Baustoff Lehm: Zurück in die Steinzeit?
Lehm als Baustoff mag archaisch anmuten: Aber tatsächlich wurde das Naturmaterial bei uns erst vor rund 100 Jahren verdrängt, nicht zuletzt vom heute allgegenwärtigen Beton.
Lehm als Baustoff mag archaisch anmuten: Aber tatsächlich wurde das Naturmaterial bei uns erst vor rund 100 Jahren verdrängt, nicht zuletzt vom heute allgegenwärtigen Beton.
Verfasst von Irene M. Wrabel
Während der Stern des Betons im Sinken begriffen ist, vor allem aus Nachhaltigkeitserwägungen, werden natürliche Alternativen wie Lehm wiederentdeckt. Und das aus gutem Grund.
Die Weltbevölkerung wächst. Für die Schweiz prognostiziert das Bundesamt für Statistik eine Bevölkerungszahl von bis zu 10,44 Millionen bis ins Jahr 2050, je nach Szenario. Mit weitreichenden Auswirkungen. Menschen brauchen Wohn- und Arbeitsraum, eine wachsende Bautätigkeit ist die logische Konsequenz. Doch Bauen ist einer der grössten Klimasünder. Allein bei der Zementherstellung entstehen rund sieben Prozent aller Treibhausgasemissionen weltweit.
Bei der Suche nach klimafreundlichen Alternativen werden nicht nur innovative Materialien, sondern auch Baustoffe, die seit langem bekannt sind, interessant. Insbesondere Lehm kommt in Form von Innen- und Aussenputzen, Leichtbauplatten, Lehmsteinen, Leicht- oder Stampflehm sowie in Fertigteilen immer öfter zum Einsatz.
Die Chancen liegen vor allem in den ökologischen und physikalischen Eigenschaften dieses Baustoffs. Lehm verfügt über gute Eigenschaften bei der Wärme- und Feuchtigkeitsregulierung, da er die Fähigkeit hat, Feuchtigkeit zu absorbieren und wieder abzugeben. Das trägt zur Regulierung des Raumklimas bei. Die guten wärmedämmenden Eigenschaften verbessern zudem die Energieeffizienz des Gebäudes. Auch die Schallschutzeigenschaften sind hervorragend. Nicht zuletzt ist Lehm an vielen Orten im Erdreich natürlich vorhanden – lange Transportwege können so vermieden werden.
Auch Forschende der Empa beschäftigen sich mit Baumaterialien, welche die klimaschädlichen Auswirkungen im Bau senken. Am «Concrete & Asphalt Lab» der Empa in Dübendorf untersucht die Forscherin Ellina Bernard (unser Titelbild) das Potenzial von Lehm als nachhaltigem Baustoff. Die Voraussetzungen sind günstig: Schliesslich ist Lehm an vielen Orten in grossen Mengen verfügbar, lässt sich emissionsfrei wiederverwerten und punktet durch gute Eigenschaften bei der Verarbeitung.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Um einen stabilen Baustoff zu erhalten, wird dem Lehm Zement beigemischt. Damit wird die gute Klimabilanz zumindest teilweise wieder zunichte gemacht. Das Empa-Team will darum neue Standards für die Zusammensetzung und die mechanische Belastbarkeit von Lehm definieren und so ein nachhaltiges alternatives Baumaterial für die industrielle Anwendung entwickeln.
Die Herausforderung besteht darin, ein stabilisierendes Bindemittel zu finden, das Lehm eine Stabilität verleiht, die mit der von Beton vergleichbar ist – aber ohne dessen klimaschädliche Auswirkungen. Eine Lösung könnte der Einsatz von Magnesiumoxid sein. Erste Laborexperimente haben vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf die Festigkeit ergeben. Doch bis zum Einsatz unter Realbedingungen ist es noch ein weiter Weg.
Dass Lehm in Zukunft eine wichtige Rolle als nachhaltiger Baustoff spielen könnte, ist mittlerweile unbestritten. Bei der Aktualisierung des seit 25 Jahren bestehenden Minergie-Standards etwa wird Lehm als Baustoff ausdrücklich erwähnt.
Aktuell gibt es immer mehr Bauvorhaben, bei denen natürliche Baustoffe zum Einsatz kommen. Lehm ist beispielsweise auch ein Element des OPENLY-Bausystems. Firmengründer Andy Keel verfolgt damit das Ziel, Gebäude nicht erst im bewohnten Zustand möglichst emissionsarm zu betreiben, sondern bereits im Bauprozess und bei der Herstellung von Baumaterialien einige Tonnen CO2-Äquivalente an Emissionen einzusparen. Durch die Verwendung innovativer und natürlicher Baumaterialien und Ansätze sollen etwa 70 % der üblichen Emissionen im Bauprozess vermieden werden.
Neben Lehm sind Holz, Hanf, Kalk, Reuse-Stahlträger, Beton mit Pflanzenkohle und Naturstein die Baustoffe des innovativen Gebäudes. Das ermöglicht einen CO2-neutralen Bau. Lehm wird dabei in Form von 400 Tonnen Lehmschüttung als natürlicher Wärmespeicher in den Decken verwendet.
Die Kosten für die Herstellung eines Hauses aus Lehm im Vergleich zu einem herkömmlichen Haus können stark variieren und sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Bisher ist das Erstellen von Gebäuden mit Lehm teurer als ein Vergleichsbau in herkömmlicher Bauweise. Das liegt vor allem daran, dass noch vieles in Handarbeit erstellt wird, weil es zu wenig industrielle Fertigungsstrukturen gibt. Wenn man jedoch die Kosten über den gesamten Lebenszyklus eines Baus, einschliesslich Entsorgung, kalkuliert, stellt sich die Bilanz von Lehmbauten schon besser dar. Entscheidend ist aber, bei der Planung und der Realisierung auf spezialisierte Unternehmen zu setzen, die über das notwendige Know-how bei der Verarbeitung von Lehm als Baustoff verfügen.
Lehm ist ein langfristig kostengünstiger Baustoff, von der Gebäudeherstellung über den Betrieb bis zur Entsorgung irgendwann in der Zukunft. Die ökologische Bilanz ist aufgrund des geringen Grauenergiebedarfes hervorragend. Klimafreundliches Bauen ist für die Erreichung der Schweizer Klimaziele im Rahmen der Energiestrategie 2050 ein wichtiger Faktor. Der Einsatz nachhaltiger Materialien wie Lehm wird dabei eine wichtige Rolle spielen und gleichzeitig zu einem guten Wohnklima beitragen.
Titelfoto
Ellina Bernard forscht an der Empa (Foto: Empa)
Empa
OPENLY
IG Lehmbau
Die Kommunikationsberaterin und Journalistin ist unter anderem als freie Autorin tätig, einer ihrer Schwerpunkte ist dabei der Bereich Energiewirtschaft und Nachhaltigkeit.
Kommentare: Was denken Sie?
Ulrich Hubeli
Vor 6 Monaten
Was mich immer wieder erstaunt, wieso so viele forschende einen grossen Bogen um Hanfbeton machen. Dieses Material wird nicht mal erforscht. Ist gegenüber vielen anderen Witterungsbeständig, schwerst brennbar und kann der Natur wieder zugeführt werden genauso wie Lehm…
Thomas Elmiger
Vor 4 Monaten
An der Berner Fachhochschule haben wir ein Forschungsprojekt zu Hanfbeton gefunden. Gemäss Auskunft des Projektleiters wird der abschliessende Bericht gegen Ende 2024 erscheinen.