Bauteile wiederverwenden spart Energie und CO₂

Wie kann Bauen klimafreundlicher werden? Indem mehr vorhandenes Material weitergenutzt oder verwertet wird. Aus ökologischer Sicht besonders gut schneidet das Wiederverwenden von gebrauchten ganzen Bauteilen ab.

7 Min.
Auf einer alten Fabrikhalle mit gelber Backsteinfassade befindet sich eine dreigeschossige Aufstockung, mit Fenstern in unterschiedlichen Formaten und mit rostrotem Profilblech verkleidet

Beim Thema «Klimaschutz und Bauen» liegt der Fokus meist auf dem effizienten Betrieb. Gebäude sollen möglichst wenig Energie für Heizung, Kühlung, Beleuchtung und Ähnliches benötigen und möglichst geringe CO2-Emissionen verursachen. Das ist gut so. Allerdings geht dabei oft vergessen: Auch der Bau eines Hauses verschlingt viel Energie und generiert Treibhausgase (THG).

Energieeffiziente Bauten sind nicht automatisch klimafreundlich

Das Bauen selbst, die Rohstoffgewinnung, die Herstellung von Materialien und Bauteilen, ihr Transport sowie am Ende der Lebensdauer der Rückbau und die Entsorgung schlagen zu Buche bei der sogenannten grauen Energie und den entsprechenden THG-Emissionen. Gebäudelabel wie der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) und Minergie fordern einen Nachweis der THG-Emissionen aus Erstellung und Rückbau. Bei Fördergeldern oder gesetzlichen Vorgaben spielen die Emissionen aus Bau und Rückbau aber noch kaum eine Rolle.

Ein erneuerbar beheizter Neubau verursacht beim Bau im Schnitt dreimal mehr Treibhausgas-Emissionen als im Betrieb.

Dabei verbraucht ein energieeffizienter Neubau heute oft mehr Energie für die Erstellung als für den Betrieb über seine gesamte Lebensdauer. Ein erneuerbar beheizter Neubau verursacht beim Bau im Schnitt gar dreimal mehr THG-Emissionen als im Betrieb.

Die Erstellung fällt ins Gewicht

Soll der Bausektor wirklich klimafreundlich werden und das Netto-Null-Ziel erreichen, darf man also nicht ausschliesslich auf das fossilfreie Heizen und den energieeffizienten Betrieb fokussieren. Man muss die Erstellung einbeziehen, um auch dort den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren.

Aussentreppe aus Stahl vor einem alten Industriegebäude aus gelbem Backstein
Bestehendes länger nutzen: Der Kopfbau der Halle 118 in Winterthur ist mehrheitlich mit gebrauchten Bauteilen saniert und aufgestockt worden. Die Aussentreppe aus Stahl stammt von einem Abbruchgebäude in Zürich. (Architektur: Baubüro in situ, Stahlbau: H. Wetter AG, Foto: Martin Zeller, © Baubüro in situ AG)

Weniger neu bauen und Bestehendes länger nutzen wäre eine Massnahme. Muss doch neu oder umgebaut werden, sollten Materialien mit geringer Klimabelastung zur Anwendung kommen. Neben Holz aus regionalem Anbau werden beim klimafreundlichen Bauen oft auch Recycling-Baustoffe genannt. Recycling schont vor allem die Ressourcen bei den Rohstoffen und verringert die Abfallmenge. Allerdings lassen sich (noch) nicht alle Baumaterialien rezyklieren. Holz beispielsweise darf nur rezykliert werden, wenn es unbehandelt ist. Behandeltes Holz und Holzwerkstoffe wie Spanplatten oder Brettschichtholz werden heutzutage in der Regel verbrannt.

Stahl ist ideal fürs Recycling

Bei anderen Materialien ist Recycling sehr gut möglich und etabliert. Ein Paradebeispiel sind Stahlträger, die quasi verlustfrei und ohne Qualitätseinbussen rezykliert werden können. Die Recyclingquote von Baustahl liegt bei 98 %, der allermeiste verbaute Stahl bleibt also auch nach dem Abbruch eines Gebäudes im Materialkreislauf. Von Gesetzes wegen dürfen Stahlträger in der Schweiz auch gar nicht mehr auf Deponien entsorgt werden.

Sowohl der Energiebedarf als auch der Treibhausgasausstoss beim Recycling sind niedriger als bei der Herstellung von Primärstahl. Aber auch der Recyclingprozess braucht viel Energie: Der Schrott muss eingeschmolzen und das Material zu neuen Produkten verarbeitet werden. Unter ökologischen Aspekten noch besser wäre es, Stahlträger aus Abbruchobjekten als ganzes Bauteil in anderen Bauten wiederzuverwenden.

Stahlträger aus- und wieder einbauen

Für die Wiederverwendung, auch Re-Use genannt, eignen sich Stahlkonstruktionen sehr gut, weil die Bauteile im Ganzen ausgebaut werden können. Die Materialeigenschaften bleiben erhalten und bei lösbaren Verbindungen auch die Dimensionen und Ausformungen der Träger.

Links: Fabrikhalle mit Aufstockung – rechts: Aussentreppe erschliesst die dreigeschossige Aufstockung
Das Baubüro in situ stockte auf dem Lagerplatzareal in Winterthur den Kopfbau der Halle 118 um drei Geschosse auf. Die Fenster und die Fassadenverkleidung der Aufstockung sind wiederverwendet, ebenso die Aussentreppe aus Stahl. (Fotos: Martin Zeller, © Baubüro in situ AG)

Man kann einzelne Träger wiederverwenden oder komplette Strukturen. Letzteres hat das Baubüro in situ bei der Sanierung und Aufstockung des Kopfbaus der Halle 118 (K 118) auf dem Lagerplatzareal in Winterthur getan: Das Stahltragwerk der dreigeschossigen Aufstockung stand früher auf dem Lysbüchelareal in Basel. Erschlossen werden die aufgesetzten Räume von einer Aussentreppe aus Stahl, die von einem abgebrochenen Bürohaus in Zürich stammt. Auch sonst hat in situ für das Projekt mehrheitlich gebrauchte Bauteile und Materialien verwendet.

Re-Use ist klimafreundlich

Eine Studie zum K 118 kommt zum Schluss, dass durch die Wiederverwendung die Treibhausgasemissionen aus der Bauteilherstellung um rund 60 % reduziert werden konnten. Das entspricht 500 Tonnen CO2-Äquivalenten (COeq). Die wiederverwendeten Stahlträger hatten daran einen Anteil von 41,5 Tonnen oder 8,4 %.

Auf die Stahlbauteile heruntergebrochen sind die Zahlen noch deutlicher: Durch Wiederverwenden lassen sich 91 % der Treibhausgase vermeiden, die beim Herstellen von neuen Trägern aus Recyclingstahl entstehen. Die Treibhausgasbilanz würde erst zugunsten neuer Träger aus Recyclingstahl kippen, wenn die wiederverwendeten Stahlträger mehr als 590 km weit transportiert würden, wie eine weitere Studie zeigt.

Links: Ein Kran hebt ein Stahlbauteil für die Treppen-Montage. Rechts: Ein Monteur verschraubt Stahlträger zu einem Rahmen.
Die Stahltreppe wurde in Zürich demontiert und am K 118 in Winterthur wieder aufgebaut. (Fotos: Martin Zeller, © Baubüro in situ AG)

Materialverluste drücken die Klimabilanz

Weitere Aspekte beeinflussen die Treibhausgasbilanz von wiederverwendeten Stahlträgern: die Abschnitte, die Masse und der Aufwand für die Aufbereitung. Ersteres kommt davon, dass die Träger für den Einbau am neuen Ort häufig zugeschnitten werden müssen. 12 bis 25 % des ausgebauten Materials landen dadurch als Abschnitte im Recycling, wie Forschende der EPFL errechnet haben. Die Untersuchungen zeigten auch, dass wiederverwendete Stahlträger rund 20 % schwerer sind als neue. Um auf Nummer sicher zu gehen, werden Re-Use-Stahlträger in der Regel etwas überdimensioniert, denn die Materialeigenschaften sind meist nicht im Detail bekannt. Das führt dazu, dass 1 Tonne rückgebauter Stahlträger 0,67 bis 0,73 Tonnen neue Stahlträger ersetzt.

Wiederverwenden versus Recycling

Für die Wiederverwendung im Gebäude müssen Stahlträger allenfalls neu gestrichen, aber ansonsten nicht aufbereitet werden. Anders sieht es bei Stahlbauteilen im Aussenbereich aus, die für den Korrosionsschutz verzinkt sind. Das können etwa Stahltreppen sein oder Fahrleitungsmasten. Neu verzinken ist aufwendiger und mit mehr Emissionen verbunden als ein Anstrich. Allerdings werden verzinkte Elemente meist komplett wiederverwendet, sodass kaum Abschnitte anfallen. Und das wirkt sich sehr positiv auf die Klimabilanz aus, wie das Beratungsunternehmen Carbotech ermittelt hat.

Säulendiagramm: kg CO2 eq für Bauabfall unter Berücksichtigung von Deponierung, Entsorgung in KVA, Wiederaufbereitung und -verwendung, Sortierung und Transporten sowie mit Gutchriften für Energieersatz und Materialersatz
Klimaauswirkungen von Stahlträgern: Wiederverwenden schneidet besser ab als Recycling. Materialverluste durch Abschnitte und Überdimensionierung haben einen grösseren Einfluss auf die THG-Emissionen als ein hoher Aufbereitungsgrad. (Grafik: Carbotech AG; Lesbarkeit optimiert durch die Redaktion)

Neue Prozesse für die Kreislaufwirtschaft

All diese Zahlen und Erkenntnisse sind eindeutig. Trotzdem hat es das Wiederverwenden von Stahlträgern und anderen Bauteilen noch nicht aus der Nische herausgeschafft. Denn die Praxis ist kompliziert.

Andere Planungsprozesse sind nötig

Re-Use bedeutet, mit dem zu bauen, was verfügbar ist. Der herkömmliche Planungsprozess, bei dem die Beteiligten ein Tragwerk konzipieren und dann das entsprechende Material bestellen, funktioniert daher nicht. Zudem verlängert der aufwendige Qualitätsnachweis für die gebrauchten Träger die Zeit für deren Beschaffung. Zwar sind Re-Use-Stahlträger bis zu 20 % günstiger als neue. Allerdings kompensieren die kompliziertere Planung und Beschaffung diesen Preisvorteil meist wieder.

Kommerzielle Lieferketten

Damit der Aufwand für die Planerinnen und Planer sinkt und das Wiederverwenden von Bauteilen sich für Bauherrschaften auch finanziell lohnt, muss sich einiges ändern. Leitfäden, Bauteilbörsen oder Onlinedatenbanken für Materialdaten gibt es bereits. Doch damit Bauteile im grossen Stil wiederverwendet werden und sich Re-Use am Bau etabliert, braucht es eine industrielle Lieferkette.

Daran arbeitet der schweizerische Verband für nachhaltiges Wirtschafen (Öbu) mit dem Projekt «Re-Use of Steel Sections (RUSS)». Der Öbu konnte bereits viele Branchenteilnehmer ins Boot holen. In diesem Jahr starten die ersten Pilotprojekte mit verschiedenen Partnern.

Ziel: Kreislaufwirtschaft am Bau

Die Stahlträger machen den Anfang beim Öbu, weitere Bauteile und Materialien sollen folgen auf dem Weg zu einer zirkulären Bauwirtschaft. Bauteile und Materialien im Kreislauf zu halten ist eine grosse Chance für eine klimafreundlichere Baubranche. Dabei ist das Potenzial nicht nur beim Wiederverwenden, sondern auch beim Recycling noch gross.

Nicht für alle Bauteile und Materialien sind die Zahlen so eindrücklich wie bei den Stahlträgern. Doch bedenkt man die grossen Mengen an Abbruchmaterial, die jährlich anfallen, wird klar: «Auch Varianten mit geringem Umweltnutzen können gesamthaft Reduktionspotenzial haben, wenn grosse Stoffströme verwertet statt entsorgt würden.» So heisst es in der Carbotech-Studie, die verschiedene Baustoffe auf das ökologische Potenzial ihrer Verwertung untersucht hat.

Ein Raum mit hellem Holzboden, Sichtbeton- und Lehmputzwänden, unterschiedlich aufgeteilten Fenstern sowie Stahlträgerdecke.
Im K 118 hat das Baubüro in situ so viele Re-Use-Bauteile wie möglich verwendet. Unter anderem das Stahltragwerk und die Fenster der Aufstockung sind gebraucht. (Foto: Martin Zeller, © Baubüro in situ AG)

Neues Denken für Normen, Anreize und Ästhetik

Um die Wiederverwertung von Bauteilen zu fördern, könnten Gesetzgeber Lebenszyklusbetrachtungen und Ökobilanzen sowie einem Mindestanteil an Re-Use-Bauteilen vorschreiben. Auch steuerliche Anreize würden helfen. Im Weiteren müssen Normen angepasst und Garantien geregelt werden. Und nicht zuletzt müssen Architektinnen, Auftraggeber und Nutzende eine andere Ästhetik akzeptieren, als sie sich von Neubauten oder neuen Bauteilen gewohnt sind.

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    Nymaxx

    Vor 1 Jahr

    Nichtzerstoerung der Umwelt im ausland

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