Der Klimawandel ist im Alltag der Gebäudenutzer und -planer angekommen. Die Erkenntnis reift, dass sich Räume mit passiven Massnahmen allein nicht vor Überhitzung schützen lassen. Kurzfristige Massnahmen lassen sich aber realisieren, ohne die Energieeffizienz zu vernachlässigen.
Beliebte Fragen, die Hausbesitzerinnen oder Hausbesitzer in einer Energieberatung stellen, sind: «Wie heizen?» oder «Wie stark dämmen?» Immer häufiger wird jedoch angesprochen, ob ein Gebäude eigentlich auch zu kühlen sei. Das Interesse an dieser Information steigt, ergab eine Umfrage von EnergieSchweiz gemeinsam mit den Städten Luzern und Zürich.
Der Klimawandel dringt allmählich ins Bewusstsein der Bauwelt ein.
Martin Ménard, Lowtechlab
«Der Klimawandel dringt allmählich ins Bewusstsein der Bauwelt ein», bestätigt Martin Ménard, Mitautor der Umfrage und Inhaber des Planungsbüros Lowtechlab. Damit steigt der Bedarf an Aufklärung, wie man sich in einem Gebäude möglichst energieeffizient vor Hitzeperioden schützen kann. «Das gilt für Laien und Fachleute», ergänzt Ménard.
Run auf Klimageräte
Bekannt ist, was Hitzewellen spontan auslösen. Parallel zum Anstieg der Aussentemperaturen registriert der Elektrohandel jeweils, wie der Absatz von Klimageräten abrupt zunimmt. Von offizieller Seite gibt es wenig dagegen einzuwenden. Die Sparempfehlungen zum Kühlen von Büros oder Wohnräumen weisen einzig auf energieeffiziente Produkte hin. Gute Geräte sind auf der obligatorischen Energieetikette mit einem grünen «A+++» deklariert und arbeiten mit einem Wirkungsgrad (SEER – Seasonal Energy Efficiency Ratio) nahe bei 8.
Allenfalls zu bevorzugen sind gemäss EnergieSchweiz fest installierbare Split-Geräte. Diese bestehen aus zwei Komponenten, funktionieren vergleichbar einer rückwärts laufenden Luftwärmepumpe und halbieren den Energieverbrauch beim Kühlen im Vergleich zu einem mobilen Kompaktgerät.
Die Klimaszenarien «CH 2018» prognostizieren für die Schweiz eine Zunahme der jährlichen Durchschnittstemperatur zwischen 2,5 °C und 4 °C und für den Sommer längere Hitzeperioden. Deswegen sind erhebliche Veränderungen für die Planung des Raumkomforts absehbar. Das «Urban Energy Systems Lab» der Empa erwartet sogar «ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Heizen und Kühlen». Gemäss neuester Erkenntnisse aus der Gebäudeforschung wird der Energiebedarf für die Kühlung spürbar ansteigen und den sinkenden Bedarf für das Heizen teilweise kompensieren.
Luft-Luft-Wärmepumpen bieten sich Ersatz für die stromhungrigen Elektroheizungen an, die ab 2031 im Kanton Zürich verboten sind. Schon die Installation ist günstiger als bei anderen Systemen, weil es kein Wärmeverteilsystem mit Radiatoren oder Fussbodenheizung braucht. Im Betrieb spart man dann nochmals viel Geld.
Podcast mit Eric Bush von Topten, massgeblich verantwortlich für eine aktuelle Studie von EKZ und Bundesamt für Energie über das Heizen mit Klimageräten. (Apple, Spotify, YouTube)
Zu beachten ist ausserdem: Per 2025 wird der Einsatz des Kältemittels «R410A» in neuen Kühlgeräten verboten. Ein Ausweichen auf Geräte mit natürlichen Kältemitteln (zum Beispiel R290 – Propan, R744 – Kohlendioxid, R717 – Ammoniak) ist jetzt schon möglich. Auf der Webseite des Bundesamts für Umwelt sind zugelassene Kältemittel aufgeführt und nach ihrem Treibhausgaspotenzial eingeordnet.
Eine klimafreundliche und pragmatische Idee, sich in bestehenden Gebäuden vor Hitzeperioden zu wappnen, bringt der Verein Minergie ins Spiel. Mit PV-Strom lasse sich ein Kühlaggregat sinnvoll betreiben, weil die Eigenproduktion an einem heissen strahlenden Sommertag besonders hoch ist. Anstatt überschüssige Erträge ins Netz einzuspeisen, lässt sich damit der Kühlbedarf vor Ort decken. Bei der Planung von PV-Neuanlagen kann eine derartige Erweiterung des Eigenbedarfs frühzeitig berücksichtigt werden.
Geocooling mit bestehendem Heizsystem
Ist für die lokale Wärmeversorgung ein System aus Wärmepumpe, Erdwärmesonde und eigener PV-Anlage geplant, lässt sich dieses auch für den sommerlichen Kühlbetrieb nutzen. Die «Geocooling»-Methode – auch als «Freecooling» bekannt – sorgt dafür, dass Abwärme aus überhitzten Räumen via Fussbodenheizung und Erdwärmesonde in das Erdreich verfrachtet wird.
Weil die Wärmepumpe für diesen Kühlkreislauf ausgeschaltet bleibt, spricht die Fachwelt von einem passiven Kühlverfahren. Gleichzeitig sorgt der Mechanismus dafür, dass das Erdreich im Sommer leicht erwärmt wird, was die Effizienz des Heizbetriebs im Winters erhöht. Grundwasser-Wärmepumpen eignen sich ebenso für den reversiblen Kühlbetrieb.
Kühlen mit Luft-Wasser-Wärmepumpen
Moderne Luft-Wasser-Wärmepumpen ermöglichen ebenfalls einen Kühlbetrieb. Dazu muss der Verdichter eingeschaltet werden. Insofern wird die Wärmepumpe zur aktiven Kühlung eingesetzt. Dies verbessert zwar die raumbezogene Kühlwirkung, aber erhöht ebenfalls den Stromverbrauch analog einer Klimaanlage.
Nachtauskühlung
Ein bestehendes Lüftungssystem kann das Abkühlen unterstützen, ohne wesentlich mehr Strom dafür aufwenden zu müssen. Der Zuluftkanal, Ventilatoren und interne Überströmer helfen, frische Aussenluft quer durch eine Wohnung respektive von unten nach oben durch ein Haus strömen zu lassen.
Das Auskühlen der Innenräume über die Nachtstunden lässt sich aber auch mit weniger Technik organisieren, etwa wenn sich Fenster, Lüftungsflügel oder Dachluken automatisch und einbruchsicher öffnen lassen, ergab eine Evaluation durch die Fachstelle nachhaltiges Bauen der Stadt Zürich.
Beschränkte Kühlwirkung
Allerdings ist der Effekt der Luftkühlung in den Nachtstunden beschränkt, sobald die Aussentemperatur selbst vor der Morgendämmerung nicht unter 20 °C fällt. Für künftige Hitzeperioden wird erwartet, dass solche tropischen Nächte mehrmals aufeinander folgen. «Wohn- und Schulgebäude, die bisher ohne Kühlung auskamen, müssen mittelfristig aktiv gekühlt werden», stellt Planungsfachmann Ménard dazu klar.
Hitzestress für Risikogruppen
Wochenlange Hitzewellen können auch ein reversibles Heiz-Kühlsystem überfordern. Denn mit einem Geocooling lassen sich Innenraumtemperaturen unter 24 °C fast nicht erzielen, so der Befund einer Studie der Hochschule Luzern und des Swiss Tropical and Public Health Institute (TPH).
Diese Forschungsarbeit fokussiert sich auf die gesundheitlichen Folgen von Hitzeperioden und überrascht mit einer weiteren Erkenntnis. Obwohl die Norm SIA 180 «Wärmeschutz, Feuchteschutz und Raumklima in Gebäuden» das Behaglichkeitsniveau bei «22 °C bis 26,5 °C» definiere, sei ein Hitzestress für Seniorinnen und Senioren sowie weitere Risikogruppen dadurch nicht ausgeschlossen. Entsprechend gehen Betreiber von Alters- und Seniorenzentren vermehrt dazu über, ihre Gebäude mit aktiven Kühlsystemen auszurüsten.
Bauliche Massnahmen für Hitzeschutz
1. Glasanteil reduzieren
Was die Gebäudeforschung inzwischen explizit betont: Um Wohn-, Arbeits- und anderweitige Aufenthaltsräume wirksam vor Überhitzung zu schützen, braucht es eine Kombination aus technischen und baulichen Ansätzen. Hitzeresistente Gebäudehüllen zeichnen sich etwa durch einen reduzierten Glasanteil aus.
Generell wird empfohlen, den Architekturentwurf stärker als bisher zu überprüfen, wie sich die erhöhten solaren Einträge eines Hitzesommers auf das Raumklima auswirken. Und zu hinterfragen ist das aktuelle Wärmedämmoptimum. Denn die thermische Barriere, die den Heizbedarf im Winter wesentlich senkt, kann den Kühlbedarf im Sommer erhöhen. Folgende Faustregeln für den Gebäudeentwurf leiten sich aus bisherigen Überhitzungsanalysen ab:
Höchstens ein Drittel Glasanteil an Gebäudefassaden
Keine Verglasung übers Gebäudeeck
Aufteilen der Glasflächen pro Fassade in mehrere Fenster
Verzicht auf Verglasung im Brüstungsbereich bzw. keine raumhohen Fenster
Aussenliegender, beweglicher Sonnenschutz
2. Speichermasse berücksichtigen
Vor Hitze besser zu schützen vermag auch mineralisches Material: Gebäudehüllen und Oberflächen aus Beton oder Backstein nehmen zwar Sonnenwärme auf. Doch dieser Speichervorgang läuft derart träge und langsam, dass massive Baumaterialien einen Hitzepuffer bilden. Selbst tagsüber gut belegte Arbeits- oder Unterrichtsräume lassen sich darin, etwa in Kombination mit einer Nachtauskühlung, über mehrere Tage vor Überhitzung schützen.
Bauökologisch sind thermisch aktivierte Bauteile kritisch zu beurteilen.
Zur Raumklimatisierung von Bürobauten werden oft thermisch aktivierte Bauteile (TAB) verwendet. Dabei handelt es sich um wasserführende Leitungssysteme in Zwischendecken, die ihrerseits Abwärme abführen. Das Kühlprinzip funktioniert ähnlich träge wie ein Geocooling. Deshalb lassen sich Räume dadurch nicht auf beliebig niedrige Temperatur runterkühlen. Bauökologisch sind TABs jedoch kritisch zu beurteilen. Dafür werden Kunststoffrohre einbetoniert, was ein späteres Recycling dieser Bauteile erschwert.
3. Fassaden begrünen
Wieviel trägt eine Gebäudebegrünung zum Kühlen bei? Nach aussen ist die Wirkung gross, weil die Biomasse viel Wasser zum Verdunsten bringt. Dadurch wird die Umgebung einer Grünfassade bis 15 °C kühler als an einer verputzten Aussenwand, wurde bei wissenschaftlich begleiteten Pilotvorhaben gemessen. Allerdings dringt dieser Kühleffekt kaum ins Gebäudeinnere. In Testobjekten konnten begrünte Fassaden das Raumklima nur marginal verbessern.
Das Spektrum an energieeffizienten Kühlmassnahmen reicht vom Kühl-Splitgerät über passive Verfahren bis zu baulichen Vorkehrungen. Ist die Gebäudeplanung also bereit für den Klimawandel? Wohl noch nicht ganz, denn zusätzlich fehlt es an Erfahrung im Umgang mit Hitzewellen. Für die Konzeption von Neubauten, deren Nutzung auf starke klimatische Veränderungen vorzubereiten ist, ergeben sich deshalb grosse Herausforderung. Planungsfachmann Martin Ménard vermisst dazu bessere Grundlagen, «um den künftigen Kühlbedarf im Gebäudebereich zuverlässig ermitteln zu können».
Kommentare: Was denken Sie?
Judith Wirth
Vor 2 Wochen
Super Beitrag, vielen Dank.