Ein Solarauto für die Massen

Solarauto? Für viele ruft dieses Stichwort höchstens den Gedanken an einen Spielzeug-Bausatz oder vielleicht eine Erinnerung an den Elektrofachmarkt hervor. Aber eine junge Firma aus München meint mit Solarauto ein echtes, strassentaugliches und dazu noch erschwingliches Personenfahrzeug.

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Ein Auto mit in die Karrosserie integrierten Solarpanels, das sich während der Standzeit teilweise selber auflädt? Ja, genau das wollen die jungen Gründer des deutschen Startups Sono Motors realisieren. Das mag gar zu optimistisch klingen, aber die Vision könnte bereits 2019 als fassbare Realität auf die Strasse kommen.

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Ende Juli stellte Sono Motors der Öffentlichkeit in München einen Prototyp ihres Solarautos SION vor. Der Anlass folgte nach vier Jahren Entwicklungsarbeit und einer Crowdfunding-Kampagne, bei der 700‘000 Euro für den Bau des Prototyps zusammenkamen. Sono hatte bis dahin zwei Modelle in der Pipeline, aber die Ergebnisse der Marktforschung schienen vor allem für das grössere Modell zu sprechen. Die Sono-Gründer wollen nun dieses Modell weiterverfolgen und bis 2019 die ersten Autos liefern. Der Preis soll den SION massentauglich machen: 16‘000 Euro soll das solare Gefährt ohne Batterie kosten. Diese könne entweder miterworben oder gemietet werden. Der Kaufpreis für den Energiespeicher soll laut Sono maximal weitere 4000 Euro betragen. Erste Kaufinteressenten haben sich bereits gemeldet. «Zurzeit haben wir circa 2000 Reservierungen», sagt Navina Pernsteiner von Sono Motors.Für den Start der Serienproduktion benötige die Firma allerdings mindestens 5000 Vorbestellungen. Deshalb befindet sich der SION zurzeit auf Probefahrtentour mit Stationen in zwölf europäischen Städten. Vom 24. bis zum 27. Oktober 2017 kann der Solarpionier, der inzwischen von institutionellen Investoren getragen wird, auch in Zürich getestet werden. Anmeldungen nimmt Sono Motors auf ihrer Website in der Rubrik Test- Fahrten entgegen.

Fahrende PV-Module

Der SION verfügt über 330 integrierte Solarzellen mit einer Gesamtfläche von 7,5 Quadratmetern, die über das Dach, die Seiten, das Heck und die Motorhaube verteilt werden. Die Photovoltaikzellen mit einem Wirkungsgrad von satten 24 Prozent sollen die Batterie an sonnigen Tagen mit genügend Energie für 30 Fahrkilometer versorgen. Selbst bei Bewölkung würde die eingefangene Solarenergie nach Angaben von Sono für 15 Fahrkilometer ausreichen. Insgesamt verspricht Sono Motors für den SION eine Reichweite von 250 Kilometern mit einer Batterieladung.

Man kann den Sinn von Solarzellen an den Seiten des Autos hinterfragen. Aufgrund des schrägen Einfallswinkels ist dort die Sonnenlicht-Ausbeute pro Fläche gering. Aber den jungen Unternehmern scheint das kein grosses Kopfzerbrechen zu bereiten. «Wir wollen an dem SION einen möglichst grossen Teil der Fläche für die Photovoltaik nutzen», sagt Pernsteiner auf Anfrage.

Sparsam dank Leichtbauweise

Maximiert werden soll auch die Energieeffizienz: Der SION ist mit 1400 Kilogramm Gewicht als Leichtbau-Auto konzipiert. Dafür sorgen der Alurahmen und das Fahrgehäuse aus dem leichten Kunststoff Polycarbonat, das man etwa von Reisekoffern kennt. Die Polycarbonat- Hülle bietet auch den darunterliegenden Solarzellen Schutz vor Wind und Wetter. Die Leichtbauweise des SION muss sich noch in den bisher ausstehenden europäischen Crashtests bewähren, aber das Team von Sono ist zuversichtlich. «Wir setzten viele Bauteile von anderen Herstellern ein, die bereits Crashtests bestanden haben», sagt Navina Pernsteiner.

Überhaupt sieht sich Sono Motors gar nicht als Autobauer im herkömmlichen Sinne, sondern lediglich als Designer des innovativen Fahrzeugs. Mit der Serienfertigung des SION, falls diese zustande kommt, wollen sie einen europäischen Hersteller beauftragen. Auch was den Service angeht, geht Sono ungewohnte Wege. Ein öffentlich verfügbares Werkstatthandbuch und Online-Tutorials sollen es jedem Garagisten ermöglichen, Reparaturen und Wartungsarbeiten durchzuführen. Offen bleibt jedoch, wie ein Ersatz bereitgestellt wird, wenn der SION wegen einer Panne auf der Strasse liegen bleibt.

Ein Auto zum Teilen

Was den SION zudem besonders macht, ist seine konsequente Ausrichtung auf die modernen Nutzungsvorlieben der jüngeren Generation. Die „Sharing economy“ ist hier Programm. Teilen kann man beim Solarauto zum einen die im Akku gespeicherte Energie. Dank bidirektionaler Ladetechnik kann das Ladegerät sowohl die eigene Batterie als auch diejenige eines anderen Autos oder sogar eines beliebigen Elektrogeräts aufladen. Damit bietet sich das Solarauto als eine mobile Ladestation an, die etwa Campingliebhaber zu schätzen wissen dürften. Das Teilen von Energie ist aber auch Bestandteil des Geschäftsmodells, denn SION-Besitzer sollen ihre Batterieladung mittels einer App an «Stromtankende» verkaufen können. Und dann ist nicht nur der Akku, sondern das ganze Auto zum Teilen konzipiert. Über eine Carsharing-App lässt sich der SION an Dritte vermieten. Auch Mitfahrgelegenheiten sind für Interessierte buchbar.

Moose als grüne Luftfilter

Obwohl das Solarauto Ökologie zum obersten Gebot erhebt, soll es dem Fahrer ein Minimum an Komfort nicht vorenthalten. Heizung und Klimaanlage sind in der Ausstattung inbegriffen. Eine buchstäbliche grüne Note liefert das System zur Filterung. Dafür sorgen Moose, die in einem Streifen quer über die gesamte Breite des Armaturenbretts platziert sind. Die lebenden Moose sollen einen Teil des Feinstaubs aus der Kabinenluft filtern und sich mit der im Autoinnern vorhandenen Luftfeuchtigkeit regenerieren.

Der Trend zum günstigen E-Auto

Doch bei aller technischen Coolness – was den SION in der Autobranche aufsehenerregend macht, sind die erstaunlich tiefen Entwicklungskosten. Berichten zufolge hat Sono Motors bisher nur einen einstelligen Millionenbetrag in das Auto investiert. Bei einem anvisierten Kaufpreis von 20‘000 Euro inklusive Batterie tritt das Solarauto preislich in die Fussstapfen des europaweit meistverkauften Elektroautos, des Renault Zoe, der in der Schweiz ab einem Einstiegspreis von 21‘900 Franken zu haben ist. Und der SION ist nicht einmal allein im Rennen um den elektromobilen Massenmarkt. Auch in Deutschland arbeitet zurzeit die der Deutschen Post angehörende Firma e.Go an einem E-Auto, das ebenfalls für rund 16‘000 Euro zu erwerben sein soll. Die in Deutschland gültige Subvention für E-Fahrzeuge würde diesen Preis sogar um weitere 4000 Euro verringern. Die Debatte darüber, ob es an der Reichweite oder am Preis liegt, dass E-Autos noch so wenige Käufer finden, könnte bald beendet sein. Der Geschäftsführer von e.Go hat dazu kürzlich in einem Interview seine Sicht der Dinge klar geäussert. Für ihn liege die noch kleine Marktpräsenz von E-Autos eindeutig am Preis.

Auch die Deutsche Post will mit ihrer Tochterfirma e.GO im Geschäft der günstigen Elektroautos mitmischen. Als ihr erstes E-Fahrzeug soll das e.Go Life bereits 2018 auf den Markt kommen. (Quelle: e.GO)

Interessant zu beobachten wird in dieser Hinsicht die Entwicklung in China sein. Dort kommt gerade ein E-Auto auf den Markt, das umgerechnet rund 4500 Franken kosten soll. Der Boujan E100 ist kleiner als ein Smart, von spartanischer Ausstattung und mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde unterwegs. Ein Export des Wagens nach Europa oder in die USA ist zwar nicht vorgesehen. Aber auch dieses chinesische Fabrikat dürfte ein starkes Signal an die etablierten Autobauer senden. Die elektrisch angetriebene Mobilität könnte früher als gedacht zum Massenphänomen werden.