Nach langem Ringen haben sich die Staaten erstmals auf ein CO2-Bepreisungssystem für die Schifffahrt geeinigt. Der historische Kompromiss hinterlässt enttäuschte Inselstaaten und einen neuen Wachstumsmarkt für Flüssigerdgas.
Kreuzfahrtschiffe sind klimaschädlich. Diese Plattitüde aus der Klimaforschung hat sich – ähnlich wie «Fliegen ist unökologisch» und «Eisbären schmilzt das Eis weg» – tief in das kollektive Bewusstsein eingebrannt.
Bewusstsein heisst natürlich noch lange nicht Verhaltensänderung. So hat sich die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere in den vergangenen Jahren – abgesehen von einem kurzen pandemiebedingten Absturz – immer weiter in die Höhe geschraubt.
Wenig überraschend produzieren die schwimmenden Erlebnisparks, in der Regel mit Schweröl betrieben, Unmengen an Treibhausgasemissionen. Der deutsche Naturschutzbund Nabu hatte vor einigen Jahren errechnet, dass ein Kreuzfahrtschiff an einem Tag etwa so viel CO2 ausstösst wie 84’000 Autos.
Ihren schlechten Ruf haben die Riesen also zu Recht, und doch sind sie nur ein kleiner Teil des viel grösseren Problems der internationalen Schifffahrt.
Die internationale Schifffahrt verursacht rund drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Rund drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht die gesamte Branche, wie die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO, eine UN-Behörde, für das Jahr 2018 ermittelte. Aktuellere Schätzungen sind damit konsistent, betrachten aber in der Regel nur CO2.
Gemäss der IMO-Analyse kann aber davon ausgegangen werden, dass die weltweite Schifffahrt jährlich über eine Milliarde Tonnen CO2-Äquivalent zu verantworten hat.
Die etwas über 300 Kreuzfahrtschiffe machen davon irgendwas zwischen einem und drei Prozent aus. Wesentlich schwerer wiegen die Tausenden Container-, Massengut- und Tankschiffe auf den Weltmeeren, über die rund 90 Prozent des globalen Handels abgewickelt werden.
Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, ist es also notwendig, auch die Schiffsemissionen zu senken. Bisher steigen diese allerdings munter an.
Wie die Flugemissionen sind auch die Emissionen der Schifffahrt nicht in den nationalen Klimaplänen enthalten.
Ähnlich wie die Flugemissionen werden auch die Emissionen der Schifffahrt nicht durch die nationalen Klimapläne abgedeckt, die Länder im Rahmen des Paris-Abkommens vorlegen müssen. Um diese Leerstelle zu füllen, verhandeln die Staaten seit Jahrzehnten im Rahmen der IMO über die Klimawirkung der Schifffahrt.
Schifffahrt: Von über 1 Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr stammen rund 30 Millionen Tonnen von Kreuzfahrtschiffen. (Foto: Thomas Elmiger)
Inselstaaten forderten generelle CO2-Abgabe
Vor zwei Jahren dann der erste Durchbruch: Die IMO-Staaten einigten sich auf das Ziel, Klimaneutralität bis 2050 «oder kurz danach» zu erreichen. Allerdings vereinbarten sie damals weder Massnahmen noch Zwischenziele. Auch ist das 2050er Ziel rechtlich nicht bindend.
Im Kern verhandelten die Staaten in der Anfang April zu Ende gegangenen Sitzung des IMO-Umweltausschusses in London darüber, wie das Netto-Null-Ziel nun erreicht werden soll. Vor allem zwei Ansätze standen sich dabei gegenüber.
Vor allem von den pazifischen Inselstaaten beworben wurde eine generelle Emissionsabgabe. Dabei müssten Schiffseigner für jede ausgestossene Tonne CO2-Äquivalent einen bestimmten Preis zahlen. Damit Hand in Hand gehen sollte eine sich nach und nach verschärfende Kraftstoffnorm – sprich ein Grenzwert für die CO2-Intensität des Treibstoffs. Bei Verstössen würden zusätzliche Strafzahlungen fällig werden. Unternehmen hätten dadurch einen Anreiz, beim Treibstoff auf klimafreundlichere Alternativen umzusteigen – Ammoniak, nachhaltige Biokraftstoffe oder Methanol.
Der unter anderem von China, Brasilien und Saudi-Arabien unterstützte Gegenvorschlag, sah einen Emissionshandel vor. Reedereien müssten nach diesem System Emissionszertifikate kaufen, sofern der in ihren Schiffen verwendete Kraftstoff eine CO2-Intensität über einem bestimmten Limit hat. Anbieten würden diese Zertifikate Reedereien, deren Schiffe die Grenzwerte deutlich unterschreiten, oder aber spezielle Banken.
Trotz breiter Befürwortung einer allgemeinen CO2-Abgabe – über 60 Länder drückten im Vorfeld eine generelle Zustimmung für den Vorschlag aus – einigten sich die Länder auf eine etwas verkomplizierte Version des Emissionshandels.
Knapp 6000 Containerschiffe und noch wesentlich mehr Massengutschiffe und Tanker befahren die Weltmeere – total umfasst die Handelsflotte rund 100’000 Schiffe. (Foto: Tommy Chia SG / Shutterstock)
Nur zehn Prozent der Emissionen werden bepreist
Nach dem neuen Regularium sollen ab 2028 zwei Mindeststandards für Schiffskraftstoffe gelten – ein unterer und ein oberer. Beide sollen bis 2035 schrittweise verschärft werden. Der untere Standard fängt 2028 bei vier Prozent CO2-Einsparung an und steigt dann auf 30 Prozent.
Das bedeutet: Für jedes Schiff, das nicht einen um mindestens vier Prozent CO2-ärmeren Kraftstoffmix verwendet als der «normale» Treibstoff – Schweröl –, müssen für den Überschuss zunächst 380 US-Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent gezahlt werden.
Der obere Standard klettert im selben Zeitraum von 17 auf 43 Prozent. Für Schiffe, die den unteren Standard einhalten, aber den oberen nicht, werden zunächst 100 Dollar pro überschüssiger Tonne fällig.
Eingezahlt werden soll das Geld in einen neuen «Netto-Null-Fonds». Aus diesem soll wiederum die klimaneutrale Transformation der Schifffahrt, besonders in Entwicklungsländern, finanziert werden.
Alternativ können die Schifffahrtsunternehmen aber auch nach den üblichen Regeln des Emissionshandels CO2-Zertifikate von anderen Reedereien kaufen.
Historischer Schritt mit Mängeln
Zahlreiche Fachleute und Umweltverbände lobten den Beschluss als «historisch», benannten aber auch Mängel.
«In diesem Beschluss kommt das Verursacherprinzip erstmals weltweit zur Geltung», sagte etwa Nouhaila Zaki, Referentin für Steuern für Klimafinanzierung bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Das sei ein echter Durchbruch und ein Präzedenzfall für andere Sektoren.
Gleichzeitig sei das Abkommen in vielen Punkten unzureichend, so Zaki. So werde die Bepreisung nur rund zehn Prozent der Gesamtemissionen betreffen.
Statt alle Treibhausgasemissionen zu bepreisen, werden schliesslich nur die Emissionen berücksichtigt, die über den relativ anspruchslosen neuen Schwellenwerten liegen.
USA reisten vorzeitig ab, EU liess Inselstaaten allein
Laut der europäischen Umweltorganisation Transport and Environment (T&E) würde selbst Flüssigerdgas als Treibstoff anfänglich ohne Bepreisung bleiben. Auch fürchtet die Organisation, dass unökologische Biokraftstoffe, etwa aus Palmöl und Sojaöl, nun in den kommenden zehn Jahren gefördert werden – auf Kosten der Regenwälder.
Ausserdem würde laut einer T&E‑Analyse das Netto-Null-Ziel für 2050 mit dem Mechanismus deutlich verfehlt werden.
Folgerichtig enthielten sich bei der Abstimmung dann auch zahlreiche Entwicklungsländer, darunter einige der kleinsten Inselstaaten. Über 60 Ja-Stimmen – etwa von der EU, der Schweiz, China und Brasilien – bescherten dem Abkommen dennoch die erforderliche Mehrheit.
Mit Nein votierten Saudi-Arabien, Russland und weitere ölreiche Länder. Die USA reisten bereits vor Ende der Verhandlungen ab und forderten andere Länder auf, gegen den Vorschlag zu stimmen.
Gerade die kleinen Inselstaaten hatten gehofft, dass eine generelle Emissionsabgabe genug abwerfen würde, um auch die Klimafinanzierung für die ärmsten Länder anheben zu können. Die nun erwarteten elf bis zwölf Milliarden US-Dollar pro Jahr dürften hingegen noch nicht einmal ausreichen, um die Energiewende in der Schifffahrt abzusichern.
Das Schweizerische Seeschifffahrtsamt SSA vertrat die Schweiz bei den IMO-Verhandlungen und hatte schon im Vorfeld Unterstützung für das Netto-Null-Ziel angekündigt. Auf Nachfrage begründete das Amt die Zustimmung zum Kompromiss wie folgt:
«Die Schweizer Delegation hat sich bei den Verhandlungen aktiv eingebracht und die Einführung einer universellen Treibhausgasabgabe unterstützt. Diverse Länder verhinderten diese ambitionierte Massnahme, weshalb schliesslich ein Kompromiss ausgehandelt wurde. Obwohl keine universelle Treibhausgasabgabe verabschiedet werden konnte, ist das Verhandlungsergebnis ein weiterer wichtiger Schritt zur Dekarbonisierung der internationalen Seeschifffahrt. Diese ist damit der erste globale Wirtschaftszweig, für den verbindliche Vorschriften zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 gelten sollen. Das Ergebnis ist in diesem Sinne als Erfolg zu werten, weshalb die Schweiz dem Kompromiss zugestimmt hat.»
Enttäuschung bei den am stärksten Betroffenen
«Wir sollten uns darüber im Klaren sein, wer das 1,5-Grad-Ziel aufgegeben hat», kritisierte der Klimaminister des südpazifischen Inselstaates Vanuatu, Ralph Regenvanu, den Beschluss mit scharfen Worten. Die USA, Saudi-Arabien und ihre fossilen Verbündeten hätten in den Verhandlungen die Vorgaben auf ein unhaltbar niedriges Niveau gedrückt.
Damit hätten sie «einen Vorschlag für eine verlässliche Einnahmequelle für diejenigen von uns abgelehnt, die dringend Finanzmittel zur Bewältigung der Klimaauswirkungen benötigen».
Besonders enttäuscht zeigten sich Vertreterinnen und Vertreter der Inselstaaten von der Europäischen Union. Auch die EU-Delegation hatte zuvor ihre Unterstützung für eine generelle Emissionsabgabe bekundet, schwenkte dann aber ohne viel Widerstand auf den abgeschwächten Kompromiss ein.
David Zauner studierte Geografie und absolvierte eine Ausbildung an der Freien Journalistenschule. Als freier Journalist hat er für verschiedene Medien und Formate gearbeitet, unter anderem ARD-Kontraste, Süddeutsche Zeitung und taz. Klimaforschung, Klimabewegung und die Frage, wie eine klimagerechte Transformation aussehen kann, sind die Schwerpunkte seiner Arbeit.
«an einem Tag etwa so viel CO2 ausstösst wie 84’000 Autos» – ich würde von Energieexperten eine etwas qualifiziertere Angabe erwarten. 84’000 Autos im Stillstand? Oder der Durchschnitt bei z.B. 15’000 km im Jahr? Oder bei 100 km/h auf der Autobahn während 24 h oder in einer Stunde / in einem Jahr? Die Zeitangabe ist irrelevant, wenn sie für beide gleich ist. Dazu ist die Grösse des Schiffes nicht ansatzweise angegeben.
Ich bin kein Freund von Kreuzfahrten, aber bei diesen Vergleichen muss einem bewusst sein, dass die dazugehörigen Hotelübernachtungen an Land auch aufgerechnet werden müssten. Gibt es eigentlich Ökobilanzen zu Hotelübernachtungen? Nur schon das Waschen von Bett- und Badewäsche + Tischtücher und Servietten, zusätzlich Foodwaste, ganz abgesehen von unnötigen und schlecht belüfteten Minibars und schlecht bzw. übertrieben eingestellten Klimaanlagen. Licht brennt sowieso fast immer und überall. – Das wäre auch mal ein Thema für die Energieexperten.
Lieber Stefan B, vielen Dank für das kritische Nachfragen. Die Quelle für den Vergleich von Autos mit einem Kreuzfahrtschiff (NABU) ist unten am Artikel verlinkt, dort sind einige Details zu den Emissionen pro Tag angegeben. Ehrlich gesagt, reicht das für uns nicht, um den Vergleich für das Schiff nachzurechnen, aber für das Auto kommen wir auf eine Jahresfahrleistung von 13’000 km. Die Daten sind auch nicht ganz neu, sondern von 2012. Warum haben wir den Vergleich trotzdem im Artikel behalten? Nicht nur Autos sind seither effizienter geworden, sondern auch Schiffe, zudem wurden Kreuzfahrtschiffe immer grösser, darum dürfte die Grössenordnung etwa ähnlich geblieben sein.
Es geht hier unseres Erachtens eben um diese Grössenordnung und nicht um einen Vergleich verschiedener Ferien-Varianten (das Erlebnis ist schliesslich auch ein anderes), darum finden wir es in Ordnung, wenn Hotelübernachtungen nicht auch noch die Rechnung verkomplizieren. Und ja: Das wäre einen separaten Artikel wert.
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Stefan B
Vor 1 Woche
«an einem Tag etwa so viel CO2 ausstösst wie 84’000 Autos» – ich würde von Energieexperten eine etwas qualifiziertere Angabe erwarten. 84’000 Autos im Stillstand? Oder der Durchschnitt bei z.B. 15’000 km im Jahr? Oder bei 100 km/h auf der Autobahn während 24 h oder in einer Stunde / in einem Jahr? Die Zeitangabe ist irrelevant, wenn sie für beide gleich ist. Dazu ist die Grösse des Schiffes nicht ansatzweise angegeben.
Ich bin kein Freund von Kreuzfahrten, aber bei diesen Vergleichen muss einem bewusst sein, dass die dazugehörigen Hotelübernachtungen an Land auch aufgerechnet werden müssten. Gibt es eigentlich Ökobilanzen zu Hotelübernachtungen? Nur schon das Waschen von Bett- und Badewäsche + Tischtücher und Servietten, zusätzlich Foodwaste, ganz abgesehen von unnötigen und schlecht belüfteten Minibars und schlecht bzw. übertrieben eingestellten Klimaanlagen. Licht brennt sowieso fast immer und überall. – Das wäre auch mal ein Thema für die Energieexperten.
Thomas Elmiger
Vor 1 Woche
Lieber Stefan B, vielen Dank für das kritische Nachfragen. Die Quelle für den Vergleich von Autos mit einem Kreuzfahrtschiff (NABU) ist unten am Artikel verlinkt, dort sind einige Details zu den Emissionen pro Tag angegeben. Ehrlich gesagt, reicht das für uns nicht, um den Vergleich für das Schiff nachzurechnen, aber für das Auto kommen wir auf eine Jahresfahrleistung von 13’000 km. Die Daten sind auch nicht ganz neu, sondern von 2012. Warum haben wir den Vergleich trotzdem im Artikel behalten? Nicht nur Autos sind seither effizienter geworden, sondern auch Schiffe, zudem wurden Kreuzfahrtschiffe immer grösser, darum dürfte die Grössenordnung etwa ähnlich geblieben sein.
Es geht hier unseres Erachtens eben um diese Grössenordnung und nicht um einen Vergleich verschiedener Ferien-Varianten (das Erlebnis ist schliesslich auch ein anderes), darum finden wir es in Ordnung, wenn Hotelübernachtungen nicht auch noch die Rechnung verkomplizieren. Und ja: Das wäre einen separaten Artikel wert.