Sind energieautarke Areale die Zukunft?

Der energieautarke Betrieb von einzelnen Gebäuden ist kostspielig und herausfordernd. Auf Arealstufe dagegen sind die Voraussetzungen für Autarkie aufgrund von Skaleneffekten besser.

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Luftbild eines Areals mit drei grossen und mehreren kleinen Gebäuden, deren Dächer alle mit Photovoltaikpanels belegt sind

Sich selbst mit Energie versorgen zu können, ist aufgrund der aktuellen Energiekrise attraktiver denn je. Während sich eine komplette Autarkie auf Stufe Gebäude kaum wirtschaftlich realisieren lässt, bergen sich selbst versorgende Areale oder gar Quartiere viel Potenzial. Auf dieser Ebene ermöglichen Skaleneffekte einen rentableren Betrieb von Energieerzeugern und -speichern.

Vor- und Nachteile von autarken Arealen

Russell McKenna, Leiter des Labors für Energiesystemanalysen am Paul Scherrer Institut (PSI) und Professor für Energiesystemanalyse an der ETH Zürich, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema Autarkie. Aufgrund seiner Untersuchungen ist er überzeugt, dass sich Energieautarkie in einem Verbund verschiedener Gebäude – sei es eine Siedlung, ein Areal, ein Stadtquartier oder gar eine kleine Gemeinde – am ehesten sinnvoll realisieren lässt. «In dieser Grössenordnung kann man die Kilowattstunde Energie kostengünstiger produzieren und speichern als bei einem einzelnen Gebäude», erklärt McKenna. Zudem seien bestimmte technische Lösungen erst ab einer gewissen Grösse überhaupt möglich, so etwa thermische Netze oder umfangreiche Wärmespeicher.

Der Energiebedarf verteilt sich

Der Zusammenschluss vieler Haushalte bringt einen weiteren Vorteil: Die Nachfragespitzen verteilen sich besser. Der Stromverbrauch eines Haushalts ist grundsätzlich sehr unregelmässig und schwer prognostizierbar. «Die meisten Leute beginnen nicht immer um die exakt gleiche Uhrzeit mit dem Kochen, Waschen oder Fernsehen», sagt McKenna. Ein kleines Energiesystem für wenige Haushalte gerate daher schnell an seine Grenzen, wenn per Zufall mehrere grosse Verbraucher gleichzeitig eingeschaltet werden. «Versorgt ein System dagegen 100 oder sogar 1000 Haushalte, gleichen sich die Bedarfsspitzen aus und das Nachfrageprofil wird vorhersehbarer.»

Nahaufnahme des Programmwahl-Knopfs einer Waschmaschine
In einem kleinen Energiesystem sind Nachfragespitzen, wie sie grosse Verbraucher wie die Waschmaschine verursachen, nur schwer prognostizierbar. (Foto: Pixabay/moerschy)

Einschränkungen vorhanden

Der PSI-Forscher schränkt ein, dass die Möglichkeit einer Areal-Autarkie stets auch von den geologischen und geographischen Gegebenheiten abhänge. Einfacher zu realisieren ist sie tendenziell im ländlichen Raum, weil sich dort oft Bioenergie nutzen lässt, die Versorgungslücken im Winter decken kann. Zudem steht auf dem Land genug Platz für Windkraft und für Speicher zur Verfügung. «In urbanen Gebieten hingegen, die sehr dicht besiedelt sind, fehlt oft der Platz für die Erzeugungsanlagen», erläutert McKenna. «Dadurch bräuchte man sehr grosse Speicherkapazitäten, für die aber ebenfalls nicht genug Freiraum vorhanden ist.» Energieautarke Areale sind also möglich – aber nicht überall sinnvoll.

Areal mit hohem Autarkiegrad

Komplett autarke Areale gibt es noch kaum in der Schweiz. Ein Gelände, das diesem Ziel sehr nahekommt, ist die 2020 fertiggestellte Siedlung «Am Aawasser» in Buochs NW. Sie umfasst drei Gebäude mit 26 Mietwohnungen sowie Gewerberäume mit einer Fläche von 600 m2. «Wir wollten ein Quartier mit einer CO2-neutralen Energieversorgung, minimalem Verbrauch und einer möglichst hohen Autarkie schaffen», sagt Initiant und Investor Sämi Zgraggen von SANI Immobilien. «Dadurch versprachen wir uns nicht nur bessere Marktchancen, sondern konnten auch faire Mietpreise bieten und etwas Gutes für die Umwelt tun.»

Drei grosse Wohngebäude an einem breiten Fluss
Die Engelberger Aa, die direkt am Areal vorbeifliesst, trägt über ein Wasserkraftwerk zur Versorgung des Areals bei. (Foto: Rita Pauchard)

Erneuerbare Energieversorgung

Die Energieversorgung des Areals basiert auf einer Kombination verschiedener erneuerbarer Erzeuger. Alle Dachflächen auf dem Gelände sind mit Photovoltaikmodulen belegt, deren Leistung insgesamt 124 kWp beträgt. Weil das Grundstück an der Engelberger Aa liegt, versorgt zudem ein Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 45 kW die Siedlung. Derzeit produziert das Kraftwerk noch nicht mit der vollen Leistung, im Endausbau wird sie bei 65 kW liegen. Photovoltaik (120’000 kWh) und Wasserkraft (330’000 kWh) produzierten 2021 zusammen 450’000 kWh Strom. Der Jahresenergiebedarf des Areals betrug im selben Jahr nur 325’000 kWh Strom; rund 115’000 kWh konnten daher in das öffentliche Netz eingespeist werden. Die Wärmeversorgung inklusive Warmwasserbereitung übernimmt eine Grundwasser-Wärmepumpe. Für die Beheizung der Gebäude liefert sie jährlich rund 110’000 kWh.

Saisonaler Speicher vorbereitet

Überschüssige Energie kann vor Ort in einem Batteriespeicher mit einer Kapazität von 260 kWh sowie in drei Warmwassertanks mit einem Volumen von insgesamt 10’500 l gespeichert werden. Damit erreicht die Siedlung einen Autarkiegrad von rund 90 %. Grundsätzlich wäre eine hundertprozentige Autarkie möglich. Dazu würde überschüssiger Strom durch verschiedene chemische Verfahren in Methanol umgewandelt und dieses in einem bereits verbauten Tank mit einem Fassungsvermögen von 10’000 l gespeichert. Bei Bedarf liesse sich das Methanol in einer Brennstoffzelle in Wärme sowie Strom umwandeln und könnte die Versorgung sicherstellen, wenn die arealeigenen Erzeuger nicht ausreichen. «Die nötigen technischen Anlagen haben wir bisher nicht installieren lassen, weil sich die rechtlichen Abklärungen hinziehen», erklärt Zgraggen. Zudem sei es bisher wirtschaftlicher gewesen, den Restenergiebedarf aus dem öffentlichen Netz zu beziehen. «Je nach Entwicklung der Preise könnte sich dies aber ändern – in diesem Fall würden wir die Realisierung der Methanol-Anlage prüfen.»

Grüner Tank auf einer Baustelle
Der Methanoltank wurde bereits beim Bau in den Boden eingesetzt, der Rest der Anlage ist aber noch nicht installiert. (Foto: SANI Immobilien AG)

Effizienz und Energie-App

Den bereits heute hohen Autarkiegrad von 90 % erreicht die Siedlung «Am Aawasser» nicht nur dank der breit aufgestellten Erzeuger- und Speicherpalette, sondern auch durch Effizienzmassnahmen. Die Immobilien wurden nach Minergie-Standard realisiert und sind damit hochwertig gedämmt. Alle Wohnungen verfügen über eine Grundbeleuchtung aus sparsamen LED-Leuchten und eine Wärmerückgewinnungsanlage in den Duschen. Bei den Haushaltsgeräten setzte die Eigentümerschaft konsequent auf die energieeffizientesten Modelle.

Ein entscheidender Aspekt für die Energieeffizienz ist auch das Nutzerverhalten. «Wir haben für die Mieterinnen und Mieter zusammen mit einem Partner eine App entwickelt, die ihren aktuellen Verbrauch anzeigt», sagt Zgraggen. «So wissen sie jederzeit, wie viel vom im Mietpreis integrierten Energiebudget sie noch zur Verfügung haben.» Bezieht jemand mehr energetische Leistung, als das Budget vorsieht, muss diese separat bezahlt werden – gemäss Zgraggen ist dies aber noch nie vorgekommen. Damit scheint der Anreiz für die Bewohnenden, sparsam mit der Energie umzugehen, sehr gut zu funktionieren.

Fazit: Es ist möglich

Das Beispiel der Siedlung in Buochs zeigt, dass autarke Areale in der Schweiz durchaus möglich sind. Die grösste Hürde war bisher die Wirtschaftlichkeit von saisonalen Speichern oder anderen Formen von Spitzenlastabdeckung. Je nach Entwicklung der Energiepreise könnte eine komplette Autarkie auf Stufe Areal finanziell lukrativ werden. Gefragt sind aber auch innovative Investoren wie Sämi Zgraggen, die bereit sind, neue Wege zu gehen.