
E-Retrofitting ist ein Ansatz, den Autoverkehr emissionsärmer zu machen – nicht nur im Betrieb, sondern auch im Bezug auf die Emissionen, die mit der Fahrzeugherstellung verbunden sind. Denn die Autoindustrie ist noch weit von der Kreislaufwirtschaft entfernt, verbraucht also stetig neue Rohmaterialien, anstatt alte Werkstoffe wiederzuverwenden.
Die Automobilindustrie ist für rund 10 Prozent des weltweiten Materialverbrauchs verantwortlich.
Gemäss einer aktuellen Studie des Beratungskonzerns Bain & Company ist die Automobilindustrie für rund 10 Prozent des weltweiten Materialverbrauchs verantwortlich. Zwar seien in Europa aufgrund strenger Gesetze die Recyclingraten vergleichsweise hoch. Dennoch stammten nur 23 Prozent aller für die Fertigung eingesetzten Materialien aus dem Recycling. Bis 2040, so die Studie, könnte diese Zahl auf 59 Prozent wachsen.
Eine wichtige Rolle bei der Auto-Kreislaufwirtschaft der Zukunft spielt der Umgang mit alten Batterien. Dies, weil ihre Herstellung einerseits sehr energie- und materialintensiv ist, und andererseits, weil die verwendeten Rohstoffe bei steigender Nachfrage zunehmend knapp werden dürften. Recycling kann dieses Problem zumindest teilweise entschärfen. Eine Studie des Beratungsunternehmens Strategy& schätzt, dass sich in der EU bis 2040 die Menge des Recyclingmaterials, das in der Batteriefertigung eingesetzt wird, verzehnfacht. Bis etwa 2030 wird vor allem Ausschussmaterial aus sogenannten Gigafactories den grössten Anteil am Recyclingmaterial ausmachen, danach ausgediente Batterien aus Fahrzeugen.
Schweizer Ansatz beim Autorecycling
Neben Batterien enthalten auch der Elektromotor und andere Elektronikkomponenten wichtige Rohstoffe wie Neodym oder Palladium. Deshalb arbeitet die EU gerade an einer Altautorichtlinie, unterstützt durch Forschende der Empa. Der «Schweizer Ansatz» sieht vor, sowohl den Motor als auch bestimmte elektronische Komponenten vor der endgültigen Verschrottung eines Autos auszubauen. Bisher ist dies nicht der Fall, und viele Rohstoffe gehen verloren.
Fazit: Der Umstieg aufs E-Auto ist erst der Anfang
Wer sein Auto ersetzen will, kommt aus Sicht der Klimaauswirkungen nicht an einem E-Auto vorbei. Dies hat der erste Teil dieses Beitrags aufgezeigt. Wer darüber hinaus den Fussabdruck seines Fahrzeuges möglichst gering halten will, muss sich in der Schweiz vorerst noch etwas gedulden (wenn nicht ein Oldtimer, etwas Zeit und deutlich mehr Geld vorhanden sind). E-Retrofitting ist zwar ein sinnvoller, aber noch nicht massentauglicher Ansatz. Durchsetzen dürfte er sich, wenn die Unterstützung durch die Politik und vor allem durch die Automobilindustrie zunimmt. Letztere sollte sich ganz allgemein in Richtung Kreislaufwirtschaft entwickeln, nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes. Für Autofahrerinnen und Autofahrer zeichnet sich allerdings ab: Ihr Markt dreht sich in Zukunft um den Elektroantrieb.
Ich denke nicht, dass dies wirklich Sinn macht. Wir haben einen bald 10-jährigen Kia Soul EV mit 27 kWh-Batterie. Nur schon der Ersatz dieser Batterie 1:1 soll 20’000 Fr. kosten. Da kann der Einbau nicht nur der Batterie, sondern der ganzen Hochvolt-Elektrik in ein nicht dafür vorgesehenes Auto kaum billiger sein, abgesehen davon, dass dann eben die Batterie bedeutend kleiner ist – wie dann auch die Reichweite.
Kommentare: Was denken Sie?
Stefan B.
Vor 2 Wochen
Ich denke nicht, dass dies wirklich Sinn macht. Wir haben einen bald 10-jährigen Kia Soul EV mit 27 kWh-Batterie. Nur schon der Ersatz dieser Batterie 1:1 soll 20’000 Fr. kosten. Da kann der Einbau nicht nur der Batterie, sondern der ganzen Hochvolt-Elektrik in ein nicht dafür vorgesehenes Auto kaum billiger sein, abgesehen davon, dass dann eben die Batterie bedeutend kleiner ist – wie dann auch die Reichweite.