Kernfusion: der Traum vom Sonnenfeuer

Die Fusion von Atomkernen hat das Potenzial, gewaltige Energiemengen zu erzeugen. Trotz jahrzehntelanger Forschung ist es aber noch nicht gelungen, die Technik praxistauglich zu machen. Woran harzt es und was sind derzeit die erfolgversprechendsten Ansätze?

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Blick in einen Reaktor mit ringförmigem Plasma in der Mitte

Wissen Sie, woher die gewaltige Energie der Sonne kommt? Sie entsteht durch den extrem grossen Druck und die sehr hohen Temperaturen im Kern der Sonne. Diese Kombination führt dazu, dass Wasserstoff-Atomkerne zu Helium verschmelzen – eine sogenannte Kernfusion. Bei dieser Fusion werden grosse Energiemengen freigesetzt, die wir als Sonnenstrahlen wahrnehmen und die das Leben auf der Erde erst möglich machen.

So funktioniert die Kernfusion

Diese Zusammenhänge zur Kernfusion in der Sonne sind seit rund 100 Jahren bekannt. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts versuchen Forscherinnen und Forscher rund um den Globus, die Kernfusion auf der Erde zur Energiegewinnung zu nutzen. Inzwischen ist bekannt, dass sie am einfachsten funktioniert, wenn man die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium miteinander verschmelzen lässt.

Deuterium kann aus Meerwasser gewonnen werden, Tritium aus dem ebenfalls vielerorts vorhandenen Metall Lithium. Bei der Fusion ihrer Atomkerne entstehen Helium, ein freies Neutron und grosse Mengen an Energie. Zum Vergleich: Mit dem Deuterium, das in 20 Litern Meerwasser enthalten ist, und dem Tritium, das in einer handelsüblichen Mignon- oder AA-Lithiumbatterie steckt, kann durch Kernfusion eine Energiemenge erzeugt werden, die 9000 (!) Litern Benzin entspricht.

Grafische Darstellung von Wasserstoff (1 Proton), Deuterium und Tritium
Es existieren drei natürliche Isotope von Wasserstoff. Der Kern von Deuterium besteht aus einem Proton und einem Neutron, derjenige von Tritium aus einem Proton und zwei Neutronen. Verschmilzt man diese Kerne in einem Fusionsreaktor zu Helium, werden grosse Energiemengen freigesetzt. (Grafik: Wikipedia / Dirk Hünniger)

In der Sonne setzen ein immens hoher Druck von 200 Milliarden bar und eine Temperatur von etwa 15 Millionen Grad Celsius die Kernfusion in Gang.

Weil auf der Erde keine derart hohen Drücke erzeugt werden können, muss die Temperatur des Deuterium-Tritium-Gemischs zehnmal höher sein, ungefähr 150 Mio. °C. Das Gemisch (Plasma) lässt sich bei dieser Temperatur nicht in einen Behälter einschliessen, weil es beim Kontakt mit der Innenwand sofort stark abkühlen würde. Deshalb nutzt man starke Magnetfelder, um das Plasma von den Wänden fernzuhalten. In der Fachsprache heisst dies «magnetischer Einschluss».

Reaktortypen: Tokamak und Stellarator

Es gibt zwei Konzepte, um den magnetischen Einschluss zu kreieren und aufrechtzuerhalten. An den entsprechenden Reaktortypen wird seit mehreren Jahrzehnten geforscht:

  • Tokamak: Der Begriff ist die russische Abkürzung für «Toroidale Kammer mit Magnetspulen». Das Plasma befindet sich dabei in einem Torus – einem Donut-ähnlichen Gebilde. In der Mitte des Torus sowie um ihn herum sind die Magnetspulen angeordnet, die das Plasma an Ort und Stelle halten. Der Tokamak arbeitet nicht kontinuierlich, sondern muss immer wieder neu gestartet werden. Das derzeit ambitionierteste Tokamak-Projekt ist die ITER-Anlage in Südfrankreich (siehe unten).
  • Stellarator: Dieser Reaktortyp – der Name ist vom lateinischen «Stella» für Stern abgeleitet – verwendet im Gegensatz zum Tokamak nur aussenliegende Magnetspulen. Das hat den Vorteil, dass ein Dauerbetrieb möglich ist. Allerdings liegen die erzielten Ergebnisse bisher noch hinter denen vom Tokamak zurück. Ein zu Forschungszwecken realisierter Prototyp ist der Wendelstein 7-X in Greifswald.

Das Forschungsprojekt «ITER»

Der International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) ist ein Tokamak-Versuchsreaktor, der seit rund zehn Jahren in Südfrankreich bei Cadarache gebaut wird. An diesem internationalen Forschungsprojekt sind die EU, die Schweiz, die USA, China, Südkorea, Japan, Russland und Indien beteiligt.

Bis der Reaktor Strom erzeugen kann, müssen verschiedene Methoden und Konstruktionen geprüft werden. Das Projekt kämpft allerdings mit Verzögerungen und Kostensteigerungen, sodass der für 2035 vorgesehene Projektabschluss nicht sicher ist. Die Forschungsresultate von ITER sollen als Basis dienen, um im Nachfolgeprojekt «DEMO» erstmals Strom in ein öffentliches Netz einspeisen zu können und damit die Marktreife zu erreichen.

Ich halte es für realistisch, dass dieser Meilenstein bis 2050 erreicht wird.

Christian Theiler, Professor für Plasma-Physik an der EPFL
Zeichnung eines ITER-Segmenst, das rund 15 Mal höher ist als ein erwachsener Mensch
Querschnitt des ITER-Tokamaks mit einem Menschen als Grössenvergleich (Ausschnitt vergrössert). Die Kernfusion wird in der rötlich gefärbten Konstruktion in der Bildmitte stattfinden, wo 150 Mio. °C heisses Plasma durch Magnetfelder in Position gehalten wird. (Grafik: ITER)

Kritik an der Kernfusion

Die Kernfusion hat unbestreitbar grosses Potenzial, in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur emissionslosen Energieversorgung zu leisten. Wann genau das sein wird, kann heute niemand mit Bestimmtheit sagen. Klar ist nur, dass Forschung, Entwicklung und Realisierung weiterhin sehr viel Geld kosten werden. Geld, das anderswo besser investiert wäre?

Zudem gibt es ungelöste technische Fragen. Ein Beispiel: Das für die Fusion benötigte Tritium ist radioaktiv. Zwar ist die Endlagerung aufgrund der Halbwertszeit von nur 12,3 Jahren deutlich weniger problematisch als etwa bei Uran oder Plutonium, die für die Kernspaltung verwendet werden. Dennoch muss sichergestellt werden, dass keine Radioaktivität aus dem Reaktor entweicht. Überdies sind strenge Sicherheitsvorkehrungen nötig, damit das radioaktive Material nicht entwendet und für die Herstellung von Kernwaffen missbraucht werden kann.

Experteninterview zur Kernfusion

Christian Theiler ist Professor in Plasma-Physik am Swiss Plasma Center der EPFL. Er erforscht derzeit die komplexen Prozesse, die in der Randschicht des Plasmas bei der Kernfusion ablaufen. Die Erkenntnisse daraus sollen helfen, den Fusionsprozess effizienter zu machen.

Mann von rund 40 Jahren mit Dreitagebart, Hemd und Pullover
Christian Theiler, Professor für Plasma-Physik an der EPFL. (Foto: Nicolas Schopfer)

Herr Theiler, der Photovoltaikzubau in der Schweiz kommt zügig voran, es steht immer mehr erneuerbare Energie zur Verfügung. Weshalb lohnt es sich trotzdem, weiter an der Kernfusion zu forschen und zu arbeiten?

Es ist sehr wichtig und erfreulich, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz Fahrt aufnimmt. Damit kann in naher Zukunft viel CO2 eingespart werden. Alle fossilen Brennstoffe durch CO2-arme Lösungen zu ersetzen, ist jedoch eine sehr grosse Herausforderung. Ich bin deshalb der Meinung, dass alle vielversprechenden Lösungen verfolgt werden sollten. Die Kernfusion verspricht eine sichere, saubere und nahezu unerschöpfliche Energiequelle. Ich bin deshalb überzeugt, dass ein Fusionskraftwerk mit einer Leistung von 1 GW immer eine interessante Option sein wird. Ein solches Kraftwerk wäre äquivalent zu ungefähr 500 grossen Windrädern und würde eine konstante Grundlast liefern – eine ideale Ergänzung zu schwankenden erneuerbaren Energien.

Es dürfte noch Jahrzehnte dauern, bis ein Kernfusionsreaktor auf den Markt kommt. Sind die langen Forschungs-, Planungs- und Umsetzungszyklen nur mit der Komplexität der Projekte erklärbar oder gibt es auch andere Gründe?

Ein wichtiger Faktor ist sicherlich der Mangel an Arbeitskräften, insbesondere an Physikerinnen, Ingenieuren und Technikerinnen. Auch könnte mit mehr finanziellen Mitteln die Entwicklung beschleunigt werden. Weiter ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Forschung und der Industrie nötig. Daran wird momentan intensiv gearbeitet, etwa im europäischen «EUROfusions»-Programm, aber auch in den USA und weltweit.

Das «offizielle» Kernfusionsprojekt ist die Anlage ITER, die in Frankreich gebaut wird. Sie soll die nötigen Erkenntnisse bringen, um mit dem Folgeprojekt DEMO erstmals auch Strom erzeugen zu können. Welche Hürden sind bis dahin noch zu meistern?

ITER hat das Ziel, die technische und wissenschaftliche Machbarkeit der Fusion zu beweisen. Dazu gehört auch die Entwicklung der nötigen Komponenten – die in dieser Grösse und Komplexität nie zuvor entwickelt wurden – und deren vollständige Montage zu einem funktionierenden Ganzen. Dieser Teil ist stark fortgeschritten, allerdings gab es in den letzten Jahren auch einige Rückschläge. Zudem müssen wir zeigen, dass die vorhergesagte Fusionsleistung und Effizienz erreicht wird und die Interaktion zwischen dem Plasma und der Wand zuverlässig kontrolliert werden kann.

Arbeiter beim Bau des Fusionsreaktors in einer riesigen Halle
Der Bau des ITER-Fusionsreaktors kommt langsamer voran als erwartet. Ein Grund dafür ist, dass fast alle Teile eigens für dieses Projekt konstruiert und produziert werden müssen. (Foto: ITER)

Parallel dazu gibt es auch privatwirtschaftliche Start-ups, die an einer Kommerzialisierung der Technik arbeiten. Wie beurteilen Sie deren Erfolgschancen?

Sie bringen eine neue Dynamik ins Spiel und haben den Vorteil, dass sie schnell und mit mehr Risiko agieren können. Dafür fokussieren sie oft auf ein einzelnes Element und berücksichtigen wichtige Randbedingungen nicht. Ich bin sicher, dass private Unternehmen punktuell wichtige Beiträge liefern werden. Ich bin aber auch überzeugt, dass ein umfassendes öffentliches Forschungsprogramm, mit ITER als Hauptexperiment, absolut notwendig bleibt.

Ihre persönliche Prognose: Wann wird erstmals Strom aus einem Kernfusionsreaktor in ein öffentliches Netz eingespeist?

Ich halte es für realistisch, dass dieser Meilenstein bis 2050 erreicht wird.

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  • StefanB

    Vor 3 Wochen

    Es tönt verlockend, über fast unbeschränkte Energie verfügen zu können. Da könnte man wohl auch viele andere Umweltprobleme lösen (energieintensives Recycling). Nur: 2050 ist wahrscheinlich eher optimistisch gedacht (es gab schon mehrfach Prognosen, die offensichtlich nicht erfüllt wurden). Das ist dann aber die erste Einspeisung. Bis die Fusion einen relevanten Anteil an die Stromversorgung liefern kann, wird es nochmals ein paar Jahrzehnte dauern. Dazu haben wir keine Zeit! Daher bin ich der Meinung, dass es wahrscheinlich sinnvoller ist, das Geld in Solar- und Windenergie, ev. auch Geothermie zu investieren. Natürlich erst recht nicht in Kernspaltung, da diese Technologie langfristig das Energieproblem gar nicht lösen kann (begrenzte Ressourcen, wozu auch Endlagerplätze zählen – und untragbare Risiken).
    Nur wirklich erneuerbare Energieträger (Geothermie und ev. auch Kernfusion können wahrscheinlich dazugezählt werden) können langfristig eine Lösung sein – und wieso diesen Umstieg noch mit Übergangslösungen verzögern? Sobald erneuerbare Energien eine relevanten Anteil haben, wird jeder Zubau aus Sicht der Grauen Energie immer besser!

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