100 Prozent erneuerbare Energie für die Schweiz

Ist die Energiewende zu tragbaren Kosten möglich? Das erste Schweizer Atomkraftwerk ging Ende 2019 vom Netz, die übrigen vier werden dem Beispiel des AKW Mühleberg in den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren folgen. Effizienzsteigerungen und erneuerbare Energien müssen somit in absehbarer Zeit sämtliche AKW ersetzen.

6 Min.
Solaranlage in Trun

Neue AKW dürfen in der Schweiz nicht mehr gebaut werden und wären zudem auch zu teuer. Gaskraftwerke und andere fossile Energien sind aufgrund des CO2-Ausstosses ebenfalls keine Option, da sie den Pariser Klimazielen zuwiderlaufen, zu deren Einhaltung sich die Schweiz verpflichtet hat. Somit bleiben nur noch die erneuerbaren Energien und das Konzept der «Negawatt-Kraftwerke». Letztere sind energetisch gesehen am günstigsten, denn sie erzeugen keine Energie, sondern sorgen durch Effizienzsteigerungen dafür, dass weniger Energie produziert werden muss – zum Beispiel in der Industrie, mehr dazu weiter unten.

Welche Optionen hat die Schweiz für die Energieversorgung?

Der ungewisse Abschaltzeitpunkt der Atomkraftwerke sorgt für Unsicherheit in der Planung: gemäss den Entscheiden des Bundesrates laufen sie, «solange sie sicher sind». Mit dieser Ungewissheit mangelt es an Druck auf Gesellschaft, Elektrizitätswirtschaft und Politik, um rechtzeitig neue Kraftwerke aufzubauen, so dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Um eine übermässige Abhängigkeit von Stromimporten zu vermeiden, muss der Schweizer Kraftwerkspark aber laufend ausgebaut und modernisiert werden.

Die Energiewende ist machbar

Studien zeigen: Die Umstellung auf «100 Prozent erneuerbar» ist machbar, finanzierbar und nachhaltig – und dies, obwohl wir vor enormen Aufgaben stehen.

Die Schweiz verbrennt und verfährt rund 1,3 Millionen Liter Erdöl pro Stunde. Zählt man die Raffinerie- und Transportverluste dazu, sind es gar circa 1,6 Millionen Liter pro Stunde – oder knapp drei Barrel Öl pro Sekunde. (Barrel à 159 Liter)

Interessanterweise ist dieser enorme Energiebedarf erst in den letzten 60 Jahren entstanden: Der Pro-Kopf-Energieverbrauch ist heute zweieinhalbmal höher als 1960, obwohl auch damals die Grundbedürfnisse der Bevölkerung gedeckt waren. Die Hauptverursacher dieser Vervielfachung sind die Mobilität, die Entwicklung des Gebäudeparks und die Konsumartikel. Ein Beispiel: Die motorisierte Individualmobilität und der Strassengüterverkehr hatten im Jahr 2017 einen Energieverbrauch von 55 TWh. Rund 80 % dieser Energie wurden in Wärme und lediglich 20 % in Bewegung umgesetzt. Setzt man hier konsequent auf Elektromobilität – mit einer Antriebseffizienz von 80 % und mehr –, dann reduziert sich der Energiebedarf im Mobilitätssektor in der Schweiz auf 15 TWh pro Jahr. Würde man zeitgleich statt auf immer grössere Fahrzeuge auf kleine und leichte Fahrzeuge setzen, wären der Ressourcenverbrauch und die notwendige Ladeinfrastruktur noch einmal deutlich kleiner.

Die Energiewende ist bezahlbar

Zusammengefasst: Die Energiewende wird schneller, preiswerter und ressourcenschonender gelingen, wenn nebst Umstellung auf erneuerbare Energien auch die Effizienz unserer Energienutzung massiv gesteigert wird. Aufgrund des knappen Zeithorizonts, der angesichts der dramatischen Klimaveränderungen noch bleibt, liegt es nahe, dass beim Umbau vor allem auf vorhandene, serienreife Technologien gesetzt werden muss. Der Ausbau der vorhandenen Potenziale reicht zusammen mit der existierenden Wasserkraft aus, um das Ziel «100 Prozent erneuerbar in allen Sektoren» zu erreichen. Diese Energiewende ist auch finanzierbar. Der dazu notwendige Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie, inklusive allfälliger Netzumbauten und Speicher, wäre nach Schätzungen der ZHAW mit einmaligen Kosten von rund 57 Milliarden Franken verbunden.¹ Diese Zahl scheint viel grösser, als sie ist. Zum Vergleich: Die Nationalbank machte 2017 einen Gewinn von 54 Milliarden Franken. Und wir geben pro Jahr 11.5 Milliarden Franken für fossile Energien aus – würden wir diese Gelder in den Ausbau der erneuerbaren leiten, wäre dieser Ausbau innerhalb von fünf Jahren finanziert. Danach hätten wir die Energie praktisch gratis. Denn der mit dem Umbau produzierte Strom fliesst nach der Abschreibung dieser Investition weiter und Brennstoffkosten würden nicht anfallen. Spätestens nach zehn bis zwanzig Jahren wäre die Energiewende so oder so amortisiert. Die Investition wäre also vergleichbar mit den 60 Milliarden Franken, welche die Eidgenossenschaft in der Finanzkrise 2008 für die Rettung der Grossbank UBS aufwenden musste, was sich unter dem Strich ausgezahlt hat. Auch die Energiewende hätte, wie alle Studien übereinstimmend feststellen, positive Auswirkungen für die Wirtschaft und nicht nur für die Umwelt.

Vom Profiteur zum Vorbild

Klar, die Schweiz alleine kann mit Massnahmen im Inland die Welt nicht retten. Aber als hoch entwickeltes Land steht sie – ethisch, moralisch und technisch – in der Verantwortung, beim Umbau der Energieversorgung voranzugehen und nicht hinterherzulaufen. Zumal die Schweiz durch «Energiepartnerschaften» auch mithelfen kann, in einem von der Grösse her vergleichbaren Partnerland die Energieproduktion auf «100  Prozent erneuerbar» umzustellen. In einer Energiepartnerschaft hätten wir eine Art Paten-Funktion: Im gleichen Masse, wie wir unser Land fit für die Zukunft machen, helfen wir auch dem Partnerland, seine Energieproduktion umzustellen. Dies wäre auch wirtschaftlich interessant. Notwendig sind dazu aber griffige Gesetze, bindende Absenkpfade mit realistischen Zwischenzielen, inklusive klarer Handlungsoptionen bei Nichterreichung. Dies insbesondere in Bereichen, wo die Idee der «Eigenverantwortung» nicht funktioniert, beispielsweise bei besonders energie- und umweltschädlichen Verfahren. Dass dieser Umbau nicht ganz reibungslos funktionieren wird und wir während der Umbauphase Feinjustierungen vornehmen und uns neu abstimmen werden müssen, ist klar. Es kann gelingen, wenn wir Partikularinteressen zurückstellen und den übergeordneten Gemeinschaftsinteressen – gerade auch der nachfolgenden Generationen – klar unterordnen.

Grosse Solaranlage mit Dorf und Berglandschaft im Hintergrund
Die CO₂-neutrale Firma Tarcisi Maissen SA in Trun GR zeigt, wie auch grössere Betriebe die Energiewende schaffen und das Pariser Klimaabkommen vorbildlich umsetzen. (Fotos: Schweizer Solarpreis 2019)

Solarenergie

Über sehr grosses Potenzial verfügt die Solarenergie – in der Schweiz stellt sie das grösste ungenutzte Potenzial dar. Sie ist in den letzten Jahren zur preiswertesten Energieform mit Preisen zwischen acht und zwölf Rappen pro Kilowattstunde geworden. In Deutschland, wo grosse Freiflächenanlagen gebaut werden, liegen die kWh-Preise für neue Anlagen bei circa drei Rappen. Auch sind Solarkraftwerke die einzigen Energieproduktionsstätten, die schnell, dezentral und ohne langwierige Standortsuchen sowie Bewilligungsverfahren zugebaut werden können. Hier kann sich jeder Bürger und jede Bürgerin unkompliziert und direkt an der Energiewende beteiligen – sie wird nur gelingen, wenn alle mithelfen.

Video zum Thema «Energiewende»

Die Energiewende kurz erklärt von der Uni St. Gallen – Videolänge 6:30 Minuten.