Um ein Gebäude mit geringen Umweltauswirkungen zu realisieren, muss man auch die CO2-Emissionen aus der Erstellung reduzieren. Die Wahl von Baustoffen mit einer guten Ökobilanz ist dabei ein wesentlicher Faktor, wie eine neue Studie bestätigt.
Ab den 1990er-Jahren legten viele Bauherrschaften und Fachleute, die umweltschonend bauen wollten, den Fokus auf den Betrieb. Das Ziel lautete, Gebäude mit einem möglichst tiefen Energieverbrauch zu entwickeln und die CO2-Emissionen aus der Wärmeversorgung zu reduzieren. Dazu setzte man auf bessere Dämmungen und erneuerbare Energiequellen. Seit einigen Jahren geht man einen Schritt weiter: Vor dem Hintergrund des Netto-Null-Ziels betrachtet man vermehrt den gesamten Lebenszyklus der Gebäude – auch ihre Erstellung.
Abbau, Verarbeitung, Produktion und Transport vieler Baustoffe sind nämlich energieintensiv und mit teilweise hohen Treibhausgasemissionen verbunden. Diese Emissionen, die ein Material vor dem Einsatz in einer Immobilie verursacht, nennt man graue Emissionen. Sie gilt es zu reduzieren, um den Schweizer Gebäudepark fit zu machen für eine klimaneutrale Zukunft. Wie gelingt das?
Rohbau erhalten
Der wahrscheinlich wichtigste Hebel ist der Umgang mit dem Bestand, denn schliesslich steht der Gebäudepark der Zukunft zu einem Grossteil bereits. Heute werden viele Immobilien abgerissen, wenn sie den Anforderungen an Komfort und Raumbedarf nicht mehr genügen. Das Problem dabei: Ein Ersatzneubau verursacht in den meisten Fällen deutlich mehr CO2-Emissionen als die Sanierung eines bestehenden Gebäudes. Das hängt damit zusammen, dass der Grossteil der grauen Emissionen auf den Rohbau entfällt, also die Tragstruktur eines Bauwerks. Bei einer Sanierung bleibt diese erhalten, bei einem Abriss mit Ersatzneubau hingegen nicht. Wenn immer möglich sollten Bestandsbauten also modernisiert werden, um die neuen Emissionen zu minimieren. Ältere Immobilien lassen sich durch eine energetische Sanierung, eine Umnutzung und/oder eine Erweiterung durchaus an veränderte Ansprüche anpassen.
Graue Emissionen reduzieren
Ganz ohne Neubauten werden wir natürlich auch in Zukunft nicht auskommen. Es ist aber möglich, die damit verbundenen grauen Emissionen zu reduzieren. Wie das gelingt, hat die vom Beratungsunternehmen Intep und von der ETH Zürich durchgeführte Studie «ZeroStrat: Strategien für Neubauten mit Niedrigstemissionen in der Erstellung» untersucht.
Konstruktive Ansätze
Ein Teil der 2023 publizierten Untersuchung befasste sich mit planerischen Grundsätzen zur CO2-Vermeidung. Genannt werden beispielsweise:
Das Verhältnis zwischen der Fassadenfläche und den beheizten Flächen sollte möglichst klein sein. Sehr lange oder sehr hohe Gebäude verursachen mehr Emissionen.
Es ist effizienter, mehrere Wohneinheiten in einem Gebäude zu vereinen, als viele kleine Gebäude mit derselben Anzahl Wohnungen zu realisieren. Empfohlen werden zwischen 10 und 20 Einheiten in einem Gebäude.
Der Bau von Untergeschossen ist wegen des hohen Betonbedarfs emissionsintensiv und sollte daher auf das Nötigste beschränkt werden.
Im Gegensatz zur Massiv- oder Hybridbauweise sind in Leichtbau erstellte Bauten weniger emissionsintensiv.
Die Herstellung von Glas ist sehr energieintensiv. Daher sollten die verglasten Flächen einer Fassade nicht grösser sein als nötig und so tief wie möglich – als Richtwert nennt die Studie 35 Prozent Verglasungsanteil.
Die Relevanz der Ansätze variiert je nach Standort des Gebäudes und Konstruktionstyp. Es ist auch möglich, dass sich daraus Zielkonflikte ergeben, beispielsweise zwischen dem Verglasungsanteil und der Tageslichtnutzung. Entscheidend ist, dass sich Bauherrschaften, Architektinnen und Fachplaner in einer möglichst frühen Projektphase damit beschäftigen, wie sich die grauen Emissionen auf ein Minimum senken lassen.
Innovative, emissionsarme Baustoffe
Nebst diesen planerischen Methoden widmete sich die Studie auch der Frage nach innovativen Materialien, die im Vergleich zu konventionellen Baustoffen mit tieferen grauen Emissionen verbunden sind. Es galt, geeignete Produkte zu ermitteln und sie wenn möglich in die bestehende Liste «Ökobilanzdaten im Baubereich» der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) aufzunehmen. In dieser Liste sind die Umweltauswirkungen unzähliger Baustoffe aufgeführt, so etwa der Primärenergiebedarf oder die Treibhausgasemissionen aus Erstellung und Entsorgung. Damit können sich Baufachleute und Besteller rasch einen Überblick verschaffen und geeignete Materialien mit geringen grauen Emissionen finden.
Vielversprechende Innovationen
Um passende Materialien zu finden, erstellten die Studienautorinnen und -autoren zuerst eine Longlist mit 98 emissionsarmen Baustoffen. Sie berücksichtigten dabei mehrheitlich Materialien, die in der Schweiz hergestellt und verbaut werden sowie zur hiesigen Bauweise und zu den klimatischen Bedingungen passen. Nach einer genaueren Untersuchung wählten die Forschenden schliesslich 30 besonders vielversprechende Baustoffe aus. Diese Shortlist umfasste Baustoffe respektive Bauteile aus den folgenden Bereichen (in Klammern die Anzahl der ermittelten Baustoffe):
Dämmstoffe (9)
Beton (4)
Fertigbauteile, Platten, Putze (3)
Mauerziegel, Zement, Akustikelemente (2)
Verbundholz, Handsicherung (1)
Zu diesen Baustoffen gehörten beispielsweise Mauerziegel aus Lehm, Dämmplatten aus Stroh, vorfabrizierte Decken- und Dachelemente aus Holz oder auch Dämmung aus Hanffasern oder Schafwolle. Sechs der Hersteller von Produkten auf der Shortlist liessen die Ökobilanz ihrer Produkte ermitteln, wobei sie von den Forschenden unterstützt wurden. Damit haben Planende und Bauherrschaften nun eine grössere Auswahl an umweltschonenden Baustoffen mit nachgewiesener Ökobilanz.
Potenzial nachhaltiger Baumaterialien
Ein dritter Untersuchungsblock der Studie widmete sich der Frage, wie stark sich die grauen Emissionen eines Gebäudes reduzieren lassen, wenn man Baustoffe mit guter Ökobilanz verwendet. Dazu prüften die Forschenden innovative Dämmstoffe auf Basis von Gras, Hanf, Stroh und Zellulose sowie Beton-Ersatzstoffe wie Lehm oder vorgefertigte Holzelemente. Dies geschah allerdings nicht in einem realen Gebäude, sondern anhand des digitalen Modells eines typischen Mehrfamilienhauses. Anschliessend wurde berechnet, welchen Einfluss der Einsatz der innovativen Baustoffe auf die Gesamtemissionen des fiktiven Gebäudes hat.
Neubauten und Sanierung simuliert
Die Studie spielt verschiedene Szenarien mit konventionellen und innovativen Baustoffen durch, und zwar bei zwei unterschiedlichen Neubauten (Betonbau und Holzbau) und einer Sanierung. Dabei zeigte sich, dass die grauen Emissionen bereits um 20 % sinken, wenn man einen konventionellen Holzbau anstelle eines konventionellen Betonbaus erstellt. Ein noch besseres Ergebnis – eine Reduktion der grauen Emissionen um gut 45 % – ergab sich, wenn der Holzbau mit alternativen Dämmstoffen und Fertigteilen wie Systemdecken kombiniert wurde. Am besten schneidet die Sanierung bestehender Bauten ab, denn damit lassen sich die grauen Emissionen um bis zu 65 % senken. Verwendet man innovative, umweltschonende Baustoffe und Bauteile, sind gar Reduktionen von etwa 75 % möglich.
Fazit: Massnahmen kombinieren
Die Autorinnen und Autoren folgern, dass eine Annäherung ans Netto-Null-Ziel am ehesten mit einer Kombination verschiedener Massnahmen erreicht wird. Es braucht dazu materialübergreifende Handlungsansätze ebenso wie innovative Baustoffe und Bauteile. Die Untersuchung zeigte auch, dass die Hersteller dieser Produkte oft Unterstützung benötigen, um die Ökobilanz ihrer Materialien zu erstellen und diese in die KBOB-Liste aufnehmen zu lassen. Dies sind wichtige Schritte, um die Vorteile und das Potenzial solcher emissionsarmer Baustoffe sichtbar zu machen – denn nur wenn Entscheider auf diese Informationen zugreifen können, werden künftig mehr CO2-optimierte Immobilien gebaut.
Dass CO2-neutrale Gebäude möglich sind, will das Projekt OPENLY unter Beweis stellen. Das Pilotprojekt steht in Widnau im St. Galler Rheintal – ein Mehrfamilienhaus, das netto null Emissionen verursacht.
Im Podcast «Die Zukunft des Bauens» spricht Peter Richner, stellvertretender Direktor der Empa, mit seinen Gästen über Innovationen und andere zukunftsträchtige Themen in der Baubranche.
Auch hier war OPENLY bereits Thema, Gründer Andy Keel war zu Gast in Episode 42.
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