Nachhaltig bauen mit dem SNBS

Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema – nicht zuletzt im Baubereich. Wer nachhaltig bauen will, kann sich am Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) orientieren. Er eignet sich als Hilfsmittel für die Planung und Realisierung von Wohn-, Büro- und Bildungsbauten sowie für Infrastrukturen.

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Luftbild eines modernen Gebäudekomplexes, Stadt und Berge im Hintergrund

Der Schweizer Gebäudepark wächst konstant – kein Wunder, werden doch jedes Jahr stolze 60 Milliarden Franken in den Baubereich investiert. Doch nur bei einem Bruchteil der mit diesem Geld neu erstellten oder sanierten Immobilien spielen Nachhaltigkeitsaspekte eine wesentliche Rolle. Das wäre aber dringend nötig, denn der Baubereich trägt stark zu Umweltproblemen wie Treibhausgasemissionen und zum Ressourcenverbrauch bei. Aber wie funktioniert das überhaupt mit dem nachhaltigen Bauen?

Nachhaltiges Bauen

Ein Gebäude ist dann nachhaltig, wenn es die Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gleichermassen erfüllt. Diese drei Bereiche sind als die Säulen der Nachhaltigkeit bekannt. Eine nachhaltige Immobilie sollte also wirtschaftlich sein, die Ansprüche der Anspruchsgruppen berücksichtigen und möglichst keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben. So ist ein Bürogebäude beispielsweise nicht nachhaltig, wenn es zwar energieeffizient ist, aber mit gesundheitsschädlichen Materialien erbaut wurde und die Gesundheit der darin arbeitenden Menschen beeinträchtigt. Ebenso wenig ist eine Wohnüberbauung nachhaltig, die umweltschonend und sozial vorbildlich erstellt wurde, aber aufgrund von zu hohen Investitions- oder Betriebskosten unrentabel bleibt.

Standards machen komplexe Nachhaltigkeitsaspekte fassbar.

Es ist unvermeidlich, dass durch die verschiedenen Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt Zielkonflikte entstehen. Die gute Nachricht: Um sie zu lösen, kann man auf bewährte Ansätze zurückgreifen, denn zahlreiche Labels und Standards zum nachhaltigen Bauen stehen als Hilfsmittel zur Verfügung. Sie stellen erprobte Methoden bereit, dienen bei Planung und Realisierung als Leitlinie, systematisieren das Vorgehen. Kurzum: Sie machen komplexe Nachhaltigkeitsaspekte fassbar. Welcher Standard sich für welches Projekt eignet, hängt vor allem von der Grösse ab. Grundsätzlich passen einfache Standards zu kleinen Projekten und umfassendere Standards zu grossen Projekten.

Der SNBS

Der umfassendste Nachhaltigkeitsstandard der Schweiz ist – nomen est omen – der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz, kurz SNBS. Er ging aus der Strategie nachhaltige Entwicklung des Bundesrats hervor, die regelmässig nachgeführt wird. Bei der Entwicklung des Standards ab 2013 wurden bestehende Konzepte wie das von Minergie respektive Minergie-Eco und die SIA-Norm 112-1 als Basis genommen und so erweitert, dass schliesslich die drei Säulen der Nachhaltigkeit ganzheitlich integriert sind. Der SNBS ist ein Gemeinschaftswerk von Wirtschaft und öffentlicher Hand. Diese breite Abstützung verleiht ihm besondere Glaubwürdigkeit.

Kriterien-Schema SNBS Hochbau
Anhand dieser Matrix aus 12 Themen beurteilt der SNBS Hochbau die Nachhaltigkeit eines Gebäudes. Die vier roten Kriterien gehören zum Bereich Gesellschaft, die blauen zum Bereich Wirtschaft und die grünen zum Bereich Umwelt. (Grafik: NNBS)

Zwölf Themen der Nachhaltigkeit

Der SNBS betrachtet nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch den Standort und das Umfeld. Dies gilt jeweils für den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie, von der Planung über die Realisierung und den Betrieb bis hin zum Rückbau. Kern des SNBS Hochbau, der mittlerweile in der Version 2.1 vorliegt, ist eine zwölfteilige Matrix, in der je 4 Themen den drei Nachhaltigkeitsbereichen zugeordnet sind (siehe Grafik). Jedes Thema beinhaltet wiederum Indikatoren mit konkreten Anforderungen. So kann die Nachhaltigkeit eines Gebäudes umfassend beurteilt und bewertet werden.

SNBS-Zertifikate: Breites Anwendungsgebiet

Der SNBS Hochbau ist heute so ausgelegt, dass er sich für Wohn-, Verwaltungs- und Bildungsbauten oder für Mischnutzungen eignet. Ausserdem kann er für Neubauten ebenso eingesetzt werden wie für die Erneuerung bestehender Gebäude. Bauherrschaften können den SNBS nicht nur als Orientierungshilfe nutzen, sondern ihr Objekt auch zertifizieren lassen. Damit erhalten sie von unabhängiger Stelle die Nachhaltigkeit ihrer Immobilie bescheinigt. Nebst dem SNBS Hochbau existiert auch der SNBS Infrastruktur. Er hilft dabei, im Infrastrukturbereich Projekte nachhaltig zu planen, zu erstellen, zu betreiben und weiterzuentwickeln, zum Beispiel Bauten für Mobilität, Gewässerbau, Schutz, Energie oder auch Kommunikation.

Unterstützung beim nachhaltigen Bauen

Getragen und weiterentwickelt wird der SNBS vom Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz, kurz NNBS. Es bietet zahlreiche Hilfsmittel, Instrumente und Werkzeuge an, die den Weg zum nachhaltigen Bauwerk begleiten und vereinfachen. Viele dieser Instrumente stehen kostenlos auf der NNBS-Website zum Download bereit. Ein zentrales Arbeitsinstrument ist der Kriterienbeschrieb zum SNBS Hochbau, in dem die 12 Themen des nachhaltigen Bauens (siehe Grafik oben) erläutert und anhand von insgesamt 45 Indikatoren spezifiziert werden. Der Kriterienbeschrieb bildet die Grundlage für die Zertifizierung. Er kann aber auch von Bauherrschaften, die in Eigenverantwortung nachhaltig bauen wollen, als Orientierungshilfe und zur Selbstkontrolle verwendet werden.

Einfacher Einstieg dank Pre-Check

Wer einen systematischen Einstieg zum Bauen nach SNBS Hochbau sucht, kann sich an den Leitfaden «Nachhaltig Bauen mit dem SNBS 2.1 Hochbau» halten. Er bringt die SNBS-Indikatoren mit den SIA-Phasen zusammen und ist besonders praxisorientiert, weil er zu jedem Indikator typische Massnahmen aufführt. Niederschwellig gelingt der Einstieg ins Thema auch mit dem Pre-Check SNBS. Bauherrschaften oder Fachplanende können mit seiner Hilfe die Nachhaltigkeit ihres Projekts bereits in sehr frühen Projektphasen abschätzen, indem sie einfache Fragen beantworten. Als Resultat zeigt der Pre-Check anhand einer leicht verständlichen Spinnengrafik, in welchen Nachhaltigkeitsthemen das Gebäude wie abschneidet.

Spinnengrafik mit den zwölf Nachhaltigkeitsthemen
Resultat eines Pre-Checks: Die Spinnengrafik illustriert, wie ein Gebäude bezüglich Nachhaltigkeit abschneidet. (Grafik: NNBS)

Sinergia: das Mass aller Dinge

Wie sieht denn ein nachhaltiges Gebäude aus, das nach dem SNBS Hochbau geplant, erstellt und zertifiziert wurde? Dafür richten wir den Blick nach Chur, wo das derzeit nachhaltigste Gebäude der Schweiz steht. Sinergia heisst die Immobilie, die im Sommer 2020 mit dem Platin-Zertifikat des SNBS ausgezeichnet wurde, also der Bestnote. Das Gebäude bietet rund 440 Arbeitsplätze für die Verwaltung des Kantons Graubünden, der dadurch mehrere Standorte zusammenführen konnte. Die daraus entstehenden Synergien und optimierte interne Abläufe tragen dazu bei, dass Sinergia in wirtschaftlicher Hinsicht überzeugt.

Erneuerbare Energie, sparsamer Ressourceneinsatz

Das städtische Anergienetz versorgt die Immobilie mit der benötigten Wärme und Kälte, während eine Photovoltaikanlage auf dem Dach erneuerbaren Strom produziert. Durch dieses Energiekonzept und die Zusammenlegung der Standorte lassen sich jährlich etwa 200 Tonnen CO2 im Vergleich zu den vorherigen Standorten einsparen. Dem Aspekt «Umwelt» wurde auch mit anderen Massnahmen Rechnung getragen. So wurden Ressourcen sparsam eingesetzt und eine möglichst hohe Energieeffizienz angestrebt. Zudem verzichteten die Projektverantwortlichen auf eine aufwendige Veredelung von Oberflächen. Stattdessen prägt eine robuste, zweckmässige Materialisierung mit Sichtbeton das neue Verwaltungszentrum des Kantons.

Flexible Arbeitsplätze

Auch im Nachhaltigkeitsbereich «Gesellschaft» erhielt das Bürogebäude dank verschiedener Massnahmen eine hohe Teilnote. So ermöglichen etwa Open-Space-Büros, dass die Mitarbeitenden je nach aktuellem Bedarf ihren Arbeitsplatz flexibel wählen können. Zudem achteten die Planenden darauf, ausschliesslich gesundheitlich unbedenkliche Materialien zu verbauen. Schliesslich trägt auch das gute Mobilitätsangebot zur Nachhaltigkeit bei. Natürlich gehörten viele weitere Massnahmen dazu, aus Sinergia einen Leuchtturm der Nachhaltigkeit zu machen. Die aufgeführten Beispiele zeigen aber, wie das nachhaltige Bauen funktioniert und was einige der wichtigsten Ansatzpunkte sind.

Aussenansicht Bürogebäude mit drei Baukörpern um einen schlanken Innenhof
Das kantonale Verwaltungszentrum Sinergia ist momentan das nachhaltigste Gebäude der Schweiz. (Foto: Ingo Rasp, Chur)

Herausforderungen beim nachhaltigen Bauen

Stellt sich die Frage, warum nicht mehr Gebäude nachhaltig gebaut werden, wenn das Konzept so überzeugend ist. Wahrscheinlich tragen verschiedene Faktoren dazu bei, dass nach wie vor viele Bauherrschaften, Investoren und Baufachleute zögern, nachhaltige Bauten zu fordern oder zu erstellen. An der Fachkompetenz dürfte es nicht liegen, denn die Schweiz verfügt über viele gut ausgebildete Fachleute mit entsprechender Erfahrung. Auch an den nötigen Arbeitsmitteln fehlt es nicht, zumindest zum SNBS stehen viele Werkzeuge und Instrumente bereit. Abschreckend wirken möglicherweise die Kosten sowie die Komplexität des nachhaltigen Bauens. Zwar können die Investitionskosten tatsächlich höher liegen, aber aufgrund der hohen Qualität einer nachhaltigen Immobilie und der tiefen Kosten im Betrieb zahlen sich diese längerfristig aus.

Heute werden schon wesentlich nachhaltigere Gebäude gebaut als vor zehn Jahren.

Die Auseinandersetzung mit komplexen Fragenstellungen dagegen lässt sich nicht vermeiden, wenn man ein nachhaltiges Gebäude plant. Allerdings bieten die vielen Hilfsmittel und das Know-how der Fachleute Unterstützung, um diesen Prozess erfolgreich zu meistern. Und: Es gibt immer mehr gute Beispiele wie Sinergia, die man als Vorbild nehmen kann. Der Blick in die Zukunft des nachhaltigen Bauens stimmt daher trotz der Herausforderungen durchaus optimistisch, denn immerhin werden heute gemäss Einschätzung von Fachleuten schon wesentlich nachhaltigere Gebäude gebaut als vor zehn Jahren. Der Trend stimmt also – er dürfte sich bloss noch etwas beschleunigen.