Baustoff Lehm: Zurück in die Steinzeit?

Lehm als Baustoff mag archaisch anmuten: Aber tatsächlich wurde das Naturmaterial bei uns erst vor rund 100 Jahren verdrängt, nicht zuletzt vom heute allgegenwärtigen Beton.

5 Min.
Junge Frau in Labormantel beugt sich über einen Tisch mit Schalen, gefüllt mit erdigen Materialien von klumpig bis pulvrig.

Während der Stern des Betons im Sinken begriffen ist, vor allem aus Nachhaltigkeits­erwägungen, werden natürliche Alternativen wie Lehm wiederentdeckt. Und das aus gutem Grund.

Die Weltbevölkerung wächst. Für die Schweiz prognostiziert das Bundesamt für Statistik eine Bevölkerungszahl von bis zu 10,44 Millionen bis ins Jahr 2050, je nach Szenario. Mit weitreichenden Auswirkungen. Menschen brauchen Wohn- und Arbeitsraum, eine wachsende Bautätigkeit ist die logische Konsequenz. Doch Bauen ist einer der grössten Klimasünder. Allein bei der Zementherstellung entstehen rund sieben Prozent aller Treibhausgasemissionen weltweit.

Lehm ist ein Baustoff mit vielen Vorteilen

Bei der Suche nach klimafreundlichen Alternativen werden nicht nur innovative Materialien, sondern auch Baustoffe, die seit langem bekannt sind, interessant. Insbesondere Lehm kommt in Form von Innen- und Aussenputzen, Leichtbauplatten, Lehmsteinen, Leicht- oder Stampflehm sowie in Fertigteilen immer öfter zum Einsatz.

Wohnraum mit halb verlegtem Holzboden, auf der noch offenen Seite sind Heizungsleitungen zu sehen.
Die unsichtbare Lehmschüttung in der Holz-Hohlkastendecke aus vorfabrizierten Elementen dient als Energiespeicher. (Gebäude: OPENLY Valley Widnau, Foto: Thomas Elmiger)

Die Chancen liegen vor allem in den ökologischen und physikalischen Eigenschaften dieses Baustoffs. Lehm verfügt über gute Eigenschaften bei der Wärme- und Feuchtigkeits­regulierung, da er die Fähigkeit hat, Feuchtigkeit zu absorbieren und wieder abzugeben. Das trägt zur Regulierung des Raumklimas bei. Die guten wärmedämmenden Eigenschaften verbessern zudem die Energieeffizienz des Gebäudes. Auch die Schallschutz­eigenschaften sind hervorragend. Nicht zuletzt ist Lehm an vielen Orten im Erdreich natürlich vorhanden – lange Transportwege können so vermieden werden.

Gesucht wird ein Ersatz für Zement

Auch Forschende der Empa beschäftigen sich mit Baumaterialien, welche die klimaschädlichen Auswirkungen im Bau senken. Am «Concrete & Asphalt Lab» der Empa in Dübendorf untersucht die Forscherin Ellina Bernard (unser Titelbild) das Potenzial von Lehm als nachhaltigem Baustoff. Die Voraussetzungen sind günstig: Schliesslich ist Lehm an vielen Orten in grossen Mengen verfügbar, lässt sich emissionsfrei wiederverwerten und punktet durch gute Eigenschaften bei der Verarbeitung.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Um einen stabilen Baustoff zu erhalten, wird dem Lehm Zement beigemischt. Damit wird die gute Klimabilanz zumindest teilweise wieder zunichte gemacht. Das Empa-Team will darum neue Standards für die Zusammensetzung und die mechanische Belastbarkeit von Lehm definieren und so ein nachhaltiges alternatives Baumaterial für die industrielle Anwendung entwickeln.

Glasgefäss gefüllt mit Schichten verschiedener körniger bis pulverförmiger Materialien
Erdige Rohstoffe: Lehm besteht aus Tonmineralen, Sand und feinkörnigen Silt-Sedimenten. Für stabiles Bauen müssen weitere Zusatzstoffe beigemengt werden. (Foto: Empa)

Die Herausforderung besteht darin, ein stabilisierendes Bindemittel zu finden, das Lehm eine Stabilität verleiht, die mit der von Beton vergleichbar ist – aber ohne dessen klimaschädliche Auswirkungen. Eine Lösung könnte der Einsatz von Magnesiumoxid sein. Erste Laborexperimente haben vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf die Festigkeit ergeben. Doch bis zum Einsatz unter Realbedingungen ist es noch ein weiter Weg.

Einsatz von Lehm in der Praxis

Dass Lehm in Zukunft eine wichtige Rolle als nachhaltiger Baustoff spielen könnte, ist mittlerweile unbestritten. Bei der Aktualisierung des seit 25 Jahren bestehenden Minergie-Standards etwa wird Lehm als Baustoff ausdrücklich erwähnt.

Aktuell gibt es immer mehr Bauvorhaben, bei denen natürliche Baustoffe zum Einsatz kommen. Lehm ist beispielsweise auch ein Element des OPENLY-Bausystems. Firmengründer Andy Keel verfolgt damit das Ziel, Gebäude nicht erst im bewohnten Zustand möglichst emissionsarm zu betreiben, sondern bereits im Bauprozess und bei der Herstellung von Baumaterialien einige Tonnen CO2-Äquivalente an Emissionen einzusparen. Durch die Verwendung innovativer und natürlicher Baumaterialien und Ansätze sollen etwa 70 % der üblichen Emissionen im Bauprozess vermieden werden.

Treppenhaus in Beton, ein Muster aus Kreisen ziert die Wand hinter der Treppe mit Handlauf aus hellem Holz
Das Treppenhaus aus Beton bildet den Kern des Mehrfamilienhauses von OPENLY. Beigemischte Pflanzenkohle macht den Beton 30 % dunkler und reduziert den CO₂-Abdruck enorm. (Foto: Thomas Elmiger)

Neben Lehm sind Holz, Hanf, Kalk, Reuse-Stahlträger, Beton mit Pflanzenkohle und Naturstein die Baustoffe des innovativen Gebäudes. Das ermöglicht einen CO2-neutralen Bau. Lehm wird dabei in Form von 400 Tonnen Lehmschüttung als natürlicher Wärmespeicher in den Decken verwendet.

Kosten über den Lebenszyklus betrachten

Die Kosten für die Herstellung eines Hauses aus Lehm im Vergleich zu einem herkömmlichen Haus können stark variieren und sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Bisher ist das Erstellen von Gebäuden mit Lehm teurer als ein Vergleichsbau in herkömmlicher Bauweise. Das liegt vor allem daran, dass noch vieles in Handarbeit erstellt wird, weil es zu wenig industrielle Fertigungsstrukturen gibt. Wenn man jedoch die Kosten über den gesamten Lebenszyklus eines Baus, einschliesslich Entsorgung, kalkuliert, stellt sich die Bilanz von Lehmbauten schon besser dar. Entscheidend ist aber, bei der Planung und der Realisierung auf spezialisierte Unternehmen zu setzen, die über das notwendige Know-how bei der Verarbeitung von Lehm als Baustoff verfügen.

Fazit: Baustoff mit Zukunft

Lehm ist ein langfristig kostengünstiger Baustoff, von der Gebäudeherstellung über den Betrieb bis zur Entsorgung irgendwann in der Zukunft. Die ökologische Bilanz ist aufgrund des geringen Grauenergiebedarfes hervorragend. Klimafreundliches Bauen ist für die Erreichung der Schweizer Klimaziele im Rahmen der Energiestrategie 2050 ein wichtiger Faktor. Der Einsatz nachhaltiger Materialien wie Lehm wird dabei eine wichtige Rolle spielen und gleichzeitig zu einem guten Wohnklima beitragen.

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    Ulrich Hubeli

    Vor 6 Monaten

    Was mich immer wieder erstaunt, wieso so viele forschende einen grossen Bogen um Hanfbeton machen. Dieses Material wird nicht mal erforscht. Ist gegenüber vielen anderen Witterungsbeständig, schwerst brennbar und kann der Natur wieder zugeführt werden genauso wie Lehm…

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    • Thomas Elmiger
      Thomas Elmiger

      Thomas Elmiger

      Vor 4 Monaten

      An der Berner Fachhochschule haben wir ein Forschungsprojekt zu Hanfbeton gefunden. Gemäss Auskunft des Projektleiters wird der abschliessende Bericht gegen Ende 2024 erscheinen.