JED 2226: ein Bürogebäude ohne Heizung, Kühlung und Lüftung

Das Büro- und Laborgebäude «JED» beim Bahnhof Schlieren wurde weitgehend ohne Gebäudetechnik errichtet. Es basiert auf dem Prinzip 2226, das spezifische Gebäudestrukturen mit intelligenter Steuerung verbindet und so Klimakomfort schafft.

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Hof-Ansicht eines Gebäudekomplexes mit rasterartiger Fensterstruktur auf ein bis drei Etagen

Die Gebäudetechnik wird immer raffinierter mit dem Ziel, den Energieverbrauch im Betrieb zu senken und möglichst wenig Treibhausgasemissionen und Kosten zu verursachen. So haben in den vergangenen Jahren clevere Hightech-Lösungen in den Heizungskellern Einzug gehalten, teilweise auch unter Einbezug von künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig haben aber auch Lowtech-Ansätze Schule gemacht. Jüngstes Beispiel dafür ist ein Büro- und Laborgebäude auf dem Areal «JED» in Schlieren.

Büros und Labore statt Druckerei

Nachdem Mitte 2015 die letzte Zeitung gedruckt worden war, übernahm die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site (SPS) das Areal, auf dem bis anhin die NZZ-Druckerei beheimatet war. Das Projekt trägt den Namen «JED», der für «Join», «Explore», «Dare» steht – teilnehmen, erforschen, sich trauen. JED soll laut der Eigentümerin ein neuer Hub für Innovation und Wissenstransfer sowie ein Ort für Collaboration und Co-Creation sein. Auf insgesamt 38’000 Quadratmetern sind Büros und Gewerberäume, Labore und Event-Locations sowie Gastrobetriebe untergebracht.

Neubau neben Umnutzung

Während der Gebäudesektor J mit den ehemaligen Druckerhallen und der Kopfbau im Sektor E umgenutzt wurden, entstand auf der Landreserve der Druckerei der Neubau D mit drei verbundenen vier- bis fünfgeschossigen Baukörpern. Während die Laborflächen aufgrund der speziellen klimatischen Erfordernisse im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss mit konventioneller Gebäudetechnik ausgerüstet sind, kommen die Büros vom 2. bis zum 4. Obergeschoss ohne konventionelle Heizung oder Lüftung und auch ohne Klimaanlage aus. Doch wie ist es in unseren Breitengraden mit hohen Temperaturunterschieden zwischen Sommer und Winter möglich, weitgehend auf Gebäudetechnik zu verzichten und dennoch einen hohen Klimakomfort für die Nutzerinnen und Nutzer sicherzustellen?

Das Prinzip 2226: Technische Revolution durch Technikverzicht

«2226» heisst das Zero-Energy-Gebäudeprinzip, das der Architekt und ETH-Professor Dietmar Eberle für den 2013 fertiggestellten Firmensitz von Baumschlager Eberle Architekten im Vorarlberger Lustenau entwickelt hat. Die auf den ersten Blick kryptisch anmutende Zahlenkombination steht dabei für den Temperaturbereich, in dem sich die Innenräume ganzjährig bewegen – minimal 22° Celsius, maximal 26° Celsius.

Eine «technische Revolution», die durch einen weitgehenden Verzicht auf Technik zustande kommt.

Das Architekturbüro nennt sein Prinzip «eine technische Revolution», die durch einen weitgehenden Verzicht auf Technik zustande kommt. Stattdessen basieren 2226-Gebäude auf einer Kombination spezifischer Gebäudestrukturen mit intelligenter Steuerung. Entwickelt wurde die Steuerung von der 2226 GmbH, einem Dienstleistungs- und Softwareunternehmen, das sich auf die Konzeption energieeffizienter Bauprojekte spezialisiert hat.

Regulierende Architektur

Derzeit sind in verschiedenen europäischen Ländern rund 40 2226-Bauten in Planung, in Realisierung oder wurden bereits errichtet. «JED» ist mit einer Energiebezugsfläche von fast 18’000 Quadratmetern das bisher grösste 2226-Gebäude. «Ziel der Bauherrschaft war es, ein maximal nachhaltiges Gebäude zu realisieren, dem konnten wir mit unserem Gebäude-Prinzip 2226 entgegenkommen», erklärt Thies Böke, Projektleiter bei Baumschlager Eberle Architekten.

Der Baukörper ist in Massivbauweise mit einem zweischaligen Mauerwerk von 75 Zentimetern und einer geringen Wärmeleitfähigkeit (U-Wert) erstellt. Während die innere Ziegelschicht für Speichermasse sorgt, übernimmt die äussere dämmende Funktion. Auf den Oberflächen wurde ein Recyclinggrundputz mit einem Kalkputz appliziert. Die in Stahlbeton ausgeführten Wände, Decken und Böden im Innern zeichnen sich durch eine sehr hohe Speicherkapazität aus. Diese bauphysikalischen Eigenschaften sind die Voraussetzung, um in Kombination mit der Gebäudesteuerung die Temperatur, den CO2-Gehalt und die Luftfeuchtigkeit ganzjährig in einem behaglichen Bereich zu halten.

Ausschnitt der Fassade des Neubaus mit Fenstern in einheitlichem Format.
Fensterlaibungen mit einer Tiefe von rund 60 Zentimetern schaffen eine Verschattung, sodass sich die Innenräume nicht überhitzen. Durch die lichte Höhe von 3 Metern dringt dennoch genügend Tageslicht ins Innere. (Foto: Dimitri und René Dürr / Baumschlager Eberle Architekten)

Sommerlicher Hitzeschutz

Obwohl das Verhältnis der Glasfläche zur nutzbaren Fläche bei 17 Prozent liegt, gelangt dank der optimal ausgerichteten und dimensionierten Fenster mit einer lichten Raumhöhe von mehr als 3 Metern dennoch genügend Tageslicht ins Innere. Die Fenster sind nach innen versetzt. Aus der Laibungstiefe von rund 60 Zentimetern ergibt sich eine natürliche Verschattung, sodass sich die Innenräume im Sommer auch ohne einen aussenliegenden Sonnenschutz nicht zu stark erhitzen.

Lüftung über motorisierte Klappen

Die gegen aussen öffnenden Fensterflügel sind innen wie aussen mit einem Temperaturfühler ausgestattet. Übersteigt die Innentemperatur nachts 26° Celsius, öffnen sich die in jedes Fenster integrierten Lüftungsklappen im betroffenen Raum automatisch. Die warme Luft wird während der Nachtstunden nach aussen abgeführt und die Gebäudemasse kühlt sich ab, sodass sie während des Tages wieder Wärme aufnehmen kann. Auch wenn die CO2-Konzentration über dem definierten Wert liegt, sorgen CO2-Sensoren dafür, dass sich die mit leisen Axialmotoren ausgestatteten Lüftungsklappen tageszeitunabhängig öffnen.

Ebenso ist es bei Bedarf möglich, manuell zu lüften. Der für die Steuerung nötige Strom ist erneuerbar und stammt aus der eigenen Photovoltaikanlage, dank der das Areal weitgehend autark betrieben werden kann.

Innenansicht des Neubaus mit den seitlich an den Fenstern angebrachten Lüftungsklappen
Jedes Fenster ist seitlich mit einer sensorgesteuerten Lüftungsklappe versehen, die sich bei Temperaturen über 26° Celsius oder hohem CO2-Gehalt automatisch öffnet. (Foto: Dimitri und René Dürr / Baumschlager Eberle Architekten)

Abwärme von Menschen und Maschinen nutzen

Dank der trägen Gebäudemasse und der guten Dämmung reichen die ohnehin vorhandenen Wärmequellen aus, um im Winter die Innenraumtemperatur auf einem behaglichen Niveau zu halten. Wärme produzieren beispielweise die Personen, die sich in den Räumen aufhalten. So hat ein Mensch eine durchschnittliche Wärmeabstrahlung von 80 Watt, die als Wärmequelle dient.

Ein Mensch hat eine durchschnittliche Wärmeabstrahlung von 80 Watt.

Auch die Abwärme von technischen Geräten wie beispielsweise Computer, Drucker, Kopierer, aber auch der Beleuchtung oder der Kaffeemaschine wird genutzt. Die Summe dieser Wärmequellen reicht aus, dass die Raumtemperatur im Winter nicht unter 22° Celsius sinkt.

Innenansicht des 2226-Gebäudes mit grossen offenen Grundrissen
Sind die Räume dereinst bezogen, reicht die Abwärme von Menschen, Computern, Druckern oder anderen Geräten, um die Temperatur in einem behaglichen Bereich zu halten. Grosse Spannweiten sorgen für langfristige Nutzungsflexibilität. (Foto: Dimitri und René Dürr / Baumschlager Eberle Architekten)

Kreislauffähige Materialisierung

Beim Neubau wurde nicht nur auf langfristige Nutzungsflexibilität durch grosse Spannweiten geachtet, sondern auch auf die Verwendung kreislauffähiger Materialien. Dieser Aspekt ist insbesondere aufgrund der hohen Gebäudemasse relevant.

Treppenhaus mit Betontreppe und schwarzem Geländer
Im verwendeten Recyclingbeton sind rund 83 Tonnen CO₂ gebunden, zudem liessen sich etwa 10’000 Tonnen Primärressourcen einsparen. (Foto: Dimitri und René Dürr / Baumschlager Eberle Architekten)

Um den CO2-Fussabruck bei der Erstellung zu minimieren, verwendete man rund 8300 Kubikmeter Zirkulit-Recyclingbeton. Ein Teil des Granulats wird dabei durch rezykliertes Material ersetzt, in dem durch ein spezielles Verfahren CO2-gespeichert ist. Dazu wird das Abbruchmaterial zerkleinert und in einer geschlossenen Anlage mit CO2 behandelt. Durch eine chemische Reaktion bildet sich in den Poren Kalkstein, wodurch das CO2 – auch bei einem allfälligen Rückbau – dauerhaft gebunden ist. Im Falle des JED-Neubaus konnten auf diese Weise rund 83 Tonnen CO2 im Material eingelagert und über 10’000 Tonnen Primärressourcen eingespart werden.

Low-Tech sorgt für Wirtschaftlichkeit

Weil die Architektur weitgehend die Funktionen der Gebäudetechnik übernimmt, sind keine Investitionen in Anlagen für das Heizen oder Kühlen notwendig. Da auch kein Aufwand für deren Planung und Beschaffung anfällt, sind die Baukosten in der Regel niedrig. Auch der Betrieb ist günstiger, da erstens die Energiekosten kaum zu Buche schlagen und zweitens keine Wartung von Gebäudetechnikanlagen nötig ist. Das ist nicht zuletzt vorteilhaft für die Mieterinnen und Mieter, die mit tiefen Nebenkosten rechnen können.

Verzichtet man auf Heizung und Kühlung, entfällt auch der Aufwand für deren Planung und Beschaffung; die Kosten für Bau und Betrieb sinken.

Ein weiterer Aspekt mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit ist der geringe Flächenanspruch der Haustechnik. Wird bei vergleichbaren Bauten etwa 10 Prozent der Fläche von der Technik eingenommen, kommt der Schlieremer Neubau mit etwa einem Fünftel davon aus. Das ist für die Eigentümerschaften interessant, da mehr vermietbare Fläche zur Verfügung steht, die Einnahmen generiert.

Ressourceneffizienz und Komfort

Mit dem Neubau JED 2226 setzt SPS auf dem ehemaligen Druckerei-Areal einen nachhaltigen und nach dem Standard SNBS Gold zertifizierten Schlusspunkt. Der Gebäudekomplex ist nicht nur ressourceneffizient, er bietet seinen Nutzenden auch hohen Komfort durch die Verwendung unbelasteter Materialien sowie eine optimale Anbindung an den öffentlichen Verkehr.

Aufgrund der Erfahrungen, die Baumschlager Eberle Architekten bereits in Emmenbrücke und andernorts mit 2226-Projekten gemacht haben, rechnen die Architekten mit einem reibungslosen Betrieb, wenn das Gebäude ab dem Frühjahr 2025 von allen Mieterinnen und Mietern bezogen ist.