Was treibt eine Gemeinschaft an, sich für lokale Energieautarkie zu entscheiden? Die Unabhängigkeit vom zentralen Stromnetz ist eine Entscheidung, die nicht leichtfertig gefällt wird. Umso wichtiger ist es, die Gründe zu verstehen.
Energieautarkie bedeutet, den eigenen Energiebedarf mit eigenen Energiequellen zu decken. Die Unabhängigkeit von einem zentralen Stromnetz kann absolut sein, aber auch auf bestimmte Zeiten oder Bereiche beschränkt. Energieautarkie kann auf unterschiedlichen Ebenen angestrebt werden. Gut untersucht sind solche Ziele auf nationaler und supranationaler Ebene. Wenig weiss man dagegen darüber, aus welchen Gründen auch Haushalte, Siedlungen oder Interessengruppen diesen Weg wählen.
Bedeutungen von Energieautarkie besser verstehen
Eine Abkoppelung vom zentralen Energienetz ist ein weitreichender Entscheid. Was treibt lokale Gemeinschaften also an, einen solchen Schritt zu wagen? Lokale autarke Energiesysteme könnten zur Dekarbonisierung beitragen und einen breiteren Zugang zu Strom sichern. Das schreiben Forschende der niederländischen Universität Twente in einer im Februar 2025 im Fachjournal Energy Research & Social Science erschienenen Studie. Solange man aber die Gründe einer Gemeinschaft für einen solchen Entscheid nicht besser verstehe, dürften sie weiter ein Nischenphänomen bleiben, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Während die Grunddefinition von Energieautarkie überall in etwa dieselbe sei, könne diese mit ganz unterschiedlichen Zusatzbedeutungen einhergehen, hält das Forschungsteam fest. Was sich eine lokale Gemeinschaft von Energieautarkie erhoffe und welche Ziele sie damit verfolgt, hängt immer auch vom Kontext ab. Relevante Unterschiede ergeben sich zum Beispiel aus der geografischen Lage oder auch aus den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen einer Gemeinschaft.
Selbstversorgung fördern und Stromzugang sichern
Am Beispiel von realen Energiegemeinschaften versuchten die Forschenden deshalb, solch verschiedene Konnotationen von Energieautarkie zu erfassen. Dazu wurden Beispiele aus dem Globalen Norden wie auch aus dem Globalen Süden einbezogen, etwa aus den Niederlanden und aus Indien. Alle Beispielfälle sind Teil des EU-Projekts «H2020 SUSTENANCE» zur Erforschung und Implementierung von lokaler Energieautarkie. Für die Studie wurden Arbeitsberichte, Strategiepapiere und Projektpläne analysiert sowie Interviews mit beteiligten Personen durchgeführt. Die Ergebnisse veranschaulichen die Forschenden exemplarisch an den untersuchten Energiegemeinschaften.
1. Erneuerbare Energien fördern und Gutes tun
Für die Gemeinschaft Aardehuis in den Niederlanden ist lokale Energieautarkie klar mit dem Wunsch verbunden, den Grad an Selbstversorgung und Netzunabhängigkeit zu erhöhen und ausschliesslich erneuerbare Energiequellen für den Haushaltsbedarf zu nutzen. Die Gemeinschaft besteht aus 23 Häusern und einem Gemeinschaftsgebäude, die Mitglieder sind in einem Verein organisiert. Ihr konkretes Ziel ist eingebettet in ein umfassenderes Anliegen, grundsätzlich einen nachhaltigen Lebensstil zu fördern und Gutes zu tun. Lokale Energieautarkie ist hier also ein bewusst gewähltes Ziel und klar ideologisch motiviert – das aber aufgrund wirtschaftlicher Gegebenheiten und rechtlicher Einschränkungen noch nicht vollständig umgesetzt werden konnte.
2. Überlastung des Energienetzes abfedern
Das SlimPark Living Lab der niederländischen Universität Twente, an der auch die Studienverfassenden forschen, dient der Untersuchung autarker Energiesysteme. Die Einrichtung dient als autarke Ladestation für mehrere Elektrofahrzeuge. Sie funktioniert ohne Netzanschluss und bezieht den notwendigen Strom aus Solarmodulen auf dem Dach und einem Batteriespeicher. Die Universität besitzt und betreibt damit also ein eigenes Stromnetz. Der lokalen Energieautarkie kommt hier vor allem eine instrumentelle Bedeutung zu. Sie soll helfen, das Netz zu entlasten und eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten, wenn erneuerbare Energien knapp sind und die Nachfrage hoch ist. Anders ausgedrückt: Das dezentrale Energiemanagement soll Angebot und Nachfrage nach erneuerbarer Energie besser aufeinander abstimmen und so den Druck auf das öffentliche Netz lindern. Auch hier bettet sich Energieautarkie in ein weiter gefasstes Ziel ein, sowohl eine stabile Stromversorgung zu sichern als auch erneuerbare Quellen besser zu nutzen.
3. Zugang zu Stromversorgung schaffen
Energieautarkie ist aber nicht immer ein vorsätzlich gewähltes Ziel. Im Fall von Barubeda im ostindischen Bundesstaat Jharkhand sorgt das neue netzunabhängige Energiesystem aus dem EU-Projekt eigentlich sogar für weniger Autarkie, wenn man so will. Das Dorf hatte davor gar keinen Anschluss an ein zentrales Elektrizitätsnetz, und musste den nötigsten Energiebedarf im Alltag mit Brennholz und Kerosin decken. Die auf Windturbinen, Solarpanels und Batteriespeichern basierende Energieautarkie bedeutet hier also, überhaupt erst einen Zugang zur Stromversorgung herzustellen.
Im indischen Barubeda verschafft ein netzunabhängiges Energiesystem mit Solarpanels dem Dorf überhaupt erst Zugang zu Strom. (Foto: Energy-Operator S.A / H2020 Sustenance Project)
4. Zuverlässigkeit der Stromversorgung verbessern
Ähnlich gelagert ist der Fall Borakhai. Energieautarkie ist auch hier nicht ein bewusstes Ziel für sich, sondern ist vielmehr im Wunsch nach einer zuverlässigeren Stromversorgung begründet. Das Dorf im indischen Bundesstaat Assam ist zwar an ein zentrales Elektrizitätsnetz angeschlossen, doch die Versorgung wird immer wieder unterbrochen. Oft haben die Bewohnerinnen und Bewohner nur wenige Stunden am Tag Strom. Auch sie sind für den Energiebedarf im Haushalt deshalb auf Brennholz und Kerosinlampen angewiesen. Das neue autarke Energiesystem für 40 Gebäude in zwei Ortsteilen umfasst hier lokale Solar-, Wind- und Biogasenergie sowie Batteriespeicher.
Der Entscheid für oder gegen eine Energieautarkie auf lokaler Ebene ist stets mit finanziellen Konsequenzen verbunden. Denn auch wenn netzunabhängige Systeme darauf abzielen, den Energieverbrauch auf Dauer zu minimieren und zu optimieren: Die Installation der dazu notwendigen Technologien erfordert erst einmal erhebliche Anfangsinvestitionen.
So hätten die beiden indischen Dörfer ohne das EU-Forschungs- und Umsetzungsprojekt nicht für ein netzunabhängiges Energiesystem aufkommen können, das sich die lokalen erneuerbaren Energiequellen zunutze macht. Gerade im Fall Barubeda ist diese Lösung aber gleichzeitig auch die einzige finanziell tragfähige. Ein Ausbau des zentralen Elektrizitätsnetzes bis hin zur Siedlung im steilen Tal wäre noch viel teurer gewesen, heisst es in der Studie.
Die Finanzierungsfrage stellt sich aber auch im Globalen Norden. Für die Gemeinschaft Aardehuis etwa wäre die Anschaffung der mit dem Solarparkplatz verbundenen Gemeinschaftsbatterie ohne Unterstützung im Rahmen des EU-Projekts ebenfalls undenkbar gewesen. In der Gemeinschaft Vriendenerf wiederum sei zu Beginn intensiv darüber diskutiert worden, ob man sich die teureren, aber nachhaltigeren Wärmepumpen anschaffen wolle oder eine günstigere Heizlösung. Die Eigentümergemeinschaft in den Niederlanden umfasst zwölf Häuser und ein Gemeinschaftsgebäude. Die Bauten wurden nach nahezu Null-Energie-Standards gebaut, um den Energiebedarf durch Eigenproduktion aus erneuerbaren Energiequellen zu decken. Die Gemeinschaft entschied sich schliesslich für die kostspieligere Variante – eine Investition, die sich nicht zuletzt der hohen Energiepreise der vergangenen Jahre wegen auszahlen sollte. Eine Investition aber auch, die man sich leisten können muss.
Energieautarkie ist ein kontextabhängiges Konzept
Was eine lokale Gemeinschaft alles mit Energieautarkie verbindet, ist also von Fall zu Fall verschieden. Die unterschiedlichen Konnotationen hängen sowohl von den lokalen Bedingungen ab als auch von den Bedürfnissen, Werten und Motivationen einer Gemeinschaft.
Deutlich macht die Studie auch: Lokale Energieautarkie muss man sich leisten können. So konnten die Gemeinschaften Aardehuis und Vriendenerf ihre Vision nur umsetzen, weil deren Mitglieder auch über ausreichend finanzielle Mittel verfügten, wie es in der Studie heisst. Das Projekt SlimPark Living Lab seinerseits wäre ohne Unterstützung und Förderung durch eine öffentliche Universität gar nicht möglich gewesen.
Hinzu kommen aber auch andere Hindernisse, etwa in Bezug auf die technische Machbarkeit oder regulatorische Fragen. So weist die Energieinfrastruktur in Aardehuis in den Wintermonaten bisher eine begrenzte Produktionskapazität auf, so dass eine Abhängigkeit vom zentralen Stromnetz weiter bestehen bleibt. Ausserdem besitzt die Gemeinschaft zwar eine Ausnahmegenehmigung, um mit alternativen Formen lokaler Energieerzeugung zu experimentieren. Das entsprechende Gemeindegebiet vollständig vom Hauptstromnetz abzukoppeln, ist ihr jedoch gesetzlich untersagt.
Hybride Energiesysteme als vielversprechendste Lösung
Lokale Energieautarkie ist ein vielversprechender Weg, um erneuerbare Energien zu fördern und allen Zugang zu Strom zu ermöglichen. Ob sie in jedem Fall realisierbar oder wünschenswert ist, muss aber von Fall zu Fall betrachtet werden.
Ob lokale Autarkie realisierbar oder wünschenswert ist, muss von Fall zu Fall betrachtet werden.
Die Entwicklung hin zu einem stärker dezentralisierten Energiesystem bedeute nicht, dass nun allerorten vollständig autarke Systeme entstünden, heisst es in der Studie. Eher dürften mehr Energiesysteme aufkommen, die traditionelle und autarke Energiequellen zusammenbringen. Hybride Energiesysteme kombinieren fossile Brennstoffe und erneuerbare Energien – und sind so allemal schon eine Alternative zur ausschliesslichen Nutzung herkömmlicher Energiequellen.
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