Hat es genug Holz?
Energieholz ist begehrt und anscheinend liegen Erntepotenziale im Schweizer Wald brach. Doch die ersten Kantone warnen vor Versorgungsengpässen und einer unkoordinierten Nutzung.
Energieholz ist begehrt und anscheinend liegen Erntepotenziale im Schweizer Wald brach. Doch die ersten Kantone warnen vor Versorgungsengpässen und einer unkoordinierten Nutzung.
Verfasst von Paul Knüsel
Die Schweiz ist im globalen Vergleich ein kleines, rohstoffarmes Land. Der Selbstversorgungsgrad überrascht bei manchen Konsumgütern dennoch. So wurden im vergangenen Jahr 10 Prozent mehr Strom erzeugt als verbraucht. Der erneuerbare Anteil aus Wasserkraft, Sonne und Wind erreichte 2023 sogar fast 70 %. Nicht ganz so viel deckt die Schweizer Landwirtschaft ab: Die Eigenversorgung im Agrarbereich liegt bei knapp 60 %. Und auch beim Holz, das zum Bauen, für Möbel oder als Brennstoff verwendet wird, stammt mehr als die Hälfte des Inlandbedarfs aus einem Schweizer Wald.
Doch das Angebot an eigenen Werk- oder Brennstoffen für die klimaneutrale Bau- und Energiewende scheint damit nicht ausgeschöpft. So meldet der Verband der inländischen Waldeigentümer WaldSchweiz: «Es wächst auf den bewaldeten Flächen mehr Biomasse nach, als durch Ernte und natürliches Absterben verschwinden.» Deshalb sei der durchschnittliche Holzvorrat in Europas Wäldern nirgends so gross wie in der Schweiz. Auch das nationale Landesforstinventar (link: www.lfi.ch) bestätigt den erfreulichen Befund: Obwohl der Klimawandel den Schweizer Wald zunehmend stresst, nimmt der gesamte Holzbestand weiterhin zu. Von 2009 bis 2018 wuchs er im Durchschnitt um 5 m3 pro Hektare.
Zwar sank die Holzernte zuletzt: 2023 wurde in der Schweiz ein Volumen von rund 5 Mio. m3 Waldholz genutzt; das sind fast 6 % weniger als im Vorjahr. Doch die Forststatistik des Bundes (BFS) registriert, wie neuerdings das Interesse am inländischen, klimaneutralen Brennstoff wächst: Über 40 % der gesamten Holzernte sind Energieholz. Bei Laubbäumen enden sogar drei Viertel der Ernte – in Form von Stückholz, Hackschnitzel oder Pellets – in kleinen Öfen oder sehr grossen Kraftwerken.
Über 10’000 Holzfeuerungsanlagen versorgen Schweizer Wärmenetze.
Die Energiestatistik des Bundes zählte 2023 schweizweit über 10’000 Feuerungsanlagen, die jeweils lokale bis regionale Wärmeverbundnetze versorgen. Sie sorgen wesentlich dafür, dass die Holzenergienutzung in der Schweiz kontinuierlich wächst. Seit 2000 stiegen der Energieertrag und der Brennstoffbedarf im Gleichschritt um über 50 % an.
Das sind gute Nachrichten für die Energiewende. Denn Holz ist eine in ländlichen und städtischen Gebieten gleichermassen beliebte Ressource, um sowohl Wärme als auch Strom nach Bedarf und klimafreundlich zu erzeugen. So deckt die Holzenergie bereits etwa 6 % des inländischen Gesamtenergiebedarfs. Der Anteil an der Wärmeversorgung erreicht sogar 12 %.
In Bern, Basel oder Zürich versorgen leistungsfähige Holzheizkraftwerke weitflächige Wohnquartiere mit Fernwärme. Vergleichbare Grossanlagen im Bündnerland und Aargau stellen ihre klimafreundliche Energie dagegen einem benachbarten Gewerbegebiet zur Verfügung. Die Grosskraftwerke erzeugen meistens auch elektrische Energie. Holz aus dem Wald ist, nach Wasserkraft und Photovoltaik, derzeit die drittwichtigste erneuerbare Stromquelle der Schweiz.
Die Erwartungen sind allerdings umso grösser, je mehr die aktuelle Nutzung unter dem abgeschätzten Potenzial liegt. So rechnen die Branche und der Bund mittelfristig mit einem Ernteplus von fast 20 %, insbesondere für Laub- und Nadelbäume aus dem Wald. Andere Bezugsquellen sind laut der BFE-Prognose deutlich weniger steigerungsfähig.
Die steigende Nachfrage nach der nachwachsenden Energieressource zeigt ein regionales Muster. Aargau, Bern, Zürich, Waadt und Graubünden beherbergen zusammen fast die Hälfte des Schweizer Walds. Diese fünf Kantone fällen heute schon am meisten Energieholz. Und sie zählen in ihren Energiestrategien besonders darauf, den Holzanteil an der Wärmeversorgung bis 2050 deutlich steigern zu können.
Graubünden möchte die Wärmeerzeugung aus Holz gemäss der kantonsinternen «Green Deal»-Strategie verdoppeln. Der Kanton Bern, vom Mittelland bis ins Oberland reich bewaldet, schätzt seinerseits, bis zu 50 % mehr Holz daraus entnehmen und energetisch nutzen zu können.
Für geplante Grossfeuerungen kann die Energieholz-Versorgung kritisch werden.
Alex Nietlisbach, Energieplaner, Baudirektion des Kantons Zürich
Und auch in Zürich ist ein Ausbau im Gang: Alex Nietlisbach, Energieplaner in der Abteilung Energie der kantonalen Baudirektion bestätigt, dass private Trägerschaften weitere Holz-Grossfeuerungen realisieren möchten.
Einzig der Kanton Aargau gibt sich zurückhaltend: Mit einem aktuellen Energieholzanteil von fast 50 % an der Gesamternte sei das eigene Nutzungspotenzial in etwa ausgeschöpft.
Auch die Stadt Zürich macht sich allmählich Gedanken über die interne Brennstoffbeschaffung. Holzenergie gilt in der städtischen Energieplanung zwar nur als Notnagel, wenn keine anderen erneuerbaren Energie- oder Abwärmequellen verfügbar sind. Trotzdem bleiben Holzheizkraftwerke für den Ausbau des Fernwärmenetzes eine Option. Gemäss der städtischen «Holzenergieposition» ist dafür allerdings die Ressourcenverfügbarkeit vorausschauend zu prüfen.
Klarheit über die Versorgungslage wollen sich nun auch die grossen Waldkantone verschaffen. Graubünden und Zürich haben dazu das prognostizierte Ausbaupotenzial dem regionalen Angebot gegenübergestellt. Die Ergebnisse ihrer Analysen lassen aufhorchen; beide Kantone sind heute schon unterversorgt: «40 % des Energieholzes stammt nicht aus Graubünden», so die Studie zur Verfügbarkeit des Waldenergieholzpotenzials in der Südostschweiz.
Dass Zürich ebenfalls ein «Netto-Energieholz-Importeur» ist, bestätigt Alex Nietlisbach von der kantonalen Baudirektion. Über 30 % der Brennstoffe werden aus Nachbarregionen oder dem nahen Ausland herangekarrt. Die zusätzlichen Transportwege erstrecken sich allerdings nur selten über 150 km. «Dadurch verursachte Treibhausgasemissionen sind marginal», ergänzt Ruedi Taverna, Waldexperte bei Geo Partner und Autor der kantonalen Energieholzanalysen.
Umso wichtiger ist der Blick in die nahe Zukunft: «Für geplante Grossfeuerungen kann die Energieholz-Versorgung kritisch werden», sagt Nietlisbach. Sobald auch andere Kantone oder grenznahe Regionen selbst mehr nutzen wollen, drohe eine Konkurrenzsituation. Oder die stoffliche Nutzung von Waldholz schrumpft deswegen.
Tatsächlich entscheiden sich immer mehr Waldbesitzer aus Preisgründen dafür, ihre Ernte thermisch verwerten zu lassen, anstatt sie wie bisher als Industrieholz zu verkaufen. Taverna empfiehlt eine nationale Strategie, um solche Fehlanreize zu verhindern. Denn das «zusätzlich nutzbare Potenzial an Waldholz» soll nicht direkt verfeuert werden, weil Holz aus dem Schweizer Wald viel hochwertiger und noch ökologischer verwendbar ist – insbesondere durch eine stoffliche Kaskadennutzung.
Den ersten Schritt für eine übergeordnete Sicht hat die Forschung bereits geleistet. Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL präsentierte vor einem Jahr die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse mitfinanziert wurde. «Im Vordergrund steht eine Verarbeitung, zum Beispiel als Bau- oder Dämmstoff», so das WSL-White-Paper.
Innovative öffentliche und private Bauherrschaften bevorzugen heute schon den nachwachsenden Rohstoff, um klimafreundliche Wohn- und Geschäftshäuser oder Infrastrukturbauten daraus zu erstellen.
Erst nach Ablauf des Stoffzyklus darf die letzte Nutzungsrunde folgen: die thermische Verwertung dieser Abfälle. Allerdings sei im Unterschied zu heute damit Hochtemperaturwärme für die Industrie zu erzeugen. Denn für das Beheizen von gut gedämmten Gebäuden gibt es effizientere Varianten wie Wärmepumpen.
Ein Aufbau der Kaskadennutzung braucht zwar Zeit und weitere Forschung. Aber die WSL-Forscher empfehlen für jedes grössere Projekt zur stofflichen Verwendung von Holz schon jetzt, «die Verfügbarkeit der natürlichen Ressource langfristig zu sichern».
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Foto Heizkraftwerk Aubrugg
Bundesamt für Umwelt BAFU
Bundesamt für Umwelt BAFU
Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Fach- und Wissenschaftsjournalist BR, arbeitet bei Faktor Journalisten. Er schreibt am liebsten über klimafreundliches und nachhaltiges Bauen.
Kommentare: Was denken Sie?
Elisabeth Meyerhans
Vor 2 Wochen
Der Schweizer Wald ist heute schon zum grossen Teil sehr naturfern. Unter anderem auch wegen der wachsenden Nachfrage nach Brennholz. Wir brauchen also mehr Waldschutzgebiete statt Brennholzforste.