Studie: Energiewende mit fossiler Energie beschleunigen lohnt sich

Zwei Forscher der Empa St. Gallen haben mit einer Modellrechnung aufgezeigt, dass sich die Energiewende innert weniger Jahre realisieren liesse. Lastet man dabei die fossilen Kraftwerke ein letztes Mal voll aus, resultieren insgesamt die tiefsten CO2-Emissionen.

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Rauchende Schlote und dampfende Kühltürme in grüner Landschaft

Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich die 175 unterzeichnenden Staaten auf eine Reduktion der Treibhausgasemissionen geeinigt. Die Umsetzung des rechtlich verbindlichen Übereinkommens zielt darauf ab, die durchschnittliche globale Erwärmung auf deutlich unter 2° Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, idealerweise sogar unter 1,5° Celsius.

Die Schweiz hat sich verpflichtet, die Treibhausgase noch in diesem Jahrzehnt um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, bis 2050 gar auf Netto-Null. Trotz aller Bemühungen der beteiligten Länder ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlen. Doch die Dringlichkeit, den CO2-Ausstoss schnellstmöglich drastisch zu reduzieren ist hoch, das bestätigt auch Studienautor Harald Desing von der Empa St. Gallen, denn: «Je später wir handeln, desto massiver und schneller werden die Veränderungen sein müssen.» Gemeinsam mit Rolf Widmer hat Desing vor Kurzem eine Modellrechnung entwickelt, mit der aufgezeigt werden kann, dass die Transformation hin zu einer fossilfreien Energieversorgung innert weniger Jahre über die Bühne gehen könnte.

CO2-Emissionen stabilisieren

Bereits heute sind die Auswirkungen des Klimawandels überall auf der Welt zu spüren. Dies nicht nur durch die Hitzebelastung, die sich insbesondere in Städten stark bemerkbar macht. Auch Extremereignisse wie Starkregen oder Trockenperioden werden immer mehr zum Problem. Hauptursache dafür sind die Treibhausgase, die unter anderem durch die Verbrennung fossiler Energien wie Öl, Gas und Kohle in die Atmosphäre gelangen. Die Treibhausgase lassen Sonnenlicht ungehindert auf die Erde strahlen, hindern aber die Wärmerückstrahlung, was zu höheren Temperaturen führt. Bewegte sich die CO2-Konzentration vor 1 Million Jahre zwischen 180 und 280 ppm (parts per Million), beträgt sie heute bereits 420 ppm. Damit liegt sie klar über dem von Klimawissenschaftlern als langfristig sicher angesehenen Limit von 350 ppm, einem Wert der bereits 1988 überschritten wurde.

Treibhausgasemissionen vermeiden und dauerhaft senken

Damit diese Entwicklung nicht einfach wie bisher fortschreitet, braucht es jetzt griffige Massnahmen, um künftige Emissionen zu vermeiden und die Treibhausgase langfristig dauerhaft zu senken. Genau das legt auch der kürzlich erschienene dritte Teil des vom Weltklimarat IPCC herausgegebenen Weltklimaberichts nahe. Laut den Autorinnen und Autoren muss der Ausstoss von Treibhausgasen bereits ab 2025 drastisch sinken, will man sich die Chance nicht gänzlich verbauen, die Erwärmung bei 1,5° Celsius zu stabilisieren.

Schnelle Transformation ist möglich

Bei ihrer Studie haben die beiden Empa-Forscher den Fokus auf die physikalischen Grenzen für die Beschleunigung der Transition gelegt. «Wir sind der Frage nachgegangen, wie schnell die Energiewende im besten Fall machbar ist, und ob die schnellstmögliche Transition auch die optimale Lösung für das Klima ist», erklärt Desing. Mit der von ihnen entwickelten Modellrechnung konnten sie nun aufzeigen, dass eine sehr schnelle Transformation hin zu einer fossilfreien Energieversorgung tatsächlich mit den insgesamt geringsten CO2-Emissionen verbunden ist. Sie plädieren deshalb dafür, die «fossile Maschine» – die fossilen Kraftwerke – ein letztes Mal auf voller Leistung zu nutzen, um damit die «solare Maschine» aufzubauen.

Einzige Alternative zu fossiler Energie: die Sonne

Für den Ersatz der «fossilen Maschine», also der Energieversorgung aus fossilen Quellen, gibt es eine einzige Möglichkeit: die direkte Nutzung der Sonnenenergie. Sämtliche anderen erneuerbaren Energieressourcen verfügen innerhalb der planetaren Grenzen über ein zu kleines globales Potenzial. Dass die Nutzung von Solarenergie auf bereits bebauten Oberflächen wie Dächern, Parkplätzen und anderen Flächen keine weitere Bodenversieglung zur Folge und damit auch keine weiteren Auswirkungen auf die Biodiversität hat, ist ein weiterer Vorteil.

Flächen und Pfeile zeigen die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energiequellen auf der Erde
Will man den Energiehunger der Menschheit künftig mit erneuerbaren Energien stillen, reicht einzig das Potenzial Sonne aus. (Grafik: H. Desing et al.)

Ein letztes Mal Vollgas geben

Doch birgt der Ausbau der Solarenergie auch ein paar Tücken. Eine davon ist die grosse Menge an Energie, die für den Bau der solaren Infrastruktur benötigt wird. Um die Transition möglichst schnell voranzubringen, müssen laut den Forschern dafür die normalerweise ungenutzten Reserven der Kraftwerke eingesetzt werden. Diese Strategie, bei der die «fossile Maschine» ein letztes Mal voll ausgelastet wird, führt zu einem schnellen Zuwachs an Solarpanels und die verfügbare Solarenergie steigt exponentiell. Zwar würden die CO2-Emissionen während dieser Zeit um 40 Prozent zunehmen, doch über die gesamte Energiewende gerechnet lassen sich mit diesem Szenario die tiefsten CO2-Emissionen erzielen. Ist der Übergang von fossil zu solar abgeschlossen, kann die «fossile Maschine» ausser Betrieb genommen werden. Nach den Berechnungen von Harald Desing und Rolf Widmer könnte dies bereits nach fünf Jahren der Fall sein.

Lebensstil anpassen statt Speicher bauen

Eine solare Gesellschaft wird allerdings nicht ohne Speichermöglichkeit auskommen. Und deren Herstellung ist ebenfalls energieintensiv, was die Transformation verlangsamt. «Wesentlich wirksamer als der Bau von Speichern wäre es, unseren Lebensstil zu ändern, damit unser Energiebedarf besser auf die Solarstromproduktion abgestimmt ist», sagt Desing. «Sonnenblumengesellschaft» nennt er die Gesellschaft, die ihre energieintensiven Aktivitäten auf die Mittagszeit und den Sommer legt, dafür im Winter und nachts, wenn weniger Solarstrom gewonnen wird, ihre Aktivitäten so weit wie möglich runterfährt. Der Speicherbedarf liesse sich so auf ein Minimum reduzieren, die Transition wesentlich beschleunigen und die Klimarisiken liessen sich reduzieren.

Mehrfamilienhäuser mit Solaranlagen auf dem Dach und an der Fassade
Die Nutzung von Solarenergie auf Dächern und an Fassaden verursacht keinen zusätzlichen Flächenverbrauch. (Foto: Schweizer Solarpreis 2019)

Saubere Atmosphäre schaffen

Doch auch damit ist die Energiewende noch nicht abgeschlossen. Um die CO2-Konzentration wieder unter dem sicheren Wert von 350 ppm stabilisieren zu können, muss die Atmosphäre auch noch aufgeräumt werden. Dabei gilt es, das CO2 direkt aus der Atmosphäre zu entfernen. Weil das sogenannte Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) wiederum ein energieintensives Unterfangen ist, soll es erst nach der Transformation geschehen, wenn nur noch die «solare Maschine» in Betrieb ist. Nach erfolgreicher Transition und Aufräumaktion kann der Speicher- und Energiebedarf wieder steigen.

Finanzierung kein Hindernis

Laut Harald Desing wäre auch die Finanzierung einer solch schnellen Transformation durchaus machbar: «Heute wird laut dem International Monetary Found (IMF) jede Tonne CO2 mit 175 Dollar subventioniert. Insgesamt entspricht dies 6,8 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Würde man dieses Geld in den Aufbau der Photovoltaik stecken, könnte man die Transition innerhalb eines Jahrzehnts vollziehen.» Die Herausforderung sieht der Experte nicht beim Geld, sondern viel eher bei der Verfügbarkeit der notwendigen Ressourcen wie etwa Silber oder Lithium. Die allergrösste Hürde ist jedoch gesellschaftlicher Natur. Da sich die Klimafolgen über die Jahrzehnte entfalten und die Notwendigkeit einer Veränderung für viele Menschen noch zu wenig stark spürbar ist, ist es schwierig, etablierte Verhaltensweisen zu verändern. Um diese «Trägheit des Systems» zu überwinden, braucht es kreative und attraktive Visionen, die es uns erlauben, den notwendigen Veränderungsprozess innerhalb weniger Jahre zu realisieren. Und auch auf politischer Ebene müsste sich der klare Wille durchsetzen, dass dem Thema höchste Priorität beizumessen ist.

Referat von Harald Desing im Video

Energieperspektiven für ein lebensfreundliches Klima – Vortrag anlässlich des Futurological Congress 2021 in Bozen.

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  • Jack church

    Vor 2 Jahren

    Es ist schwer zu sagen, ob ihre Analyse richtig ist oder nicht. Ich müsste alle ihre Annahmen verstehen.
    Derzeit gibt es einfach nicht genug Menschen, um die Solarzellen abzubauen, herzustellen und zu installieren. Gleichzeitig muss Europa seinen Energieverbrauch um den Faktor 2-3 senken.
    Wenn wir unsere Systeme nicht drastisch ändern, wird das Problem unlösbar. Doch die Menschen werden ihren Lebensstil nicht in dem Maße ändern, das erforderlich wäre, um den Temperaturanstieg auf 2 °C zu begrenzen.
    Eine wahrhaft beunruhigende Situation.

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  • Jürg Jehle

    Vor 2 Jahren

    1304 bis 2198 Std Sonnenscheindauer, je nach Standort, hat MeteoSchweiz von 1981-2010 gemessen.
    👉Es ist erstaunlich, dass die Solarbranche, Politik und Medien solche Stunden nicht bestätigen, wo doch SolarAnlagen AKW ersetzen sollen, welche über 8000 Stunden pro Jahr volle Leistung produzieren und wo nie alle AKW gleichzeitig kein Strom produziert haben. Im Gegensatz zu Sonne und Wind.
    👉Nötig wäre eine gezielte Politik, die Energiewende und CO2-Klimawandel zum Ziel hat.
    👉 Künftig steigen Strom-Verbrauch und -Leistung zum speichern von Wasser, Strom, Wasserstoff, für eMobilität, Wärmepumpen, Bevölkerungszuwachs +20%, Digitalisierung und
    ERSATZ von KKW, Öl, Kohle, Gas, CO2 usw.
    👉„Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch elektrischer Leistung muss jederzeit gegeben sein.“ (Speicher sind Verbraucher und Lieferant)

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