Energie aus Biomasse: Wo die Schweiz mehr herausholen kann

Mehr Energie aus Schweizer Biomasse soll für die Energiestrategie 2050 des Bundes die Rolle von Sonne und Wind unterstützen. Eine vor Kurzem veröffentliche Studie gibt Einblick in das vorhandene Potenzial.

6 Min.

Von der heimischen Energiequelle Biomasse, die zum Beispiel aus Wäldern, Bauernhöfen und Kläranlagen zu gewinnen wäre, wird in den Plänen der Energiestrategie 2050 ein zunehmender Beitrag zur sauberen Energieversorgung der Zukunft erwartet. Bioenergie gilt als CO2-neutral und hat zudem den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Solar- und Windkraft rund um die Uhr und saisonunabhängig verfügbar wäre. Doch wie gross genau kann der Beitrag der Biomasse sein? Dieser Fragestellung hat sich eine vor kurzem veröffentlichte Untersuchung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) gewidmet.

Zehn Biomassesorten erfasst

Mit der WSL-Studie sollten die Biomasseressourcen im Hinblick auf ihr energetisches Potenzial und ihre geographische Verteilung evaluiert werden. Die Autoren berücksichtigten sowohl verholzte als auch nicht-verholzte Biomasse und unterteilten die vorhandenen Ressourcen in 10 Kategorien: (1) Waldholz, (2) Flurholz, (3) Restholz, (4) Altholz, (5) Hofdünger, (6) landwirtschaftliche Nebenprodukte, (7) organische Anteile im Kehricht, (8) Grüngut der Haushalte und der Landschaftspflege, (9) biogene Abfälle aus Gewerbe/Industrie und (10) Klärschlamm. Nicht in die Untersuchung eingeflossen sind Energieholzplantagen auf landwirtschaftlichen Böden und Energiepflanzen, sogenannte Energy crops.

Grosses theoretisches Potenzial

In einem ersten Schritt ermittelten die Wissenschaftler die Menge an Energie aus Biomasse, die theoretisch jährlich zu nutzen wäre. Dieses errechnete theoretische Potenzial von Schweizer Biomasse beziffern die Autoren des WSL-Berichts mit 209 PJ Primärenergie pro Jahr. Davon entfällt rund die Hälfte auf Waldholz (108 PJ) und ein Viertel auf Hofdünger (49 PJ). «Diese theoretisch verfügbare Energiemenge aus Biomasse entspricht umgerechnet etwa dem Energieinhalt von 4.8 Millionen Tonnen Rohöl oder rund 19% des totalen Energie-Bruttoverbrauchs der Schweiz (1108 PJ, Stand 2014)», schreiben die Autoren.

Dieses maximal erreichbare Potenzial wurde dann in einem weiteren Schritt nach Berücksichtigung ökologischer und ökonomischer Rahmenbedingungen auf einen realistischeren, nachhaltig erzielbaren Wert eingegrenzt. So kamen die Forschenden zum Ergebnis, dass die hierzulande verfügbare Biomasse, nachhaltig bewirtschaftet,  jährlich 97 Petajoule an Primärenergie zur Energieversorgung des Landes beitragen könnte.

Beinahe Verdoppelung wäre möglich

Aktuell steuert die Biomasse bereits etwa 53 Petajoule zur Deckung des Schweizer Energiebedarfs bei. Das heisst also, dass gemäss der WSL-Studie noch circa 44 Petajoule an brachliegendem Potenzial nachhaltig vorhanden sind. Sollte dieses genutzt werden können, würde sich der  Beitrag der Bioenergie in der Schweiz also fast verdoppeln. Doch damit das geschieht, müssten zum Teil noch die Technologien zur effizienten und wirtschaftlichen Umwandlung der rohen Biomasse in nutzbare Energie entwickelt oder perfektioniert werden.

Einer der Studienautoren, Oliver Thees von der WSL, weist darauf hin, dass vor allem ökonomische Bedingungen der Ausschöpfung des Potenzials im Wege stehen. Das verdeutlicht er am Beispiel vom Waldholz, das gemäss der Studie ein grosses theoretisches Potenzial von 108 Petajoule aufweist, von denen 26 Petajoule als nachhaltig nutzbar erachtet werden. Holz zur energetischen Nutzung ist laut Thees vor allem noch aus den Voralpen und dem Jura zu holen. Die Schwierigkeiten des Geländes machen eine rentable Nutzung fast unmöglich, weil der Erlös die Erntekosten nicht decken würde. Im Mittelland seien die Ressourcen bereits heute praktisch am Limit ihrer Nutzbarkeit.

Im Falle von Altholz sei hingegen das offenbar lukrative Exportgeschäft die grösste Barriere. Thees berichtet, dass im Rahmen der WSL-Studie festgestellt wurde, dass 2014 ein Drittel des Altholzes ins Ausland verkauft wurde, welches dort zu gleichen Teilen stofflich und energetisch genutzt wird. In der Schweiz fehle es dafür an Abnehmern und auch an der geeigneten Anlagentechnik.

Viel Energie aus Hofdünger zu holen

Das grösste nachhaltige Potenzial aller Biomassen weist in der Schweiz Hofdünger aus der landwirtschaftlichen Tiernutzung auf. Doch für diese Form von Biomasse (Gülle und Mist) seien noch geeignete, in der Anschaffung günstige Anlagen zu entwickeln. Urs Baier und sein Team an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wollen mit ihrer Forschung Abhilfe schaffen. Die Wissenschaftler haben sich vorgenommen, den festen, faserigen Anteil der Rindergülle zu verwerten. Den darin enthaltenen Zellstoff (Zellulose) könnte man effizienter als bisher zu Biogas (Methangas pflanzlicher Herkunft) verarbeiten. Heute wird aus der Zellulose nur wenig Methan gewonnen und der Grund dafür ist, dass im etablierten anaeroben Vergärungsverfahren (unter Ausschluss von Sauerstoff) die langen Zellulose-Moleküle nur zum Teil aufgebrochen werden können. Baiers Idee ist, die zellulosehaltige Fraktion durch eine Vorbehandlung in einem ersten Schritt unter Sauerstoffzugabe zunächst zu kleineren Molekülen aufzuspalten. Die kleineren Moleküle liessen sich dann leichter und schneller in Methan und das Nebenprodukt CO2 umwandeln. Die Aufbereitung soll die Biogas-Ausbeute gemäss Baiers Berechnungen um circa 20 Prozent steigern.

Das grössere energetische Potenzial für Hofdünger liegt jedoch nicht im festen, sondern im flüssigen Anteil, der sich aus Urin, aber auch aus wasserhaltiger Gülle zusammensetzt. Diese flüssige Mischung wird heute grundsätzlich als organischen Dünger betrachtet und ihr Nutzen besteht darin, dass sie auf den Bauernhöfen als Dünger und Bodenverbesserer ausgebracht wird. Eine energetische Nutzung könnte für die Landwirte hingegen finanzielle Anreize bieten, indem sie mit dem gewonnen Biogas einen Teil ihres eigenen Strombedarfs abdecken könnten. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die entsprechenden Biogasanlagen zu günstigen Preisen erworben werden können. Aber auch der am Markt vorhandene Strompreis müsste laut Baier hoch genug sein, damit die Rechnung aufgeht.

Neue Biogasanlagen sind auf weitere Forschung angewiesen

Da kostengünstige Anlagen zur effizienteren Umwandlung der Gülle in Biogas noch entwickelt werden müssten, ist die angewandte, industrienahe Forschung zur zugehörigen Verfahrenstechnik im Moment ein erster wichtiger Schritt.

Baiers Forschungsteam arbeitet bereits mit einem Schweizer Industriepartner zusammen, der Firma First Biogas International AG, die sich auf den Bau von Biogasanlagen spezialisiert hat. Für das Unternehmen mit Hauptsitz in Winterthur steht die Vergärung des festen Anteils im Hofdünger im Mittelpunkt des Interesses. Aber Baier führt auch Gespräche mit anderen Firmen, die sich ebenfalls als Hersteller von Kleinanlagen auf die flüssige Fraktion konzentrieren würden. Sollte sich die Technologie zur Verwertung von Hofdünger als machbar und wirtschaftlich erweisen, wäre sie laut Baier innerhalb der nächsten fünf Jahre am Markt erhältlich.

Das gesamte zusätzliche Potenzial von 44 Petajoule, welches die WSL-Untersuchung der Schweizer Biomasse zurechnet, müsste gemäss der Energiestrategie bis 2030 angezapft werden. Trotz der vielen noch zu meisternden Herausforderungen auf diesem Weg ist Oliver Thees zuversichtlich, dass die Bioenergie innerhalb der gesetzten Frist den von ihr erwarteten Beitrag leisten kann.