Abkehr von fossiler Energie: Welche Verbote sind wirksam und fair?
Es gibt verschiedene Strategien, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Was aber, wenn das nicht reicht? Verbote sind eine mögliche Lösung. Sie müssten aber nicht nur wirksam sein, sondern auch fair.
Forschende der Universität Genf haben verschiedene Verbotskonzepte für Autos und Heizungen mit fossilen Brennstoffen untersucht. Diese sollten aber nicht nur wirksam sein, sondern auch gerecht.
Die Abkehr von fossilen Brennstoffen ist äusserst wichtig für die Klimawende, gerade im privaten Verkehr und beim Heizen in Wohngebäuden. In der Schweiz gibt es heute diverse Massnahmen und Instrumente, um diesen Wandel voranzutreiben und Treibhausgasemissionen zu reduzieren: CO2-Abgabe und Mineralölsteuer, aber auch Subventionen, Förderprogramme und diverse Vorschriften.
Studie zu Verboten
Was aber, wenn diese Strategien nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen? Das haben sich auch Alexandre Torné und Evelina Trutnevyte von der Universität Genf gefragt. Für ihre Studie untersuchten die Forschenden deshalb verschiedene Verbotskonzepte für Autos und Heizungen mit fossilen Brennstoffen. Ihre Ergebnisse haben sie im Februar 2024 im Fachmagazin Energy Research & Social Science publiziert.
Torné und Trutnevyte wollten dabei nicht nur wissen, wie effizient solche Verbote zur Emissionsminderung beitragen würden. Sie bewerteten die verschiedenen Optionen auch danach, wie gerecht und fair diese wären: Welche Haushalte würden von den Verboten am stärksten getroffen? Wem fiele die Umstellung auf nachhaltigere Mobilitäts- und Heizalternativen besonders schwer? Wie sähe ein erfolgreicher Kompromiss zwischen dem Potenzial zur Emissionsminderung und der Verteilungsgerechtigkeit in der Gesellschaft aus?
Dänemark und Norwegen als Vorreiter
Gas- und Ölheizkessel sind in einigen Ländern heute schon verboten: So untersagen etwa Österreich, Belgien und die Niederlande deren Installation in neuen Gebäuden, in der Form von strengen Effizienzstandards zum Beispiel oder indirekt durch das Verbot von Gasnetzanschlüssen. In Deutschland oder Griechenland dürfen alte Heizkessel zum Teil auch in bestehenden Gebäuden nicht mehr durch Anlagen mit fossilen Brennstoffen ersetzt werden.
Noch strenger sind Dänemark und Norwegen: Seit 2016 verpflichtet Dänemark alle Gebäude in Fernwärmegebieten, sich an ein Fernwärmenetz anzuschliessen oder zum Heizen auf erneuerbare Energien umzusteigen. In der Praxis komme dies einem Verbot für Heizkessel mit fossilen Brennstoffen gleich, schreiben Torné und Trutnevyte in ihrer Arbeit. Norwegen hat 2020 die Verwendung von Öl zum Heizen für alle Gebäude verboten. Das bedeutet, dass auch noch funktionierende Anlagen ersetzt werden müssen.
Vorschriften in der Schweiz meist auf kantonaler Ebene
In der Schweiz sind Ausstiegsregulierungen bisher kantonale Angelegenheit. So haben sich 2022 zwölf Kantone dazu verpflichtet, Elektro-Direktheizungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt durch andere Wärmequellen zu ersetzen. Wobei dieses Datum vielerorts auf nach 2030 angesetzt ist, wie die beiden Forschenden aus Genf anmerken. Einige Kantone fordern ausserdem den Ersatz kleiner Elektroheizungen.
Es gibt auch hierzulande Vorreiter mit konkreten Verboten von neuen Heizanlagen mit fossilen Brennstoffen, etwa Basel, Genf oder Zürich (siehe Aufklapptext). Verbote für bestehende Anlagen kennt die Schweiz dagegen bis anhin nur bei Elektroheizungen. Der Vorschlag des Bundesrats für ein landesweites Verbot von Heizanlagen mit fossilen Brennstoffen ab 2029 – für den Fall, dass die Emissionsreduktionsziele für den Gebäudesektor nicht erreicht werden sollten – wurde abgelehnt.
Eine Reihe von weicheren Verboten und Massnahmen existiert im Zusammenhang mit Diesel- und Benzinfahrzeugen. Die wichtigsten Instrumente sind laut Torné und Trutnevyte zunehmend strengere Emissionsnormen für neue Fahrzeuge, Road Pricing sowie die Mineralölsteuer. Hinzu kommen neuere Strategien wie autofreie Ortschaften etwa in Zermatt, Saas-Fee oder Rigi Kaltbad, oder auch die Initiative Stick’AIR in Genf: Fahrzeuge der höchsten Schadstoffklasse dürfen dabei an Tagen mit hoher Luftverschmutzung nicht mehr im Stadtzentrum fahren.
Verbotskonzepte und Gerechtigkeitsprinzipien im Vergleich
Torné und Trutnevyte verglichen für ihre Studie mehrere Verbotsoptionen:
totale Verbote, also für alle privaten Diesel- und Benzinfahrzeuge und alle Öl- und Gasheizkessel;
Verbote einzig für Technologien mit den höchsten Treibhausgasemissionen oder nur in Gebieten mit der grössten Luftverschmutzung;
Verbote mit Ausnahmen für bestimmte gesellschaftliche Gruppen.
In die Untersuchung flossen auch verschiedene Auffassungen von Gerechtigkeit ein: So kann gerecht heissen, dass alle Haushalte genau gleich behandelt werden und von den Verboten netto gleich stark betroffen sind.
Gerechtigkeit kann aber auch nach dem Gesamtwohl der Gesellschaft beurteilt werden: Fair wäre dann ein Verbot, welches das Wohlergehen möglichst vieler Menschen maximiert beziehungsweise die aggregierte Last minimiert. Andere Gerechtigkeitsgrundsätze besagen, dass die am stärksten benachteiligten Gruppen weniger belastet werden sollten als andere. Oder, dass insgesamt weniger Haushalte stark beeinträchtigt werden sollten.
Der Vergleich verschiedener Verbotsoptionen im Hinblick auf Minderungspotenzial sowie Verteilungsgerechtigkeit hat gezeigt:
Strengere Verbote sind egalitärer, aber nicht unbedingt fairer
Verbote, die auf die möglichst grosse Vermeidung von Emissionen abzielen, führen zu einer gleichmässigeren Verteilung der Nettobelastung der Haushalte. Strengere Verbote betreffen also fast alle gleichermassen, da sie für mehr Haushalte Wirkung entfalten. Gemessen an anderen Gerechtigkeitsprinzipien wäre jedoch genau das weniger fair. Schliesslich fällt es nicht allen Haushalten gleich leicht, auf nachhaltigere Mobilitäts- und Heizoptionen umzustellen.
Qualität des öffentlichen Verkehrs und Shared-Mobility-Angebote verbessern
Ein vollständiges Verbot von Diesel- und Benzinfahrzeugen würde Haushalte mit niedrigem Einkommen, Personen in ländlichen und eher ländlichen Gebieten und Bewohnende des Kantons Tessin am stärksten treffen. Für diese Haushalte wären die Ersatzkosten laut Studie am höchsten, denn sie verfügen im Durchschnitt über mehr Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen als andere. Der Grund: Sie können sich dies entweder einfach eher leisten, oder sie sind auf eine solche Mobilitätslösung angewiesen. Wie stark ein Haushalt durch ein solches Verbot wirtschaftlich belastet werde, hänge aber hauptsächlich vom Einkommen ab, schreiben Torné und Trutnevyte. Obwohl Haushalte mit tieferem Einkommen in der Regel auch weniger Autos besitzen, träfe sie ein Verbot finanziell stärker als andere. Die Anpassungsfähigkeit habe zudem viel mit der Gegend und teilweise auch mit dem Kanton zu tun, in dem sich die Haushalte befinden.
Gerade in ländlichen und eher ländlichen Gebieten sowie im Kanton Tessin sollte laut den Forschenden deshalb mehr unternommen werden, um die Qualität des öffentlichen Verkehrs, das Angebot von Shared-Mobility-Fahrzeugen sowie die tägliche Grundversorgung zu verbessern.
Effizienzsteigerungen in Wohnungen und Fernwärme fördern
Ein vollständiges Verbot von Gas- und Ölheizungen würde vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen sowie Menschen in ländlichen wie auch städtischen Regionen treffen. Der Übergang zu einer ökologischeren Alternative würde zudem Mieterinnen und Mietern sowie den Bewohnenden des Kantons Waadt besonders schwerfallen.
Die wirtschaftliche Belastung hängt hauptsächlich vom Einkommen ab.
Städtische und stadtnahe Haushalte sowie Personen im Kanton Waadt weisen den höchsten Anteil an Heizungen mit fossilen Brennstoffen auf und hätten so die höchsten Ersatzkosten. Die wirtschaftliche Belastung der Haushalte hängt aber auch hier hauptsächlich vom Einkommen ab, wie die Forschenden aus Genf feststellen. Die geringsten Anpassungsfähigkeiten zeigten ländliche und eher ländliche Haushalte, Haushalte mit geringem Einkommen, Mieterinnen und Mieter sowie Personen in den Kantonen St. Gallen und Waadt.
Besonders in den Kantonen St. Gallen und Waadt wäre deshalb laut Torné und Trutnevyte eine Gesetzgebung nötig, die Effizienzsteigerungen in Wohnungen und Fernwärme fördert.
Verbote mit Ausnahmen für einkommensschwächste Haushalte als bester Kompromiss
Der vielversprechendste Kompromiss zwischen den politischen Zielen Emissionsminderung und Verteilungsgerechtigkeit sind Verbote, die die Haushalte mit den tiefsten Einkommen ausnehmen. Die Anpassungsfähigkeit der einkommensschwächsten Haushalte liesse sich zudem verbessern, wenn Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel oder Fernwärme etwa mit Umweltgutscheinen einhergingen. Diese könnten die Kosten für Fahrkarten und Heizung ganz oder teilweise abdecken, schreiben Torné und Trutnevyte. «Obwohl die Umsetzung eher schwierig und kostspielig ist, könnte eine Ausrichtung auf die am stärksten benachteiligten Haushalte mit ergänzenden Ausgleichsmassnahmen die Gerechtigkeit von Verboten erhöhen.»
Verbote lassen sich an spezifische Ziele und Situationen anpassen
Je nach Situation sind laut den Forschenden weitere Lösungen denkbar: So könnte ein Fahrverbot von Personenwagen mit fossilen Brennstoffen in Gebieten mit der höchsten Feinstaubbelastung unter Umständen sinnvoll sein, um ländliche Haushalte zu schützen. Ein möglicher Kompromiss wäre ausserdem ein Verbot für Autos mit den schlechtesten Energielabels, da dieses anteilig weniger Haushalte betreffen würde. Interessant wären je nachdem auch Ausnahmeregelungen für ländliche und stadtnahe Haushalte oder für Haushalte mit Kindern.
Öl- und Gasheizungen müssen am Ende ihrer Lebensdauer durch umweltfreundliche Heizlösungen ersetzt werden. Das schreibt das Energiegesetz des Kantons Zürich seit 2022 vor. Erlaubt sind Heizungen, die Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen: Dazu gehören Wärme aus Erdreich, Wasser oder Aussenluft, aber auch Abwärme aus Kehrrichtverbrennung oder Abwasser, sowie Holz und inländisches Biogas. Der Einbau von Wärmepumpen ist ebenfalls zulässig. Ausnahmen sind nur vorgesehen, wenn eine erneuerbare Heizlösung technisch nicht möglich oder über den Lebenszyklus mehr als fünf Prozent teurer ist als die fossile Alternative.
Aufgrund ihres übermässig hohen Stromverbrauchs müssen Elektroheizungen und Elektroboiler im Kanton Zürich bis 2030 ersetzt werden. Von der Pflicht betroffen sind alle zentralen und dezentralen Heizeinrichtungen. Dazu zählen auch dezentrale Einzelspeicheröfen, Elektrodirektheizungen, Infrarotstrahler und so weiter. Bei den Elektro-Wassererwärmern gilt die Ersatzpflicht für alle zentralen ausschliesslich direkt elektrisch beheizten Systeme in Wohnbauten.
Ausnahmen gibt es unter anderem für Spezialfälle wie Kirchen, aber auch für besonders kleine beheizte Flächen oder für Notheizungen.
Es ist bedenklich, dass der Umstieg für einkommensschwache Haushalte am schwierigsten ist. Sie sind es ja gerade, die viel für fossile Energie bezahlen, anstatt von der günstigeren nachhaltigen Alternative zu profitieren. So auch das Framing kürzlich in der NZZ (https://www.nzz.ch/finanzen/es-drohen-ein-finanzieller-schock-oder-sogar-kalte-winter-was-auf-hausbesitzer-zukommt-die-von-der-fernwaerme-abgehaengt-werden-ld.1845868):
«Eine Luft-Wasser-Wärmepumpe würde uns 40 000 Franken kosten»
«Bei uns im Quartier wohnt traditionell der untere Mittelstand, und längst nicht alle haben die Mittel flüssig»
Der Ersatz einer Gasheizung ist ja auch nicht kostenlos und von den Betriebskosten mag man gar nicht erst sprechen. Was es braucht, sind Finanzinstitute oder Lieferanten, die unkompliziert die Investitionskosten vorschiessen und über die Betriebsdauer amortisieren. Das ist mutmasslich recht gut kalkulierbar und mit überschaubaren Risiken. Helion macht das in Zusammenarbeit mit der Migrosbank bereits. Da sollte klar mehr gehen!
Kommentare: Was denken Sie?
Christian
Vor 2 Wochen
Es ist bedenklich, dass der Umstieg für einkommensschwache Haushalte am schwierigsten ist. Sie sind es ja gerade, die viel für fossile Energie bezahlen, anstatt von der günstigeren nachhaltigen Alternative zu profitieren. So auch das Framing kürzlich in der NZZ (https://www.nzz.ch/finanzen/es-drohen-ein-finanzieller-schock-oder-sogar-kalte-winter-was-auf-hausbesitzer-zukommt-die-von-der-fernwaerme-abgehaengt-werden-ld.1845868):
«Eine Luft-Wasser-Wärmepumpe würde uns 40 000 Franken kosten»
«Bei uns im Quartier wohnt traditionell der untere Mittelstand, und längst nicht alle haben die Mittel flüssig»
Der Ersatz einer Gasheizung ist ja auch nicht kostenlos und von den Betriebskosten mag man gar nicht erst sprechen. Was es braucht, sind Finanzinstitute oder Lieferanten, die unkompliziert die Investitionskosten vorschiessen und über die Betriebsdauer amortisieren. Das ist mutmasslich recht gut kalkulierbar und mit überschaubaren Risiken. Helion macht das in Zusammenarbeit mit der Migrosbank bereits. Da sollte klar mehr gehen!