Nachhaltiges Bauen mit Holz in der Praxis
Gute, zeitgemässe Architektur für Bauten aus Holz ist der Beweis, dass Holzbau nicht nur Theorie aus den Lehrbüchern ist, sondern eine vielversprechende Zukunft hat.
Gute, zeitgemässe Architektur für Bauten aus Holz ist der Beweis, dass Holzbau nicht nur Theorie aus den Lehrbüchern ist, sondern eine vielversprechende Zukunft hat.
Verfasst von Rayna Boyadzhieva
In den letzten Jahren sind viele gute Beispiele entstanden, die für die neue Blütezeit des Holzbaus stehen. Mit der Anpassung der Brandschutzvorschriften im Jahr 2005 und ihrer neuen Aufarbeitung von 2015 ist es heute möglich, Gebäude in allen Gebäudekategorien in Holz zu bauen. Unter bestimmten Rahmenbedingungen sind sogar Hochhäuser aus Holz möglich.
Ob komplett im Holzsystembau oder in einer Hybridbauweise, ob eine Turnhalle oder ein kleines Einfamilienhaus, es entsteht eine neue Generation von spannenden Bauten mit viel Platz für Innovationen.
Ein sehr gelungenes Beispiel für modernen Holzbau in der Schweiz ist der Gewinner des Watt d’Or 2022 in der Kategorie «Gebäude und Raum». Das Projekt «neuRaum» ist ein Wohn- und Gewerbehaus aus Holz, das 2021 in Horw von der schaerraum ag realisiert wurde und sich durch ein ausgeklügeltes, nachhaltiges Gesamtpaket auszeichnet.
Nachdem sein 30-jähriges Holzbauunternehmen von seinen Söhnen übernommen worden war, widmete sich der erfahrene Holzbauer Walter Schär zusammen mit seiner Frau einer neuen Herausforderung – dem Startup schaerraum mit dem klimaneutralen Pilotprojekt «neuRaum». Zusammen mit dem Architekturbüro Unit Architekten wurde ein pragmatisches und durchdachtes Holzgebäude mit viel Flexibilität, tiefen Mieten, kurzer Bauzeit und klimaneutralem Energieverhalten entwickelt.
Wie lässt sich so was realisieren? Die Antwort ist simpel: Mit einer guten Strategie. Für das Gebäude hat Schär das Modell «RaumRaster» entwickelt, ein modulares Denkraster, das für den energieeffizienten und ressourcenschonenden Bau und Betrieb sorgt. Der neue Holzbau ist ein gutes Beispiel für einen vereinfachten und «demokratisierten» Bauprozess.
Das Pilotprojekt des RaumRasters steht heute stolz an der Altsagenstrasse in Horw. Ein wichtiges Ziel des Entwicklers ist gewesen, die Bedürfnisse der Bewohner und der Gemeinschaft in den Mittelpunkt zu stellen und dabei einen kosteneffizienten, klimaneutralen Holzbau zu errichten. Es hat tatsächlich funktioniert.
In den 13 Wohnungen und mehreren Ateliers des Hauses bekommen die Bewohner die Möglichkeit, sich zu verwirklichen, ihre Räume nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten und geborgen zu leben, aber auch gemeinsam etwas anzufangen. Alle geniessen Seesicht, zu einem guten Preis und mit optimiertem Energiebedarf. Durch ihre flexiblen und vielfältigen Grundrisstypen bieten die Wohnungen Raum für unterschiedliche Altersgruppen, Familienformen und Einzelpersonen.
Das Projekt neuRaum ist als Labor für zukünftiges Wohnen und Arbeiten konzipiert. Räume bleiben dann interessant, wenn sie ihr Potential ausschöpfen und sich auch verändern können.
Die Grundstruktur des Gebäudes besteht aus einem räumlichen Holzraster mit Stahlaussteifungen und punktuellen Stahlstützen, eine Art Skelett, das auf einem Betonsockel steht. Beton wurde nur im Untergeschoss und beim Treppenturm verwendet. Es wurde nicht der pure Holzbau angestrebt, sondern eine funktionale, kosteneffiziente Holzbauweise, die bezahlbaren Wohnraum in hoher Qualität möglich macht.
In das RaumRaster werden Module mit einem Mass von 3,5 × 3,5 × 3 Meter eingesetzt, die flexibel kombinierbar sind und zu unterschiedlich grossen Wohnungen zusammengestellt werden können. Ein Würfel ist ein Raum mit 11,5 Quadratmeter Fläche. Der Wohnungsmix ist breit, von 33 bis 110 Quadratmeter. Mal sind die Wohnungen L-förmig und mal ein Quadrat oder ein Rechteck. Das System bietet eine spielerische Vielfalt von Raumkombinationen an.
Ein zentrales vorgefertigtes Modul, Kachelofen 2.0 genannt, beinhaltet den Schrank mit der Spüle der Küche, das Badezimmer und die gesamte Haustechnik. Dieser Würfel ist ein bisschen kleiner als die anderen im System und erlaubt es, die Zimmer im mittleren Bereich auf rund 15 Quadratmeter zu vergrössern.
Dadurch, dass im Inneren keine Wand eine tragende Funktion hat, sind Raumveränderungen auf Wunsch der Mieter mit wenig Aufwand möglich. Küchen- und Garderobenelemente sind ebenso verschiebbar.
Die Idee des Rasters ist nicht neu. Sie war auch nicht immer architektonisch besonders hoch angesehen, obwohl sie viele planerische Möglichkeiten zu bieten hat. Im «neuRaum» kommt sie zur Geltung und beweist, dass Rasterbauweise nicht nur effizient ist, sondern auch viel räumliches Potenzial eröffnet.
Eine nachhaltige, rationale Bauweise, die mit wenigen Mitteln vieles möglich macht, sich für weitere Projekte anbietet, Planungsaufwand reduziert und Kosten spart, so könnte man RaumRaster kurz beschreiben.
Dank dem pragmatischen Bauvorgang und den hohen Grad an Standardisierung belaufen sich die Baukosten pro Quadratmeter Geschossfläche auf 2000 Franken, was etwa 20 Prozent tiefer ist, als bei traditioneller Bauweise. Durch die gute Architektur konnte der Flächenbedarf pro Person um 10 bis 20 % gesenkt werden.
Das ermöglicht auch 20 % tiefere Mieten als die durchschnittlich üblichen für den Ort. Das rationale Bausystem, kombiniert mit neuen Technologien, verkürzte die Bauzeit auf unter 8 Monate. Ein wichtiger wirtschaftlicher Aspekt, der diese Bauweise auch investitionstechnisch sehr interessant macht.
Die Wärme für das Haus wird durch eine gängige Lösung mit innovativen Anpassungen gewährleistet. Eine Sole-Wasser-Wärmepumpe, bei der aber Boiler und Heizung über getrennte Steuerungen verfügen. Dadurch kann der Boiler tagsüber mit eigenem Solarstrom betrieben werden. Die benötigte Wärme wird durch die Pfähle aus dem Boden geholt. Überschüssige Wärme wird mittels Wärmetauscher und Erdsonden zurück in den Boden geleitet und gespeichert.
Wärme- und Kältetransport im Inneren erfolgt auf Niedertemperaturniveau. Ein integriertes Lüftungssystem regelt die Temperatur und die Luftqualität über das ganze Jahr. Dabei wird über einen sogenannten Klimakonvektor die Raumluft aktiviert, das sorgt für eine konstante Raumtemperatur. Die Frischluft tritt am Haustechnik-Modul aus und die verbrauchte Luft wird im dort integrierten Nassraum auch wieder abgezogen. Bei geschlossenen Zimmern erfolgt der Luftaustausch mittels Ventilationselementen, die über den Türen eingebaut sind.
Kern des Energiekonzepts ist wiederum die Installationseinheit «Kachelofen 2.0». Durch die gescheite Kombination der Klimatechnik mit den Energiepfählen und der Wärmepumpe wird eine sehr gute Jahresarbeitszahl von 7 erreicht. Das bedeutet, dass 1 kWh Strom 7 kWh Heizenergie erzeugt. So kommt es zu deutlichen Stromersparnissen, ohne dass die Behaglichkeit in den Räumen darunter leiden würde. Auf eine Bodenheizung mit dem dazugehörigen Verteilnetz kann verzichtet werden. Die ganze Haustechnik benötigt sehr wenig Energie, die zudem teilweise aus eigenproduziertem Strom besteht. Die Heizkosten sind so tief, dass sie den Mietern gar nicht verrechnet werden.
Mit Photovoltaikmodulen auf dem Dach des Hauses und auf den Autoeinstellplätzen produziert das Haus 50 % mehr Strom, als es verbraucht. Der Überschuss wird tagsüber in einem Stromspeicher «gelagert» und am Abend und in der Nacht den Bewohnern zur Verfügung gestellt. Das Haus ist zwar nicht komplett unabhängig vom Netz, schafft aber gute Voraussetzungen dafür. Im ersten Halbjahr 2021 wurden 40 % der Stromproduktion im Haus verbraucht und 60 % ins öffentliche Netz eingespeist.
Eine App vermittelt den Bewohnern jederzeit Einsicht in den aktuellen Verbrauch vom Strom und Wasser. Dadurch wird eine bewusster Umgang mit Ressourcen gefördert.
Das Holz für das Gebäude kommt zum grössten Teil aus der Region oder aus der Nähe und enthält dadurch nicht nur viel weniger graue Energie, sondern fördert die lokale Wirtschaft und die einheimische Holzbranche. Ein Holzbau mit der Grösse von «neuRaum» speichert 400 Tonnen CO2.
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Jetzt für den Newsletter anmeldenDer produzierte Eigenstrom ermöglicht ein Mobilitätskonzept mit eigener Versorgung. Elektrowagen können mit Hilfe einer App von den Bewohnern bei Bedarf genutzt und getauscht werden. Parkplätze sind mit Absicht nur in reduzierter Anzahl vorhanden. Das minimiert nicht nur den Fussabdruck, sondern schafft auch ein Gefühl von Gemeinschaft.
Da sich die Wohnungen auch nachträglich an Nutzerbedürfnisse anpassen lassen und man nur genau so viel bezahlt, wie man beansprucht, sind Bewohnerinnen und Bewohner aufgefordert sich zu überlegen, wie viel Raum und Energie wirklich nötig ist.
Das Haus ist ein offenes System, das sich an neue Technologien und Lebensstile anpassen kann. Eine Anpassung des Raumbedarfs in Kombination mit optimierten Energiestrategien könnte zu noch besseren Energiezahlen und weiteren Ersparnissen führen.
Die Faktoren Mensch und Einkommen sind kaum veränderbar. Also muss beim Konsum, den Produkten und Gebäuden, die wir produzieren, der Faktor Null in die Formel rein. So lösen wir das Klimaproblem.
Walter Schär
Das Projekt «neuRaum» ist eines der vielen Bespiele, die das Potenzial für die Zukunft des Holzbaus aufzeigen. Langsam entsteht eine neue Bautendenz, bei der nicht nur die Rendite im Zentrum steht, sondern eine umweltbewusste und gesellschaftsdienliche Haltung.
Das Bundesamt für Energie stellt das Watt-d’Or-Siegerprojekt in einem zweiminütigen Video vor.
Titelfoto
Fotografie Doris Hüsler
schaerraum ag
UNIT Architekten
Espazium
Hochparterre
Bundesamt für Energie BFE
Rayna Boyadzhieva arbeitet als Architektin in Zürich und beschäftigt sich mit den Themen Energie, Nachhaltigkeit am Bau und Umweltschutz.
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