Sind autarke Gebäude sinnvoll?

In Zeiten eines drohenden Strom- und Gasmangels schlafen jene am ruhigsten, die sich autark mit Energie versorgen können. Aus gesellschaftlicher Sicht hat das Streben nach Autarkie jedoch auch seine Schattenseiten.

7 Min.
Rotes Kreuz über mobilem Stromgenerator vor Haus

Ob Öl, Gas, Benzin, Diesel oder Strom: Seit Monaten steigen die Energiepreise. Während die einen auf einen milden Winter hoffen, wappnen sich andere mit Brennholzvorräten und Notstromaggregaten. Weniger besorgt sind jene Menschen, die sich selbst mit Energie versorgen – sie sind bei konstanten oder zumindest bekannten Kosten auf der sicheren Seite. Doch sind energieautarke Gebäude aus ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht überhaupt sinnvoll?

Das autarke Mehrfamilienhaus in Brütten

Seit gut sechs Jahren versorgt ein autarkes Mehrfamilienhaus in Brütten ZH seine Bewohnerinnen und Bewohner mit eigener Energie. Das von der Umwelt Arena Schweiz geplante und realisierte Gebäude kam ursprünglich ohne Anschluss ans Strom- oder Gasnetz aus und war damit komplett autark (siehe Aufklapp-Element oben).

Photovoltaik und Wasserstoff

Das Energiekonzept basiert auf einer hohen Solarstromproduktion durch eine Gebäudehülle aus Photovoltaikpanels, die mit Speichern ergänzt wird. Überschüssiger Solarstrom wird kurzfristig in Batterien gespeichert. Für die langfristige Speicherung wird der Überschuss in Wasserstoff umgewandelt. Dieser wird in zwei Tanks vor Ort gelagert und lässt sich im Winter bei Bedarf in Brennstoffzellen in thermische und elektrische Energie umwandeln. Weitere wichtige Aspekte, die zur Energieeffizienz des Mehrfamilienhauses (MFH) beitragen, sind die hochwertige Dämmung der Gebäudehülle, der Einsatz energieeffizienter Geräte sowie eine Anzeige in jeder Wohnung, die den Nutzenden ihren Verbrauch anzeigt. Dadurch wissen die Bewohnerinnen und Bewohner jederzeit, wie viel von ihrem fixen Energiebudget sie schon verbraucht haben – ein starker Anreiz für ein sparsames Verhalten.

Gebäudehülle aus Solarmodulen prägt die Aussenansicht eines Mehrfamilienhauses
Seit seiner Inbetriebnahme 2016 funktioniert das Mehrfamilienhaus in Brütten energieautark. (Foto: Umwelt Arena Schweiz)

Zu viel Überschuss

«Wir wollten zeigen, dass mit der damaligen Technik eine energieautarke Liegenschaft bei Mehrkosten von 10 bis 15 % realisiert werden kann», sagt Andreas Kriesi, stellvertretender Geschäftsführer der Umwelt Arena. Das ist gelungen: Das Pilotprojekt funktioniert nach wie vor wie gewünscht – und sogar noch besser. Nachdem in den ersten Jahren im Sommer so viel Solarstromüberschuss generiert wurde, dass man die Elektrizität ableiten musste, entschieden sich die Verantwortlichen für einen Anschluss ans öffentliche Stromnetz. Nicht etwa, um Strom zu beziehen, sondern um die Überschüsse nutzbar zu machen.

Aus heutiger Sicht, so Kriesi, sei die Photovoltaikanlage wohl eher etwas überdimensioniert. Zudem war die Technik zur Speicherung und Verwertung von Wasserstoff damals noch nicht ausgereift. «Wir mussten zum Beispiel zwei Brennstoffzellen installieren, weil sie jeweils Zeit zum Abkühlen benötigen», erklärt Kriesi. «Ausserdem sind beide recht wartungs- und kostenintensiv.»

Teure Autarkie

Wie sinnvoll ist das Konzept eines vollkommen autarken Gebäudes? Aus wirtschaftlicher Sicht wäre eine Teilautarkie Kriesi zufolge lohnender. Mit der Photovoltaikanlage und den kurzfristigen Batteriespeichern könne man die Energieversorgung zu 90 % sicherstellen. «Der Wasserstoff und die Brennstoffzellen übernehmen die Spitzenlastabdeckung, die wir allerdings nur an etwa 20 Tagen pro Winter benötigen», erklärt er. Die fehlenden 10 % aus dem Netz einzukaufen, wäre günstiger als die hohen Investitionen in eine eigene Spitzenlastabdeckung. Diese Erkenntnis hat die Umwelt Arena bei den nachfolgenden Projekten berücksichtigt und beispielsweise beim Projekt Männedorf die Umwandlung von Überschussstrom in ein speicherbares Gas an eine regionale Zentrale delegiert.

Einbau von zwei grünen Tanks auf einer Baustelle
Anstelle von Wasserstoffspeichern vor Ort wie hier in Brütten setzt die Umwelt Arena bei ihren neueren Projekten auf eine Netzanbindung, um die Spitzenlastabdeckung zu gewährleisten. (Foto: Umwelt Arena Schweiz)

Vorteile und Nachteile autarker Gebäude

Energieautarkie auf Stufe Gebäude kann aus technischer Sicht grundsätzlich gut realisiert werden. Durch eine hochwertige Dämmung und viel passiven Solareintrag über die Fenster lässt sich die Wärmenachfrage reduzieren. Den restlichen Bedarf decken beispielsweise eine Wärmepumpe und Photovoltaik.

Saisonal speichern

Eine Herausforderung bleibt jedoch: «Knackpunkt bei Autarkie-Konzepten ist stets die saisonale Speicherung», erklärt Russell McKenna, Leiter des Labors für Energiesystemanalysen am Paul Scherrer Institut (PSI) und Professor für Energiesystemanalyse an der ETH Zürich. Konkret muss jeweils eine Lösung gefunden werden, wie solarer Überschussstrom speicherbar und für den Bedarf im Winter nutzbar gemacht werden kann. Eine häufig gewählte Variante dafür ist die Umwandlung von Solarstrom in ein speicherbares Gas wie Wasserstoff (Elektrolyse) oder künstliches Methan (Power-to-Gas). Wie beim MFH Brütten lässt sich das im Sommer produzierte Gas dann im Winter für die Wärme- und Stromversorgung nutzen. In der Schweiz ist eine energieautarke Versorgung per se erneuerbar, weil keine einheimischen fossilen Brennstoffe zur Verfügung stehen. Aus ökologischer Sicht sind solche Lösungen daher grundsätzlich positiv.

Das Innenleben einer Maschine besteht aus viel Elektronik
Mit einer Brennstoffzelle wieder dieser aus dem MFH Brütten lässt sich saisonal gespeichertes Gas im Winter in Strom und Wärme umwandeln. (Foto: Umwelt Arena Schweiz)

Steigende Attraktivität bei steigenden Preisen

Traditionell war Energieautarkie stark ökologisch geprägt. «Wer darin investiert hat, nahm bewusst gewisse Mehrkosten in Kauf, um der Umwelt etwas Gutes zu tun», sagt McKenna. Auch unter den Mieterinnen und Mietern gibt es viele, die bewusst umweltfreundlich wohnen wollen. Beim MFH Brütten und anderen Projekten der Umwelt Arena ist die Nachfrage nach Wohnungen hoch, Leerstände muss die Verwaltung nicht befürchten. Dazu kommt, dass beim aktuellen Marktumfeld die fixen Energiekosten, die ein autarkes Gebäude ermöglicht, für Mietende sehr attraktiv sind. Könnte dies dazu führen, dass künftig mehr autarke oder teilautarke Liegenschaften gebaut werden? «Bisher waren autarke Gebäude für Investoren zu wenig lukrativ», sagt McKenna. Gemäss dem Forscher könnte die aktuelle Energiekrise dies aber ändern, weil Wasserstoff und andere alternative Energieträger im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wettbewerbsfähiger werden. «Wir wissen aber nicht, ob und wann die Energiepreise wieder sinken – die Lage ist recht unsicher.»

Ist Autarkie unsolidarisch?

Die weitere Verbreitung energieautarker Gebäude könnte aber auch negative Effekte zur Folge haben. Je mehr Menschen nämlich autark leben, desto teurer wird die Energie für jene, die sie noch aus einem öffentlichen Netz beziehen müssen. Der Grund: Die Gebühren für die Nutzung des Netzes steigen, weil weniger Haushalte die Fixkosten tragen müssen. Sind autarke Gebäude damit aus gesellschaftlicher Sicht unerwünscht oder gar unsolidarisch? Andreas Kriesi von der Umwelt Arena winkt ab: «Da unser Gebäude in Brütten bis heute das einzige energieautarke Mehrfamilienhaus ist, bleiben die beträchtlichen Einnahmen aus der Netznutzung bestehen.»

Von einem Mast aus führen Stromleitungen in verschiedene Richtungen
Je weniger Menschen das öffentliche Stromnetz nutzen, desto teurer wird dessen Nutzung für die anderen. (Foto: Pixabay/Michaela)

Neues Abrechnungsmodell nötig

Etwas anders sieht dies Russell McKenna. «Ein Problem sind vor allem Haushalte, die bilanziell autark sind», sagt er. «Sie bezahlen nur wenig an den Netzunterhalt, beziehen aber meist dann Energie, wenn die Nachfrage bereits sehr hoch ist.» Er schlägt vor, diese Herausforderung mit einer angepassten Kostenstruktur zu lösen. Das Modell könnte so aussehen: Wer einen Anschluss ans öffentliche Netz hat, bezahlt nicht nur pro Einheit bezogenem Strom, sondern auch pro Kapazitätseinheit (Anschlussleistung) und pro Zeiteinheit (z. B. pro Monat). Teilweise existiert eine solche Kostenaufteilung bereits, das Verhältnis zwischen den Anteilen müsste aber angepasst und eventuell zeitlich variiert werden. Damit könnte man diejenigen Haushalte entlasten, die auf das öffentliche Netz angewiesen sind.

McKenna weist aber darauf hin, dass energieautarke Gebäude nicht überall den gleichen Effekt auf das öffentliche Netz haben. Im ländlichen Raum könnte es sogar ein Vorteil sein, wenn abgelegene Objekte autark werden, weil sich so Kosten für Erschliessung und Unterhalt sparen lassen. Zudem sind auf dem Land Biogasanlagen einfacher realisierbar, die eine weitere Möglichkeit zur energetischen Unabhängigkeit bieten.

Fazit: Autarke Gebäude sind nicht überall sinnvoll

Eine komplette Energieautarkie auf Gebäudeebene dürfte auch in Zukunft eher teuer sein und kaum zu einem Massenphänomen werden. Es gibt wirtschaftlichere Möglichkeiten, die Spitzenlastabdeckung der Wärme- und Stromversorgung sicherzustellen. «Attraktiver ist Autarkie auf der Ebene Areal oder Quartier, weil die Bereitstellung der Reserven durch Skaleneffekte kostengünstiger wird», resümiert McKenna. Für Menschen, denen es aus ideologischen Gründen wichtig ist, und für bestimmte Gebäude im ländlichen Raum dürfte Energieautarkie aber auch in Zukunft eine spannende Alternative zur klassischen Energieversorgung darstellen.