Gibt es genügend erneuerbare Energie auf der Welt?

Stellen uns Sonne, Wind und Erde genügend erneuerbare Energie zur Verfügung, so dass sich unsere Gesellschaft nachhaltig gestalten lässt? Dieser Frage geht ein Empa-Team rund um Harald Desing aus der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» nach.

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Solaranlagen, Windfarmen, Gezeiten- und Erdwärmekraftwerke nutzen Energie aus der Natur. Ist das nachhaltig skalierbar? Empa-Forscher haben untersucht, welchen Anteil dieser Energieströme die Menschheit für ihre Zwecke nutzen kann, ohne dass das Energiesystem der Erde Schaden nimmt.

Das Klima und das Energiesystem der Erde

Betrachten wir den Planeten Erde als System, tauscht dieser mit seiner Umgebung lediglich Energie aus. Der weitaus grösste Teil der ins System eingebrachten Energie ist Sonnenstrahlung, ergänzt durch geringfügige Anteile an planetarer Bewegungsenergie und Erdwärme. Diese Energieströme wurden schon immer restlos von der Erde selbst genutzt. Ihre vielen Teilsysteme wie die Ozeane, die Atmosphäre und Wälder, aber auch reflektierende Eisflächen wurden damit gewissermassen «in Betrieb gehalten».

Natürliche Energieumwandlung

Die meisten dieser Teilsysteme wandeln die eintretende Energie in weitere erneuerbare Energieströme um, zum Beispiel Wind- und Wasserströmungen oder Biomasseproduktion. Dabei wird den eintretenden Energieströmen freie Energie, die sogenannte Exergie, entzogen. Unabhängig von der Nutzung, ob im natürlichen Erdsystem oder der von Menschen erschaffenen Technosphäre, wird die gesamte Energie letztlich wieder ins All abgestrahlt.

Auch Wind- und Wasserströmungen sind letztlich umgeformte Sonnenenergie. (Foto: Courtesy of Vestas Wind Systems A/S)

Solaranlagen verändern das Klima

Je mehr erneuerbare Energie wir für menschliche Aktivitäten abzweigen, umso mehr reduzieren sich die dem Erdsystem zur Verfügung stehenden Anteile. Solche Störungen kann das Erdsystem bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Werden sie jedoch zu gross, steigt das Risiko, dass «Kipppunkte» überschritten werden.

Schnelle und irreversible Veränderungen im Erdsystem wären die Folge: etwa das Abschmelzen der Polkappen, welches wiederum den Klimawandel beschleunigt. Um diese Kipppunkte nicht zu überschreiten, darf die Grösse der genutzten Landfläche nicht über der planetaren Belastungsgrenze liegen. Es ist aber auch entscheidend, auf welche Weise die Fläche genutzt wird: Solaranlagen anstelle von Wäldern etwa stören die Biodiversität, die Verdunstung und damit den Wasserkreislauf, die Rückstrahlung von Wärme ins All und vieles mehr.

Chemische Energie aus Land- und Waldwirtschaft

Auch für die Ernte der sogenannten chemischen Energie gibt es Obergrenzen. Also für die Land- und Forstwirtschaft, welche Nahrungs- und Futtermittel, Heizmaterial, Treibstoffe sowie Baumaterialien herstellen. Die Umwandlung von chemischer in technische Energie steht oft in Konkurrenz zur Nutzung für Nahrungsmittel.

Weniger als ein halbes Promille der Energie genügt für die Menschheit

Um die verschiedenen Potenziale an erneuerbarer Energie vergleichen zu können, haben sie die Empa-Forscher in elektrische Energieäquivalente umgerechnet. In den Kalkulationen kommen die Wirkungsgrade heute verfügbarer Kraftwerkstechnik zum Tragen.

Das Ergebnis der Studie: 99.96 % der aus dem All auf die Erde eintreffende Energie werden für den Antrieb des Erdsystems und die Nahrungsmittelproduktion benötigt. Es dürfen also nur 0.04 % technisch genutzt werden. Dennoch liegt dieses Potenzial immer noch etwa um das zehnfache über dem heutigen globalen Energiebedarf.

Das Potenzial ist rund zehn mal grösser als der heutige globale Energiebedarf.

Die NEST-Unit Solace der Empa erntet Strom und Wärme durch ihre türkise Fassade. (Foto: Empa/Roman Keller)

Fazit: Solarenergie nutzen!

Die Erkenntnis aus der Betrachtung der Umwandlungsverluste ist klar: Wir sollten die verfügbare Energie bevorzugt mittels Solarzellen ernten und nutzen. Denn fast alle erneuerbaren Energieressourcen – auch Wind- und Wasserkraft und die Biomasseproduktion – werden letztlich von der Sonne angetrieben. Eine direkte Nutzung der Sonnenenergie bedeutet weniger Umwandlungsschritte und dadurch weniger Verluste.

Photovoltaik auf alle versiegelten Flächen

Die Empfehlung der Forscher: Photovoltaikanlagen auf allen bereits versiegelten Oberflächen erstellen, darunter Dächer und Fassaden, Strassen, Schienentrassen und Parkplätze.

Die Oberfläche der bestehenden Kulturlandschaft würden ausreichen, um eine globale 2000-Watt-Gesellschaft über PV-Anlagen mit Energie zu versorgen.

Frankreich beschleunigt den Ausbau der Photovoltaik-Kapazitäten durch Auktionen. Die Axpo-Tochterfirma Urbasolar ist dort führend im Bereich der überdachten Parkplätze. (Foto: Axpo/Matthieu COLIN)

Sind Solaranlagen in der Wüste sinnvoll?

Ein Grossteil der Sonnenenergie liesse sich auf einem kleinen Teil der Wüstenflächen der Erde ernten, was jedoch technisch und logistisch aufwändig ist. Das Forschungsteam der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» betrachtet daher auf Wüstenflächen geerntete Sonnenergie als eine globale Energiereserve für den Fall, dass alle anderen Erntemöglichkeiten ausgeschöpft sind.

Möchte man jedoch den weltweiten Energiebedarf auf das Niveau des heutigen Schweizer Pro-Kopf-Bedarfs anheben, so müssten auch Wüstenflächen mitgenutzt werden.

Windenergie und Biomasse statt Speicher

Alle übrigen Energiepotentiale sind um Grössenordnungen kleiner als die direkte Nutzung der Sonnenenergie – und zum Teil bereits übernutzt. Trotzdem können sie lokal eine bedeutende Rolle spielen, insbesondere auch, weil sie den Bedarf an Speicherkapazitäten verringern können. Diese Problematik wurde in der Empa-Studie nicht mitberücksichtigt.

Die Forscher bleiben dran

In der Studie hat das Empa-Team das verfügbare Energiepotential berechnet. Die in der Praxis nutzbare Menge an Energie wird kleiner sein: Faktoren wie die Verfügbarkeit von Rohstoffen, Finanzkapital und Arbeitskraft begrenzen die Realisation; aber auch Umweltauswirkungen bei der Rohstoffgewinnung oder Produktion, Betrieb und Entsorgung der Anlagen sowie der Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur für die Energieverteilung und Energiespeicherung.

Aktuell geht das Forschungsteam der Frage nach, wie ein solcher Weg von der fossilen hin zur solaren Gesellschaft aussehen könnte. Denn das solare Energiesystem muss nicht nur gross genug sein, um den globalen Bedarf zu decken, sondern auch rasch genug das fossile System ersetzen, um die Klimakatastrophe noch abwenden zu können.