Heizen und Kühlen mit Seewasser

Die Schweizer Seen sind nicht nur attraktive Naherholungsgebiete, sondern auch wertvolle Energiespeicher. Mit ihrem Wasser lassen sich Gebäude erneuerbar beheizen und kühlen. Obwohl das Konzept der thermischen Seewassernutzung bereits vor mehr als 80 Jahren in Zürich entwickelt und erstmals realisiert wurde, setzt man es hierzulande erst seit einigen Jahren wieder vermehrt ein.

6 Min.

Wow, was für eine Lage! Direkt am Zürichsee gelegen, dürfen sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Überbauung «LagoMio» in Wädenswil jeden Morgen an einer tollen Aussicht erfreuen. Doch der See ist nicht nur wegen des schönen Panoramas wichtig für das 2005 erstellte Gebäude. Sein Wasser wird auch genutzt, um die 58 Wohnungen und verschiedene Geschäfte mit Wärme zu versorgen. EKZ zeichnet für diese innovative Energielösung verantwortlich, die in einem Contracting-Modell angeboten wird. Die Wärmepumpen-Anlage, die das Seewasser auf das benötigte Temperaturniveau bringt, verfügt über eine Leistung von 700 kW und generiert eine jährliche Heizleistung von rund 1,5 Millionen kWh.

Geschichte der Seewassernutzung

Seewasser ist eine der erneuerbaren Energiequellen, die das Schweizer Energiesystem CO2-neutral machen sollen. Sein Potenzial ist sehr gross, denn die vielen Schweizer Seen sind riesige thermische Speicher. Dass man Seewasser erst seit Kurzem häufiger als Energiequelle nutzt, ist aber nicht etwa darauf zurückzuführen, dass man sein Potenzial nicht erkannt hätte. Im Gegenteil: Bereits 1938 wurde die Stadt Zürich zu einer Energiepionierin, als sie Wasser aus der nahegelegenen Limmat für die Beheizung des Rathauses nutzte. Die dafür eingesetzte Technik hatte die Firma Escher Wyss entwickelt. Auch in den folgenden Jahren realisierte man in Zürich immer wieder Projekte mit Seewasser als Energiequelle. Beispiele waren das Schwimmbad City, Gebäude an der Walche sowie Amtshäuser in der Innenstadt.

Dank seiner Lage direkt an der Limmat und dem Pioniergeist der Verantwortlichen nutzt das Zürcher Rathaus (links im Bild) bereits seit 1938 Wasser als Energiequelle. (Foto: Pixabay/janmaybach)

Nach dem zweiten Weltkrieg kam die Entwicklung jedoch zum Erliegen, nicht zuletzt wohl wegen der tiefen Ölpreise. Erst nach der Ölkrise der 1970er-Jahre rückte die Nutzung von natürlichen thermischen Ressourcen wieder vermehrt in den Fokus. Seit den 80ern wird zum Beispiel das Fernwärmenetz der schwedischen Hauptstadt Stockholm unter anderem mit Energie aus Meerwasser versorgt. Mit einer Gesamtleistung von 180 MW bilden die dabei eingesetzten Wärmepumpen die weltweit grösste Anlage dieser Art. In der Schweiz kam die Seewassernutzung ebenfalls wieder in Mode. Vor allem seit der Jahrtausendwende entstehen an den grossen Schweizer Seen immer mehr Seewasserverbunde.

So funktioniert Seewassernutzung

Die im Seewasser enthaltene Energie kann entweder ein thermisches Netz, ein Areal oder auch ein einzelnes Gebäude versorgen. Dazu wird Seewasser mit einem sogenannten Seiher (ein sehr grosses Sieb) einige Meter über dem Grund des Sees gefasst. Über eine Leitung pumpt man es anschliessend in die Seewasserzentrale. In der Zentrale entzieht ein Wärmetauscher dem Seewasser Wärme, die anschliessend einer Wärmepumpe als Energiequelle dient. Die Wärmepumpe hebt die Temperatur auf das nötige Niveau, meist 40 bis 65 °C. Damit lässt sich die Wärme in den angeschlossenen Gebäuden für die Beheizung und für die Warmwasseraufbereitung nutzen. Im Unterschied zu vielen anderen Energiequellen kann man das Seewasser aber nicht nur zum Heizen verwenden, sondern im Sommer auch zum Kühlen. Dazu wird das ganzjährig rund 4 °C kalte Seewasser direkt mittels Freecooling zur Raumkühlung eingesetzt.

Blick in eine Energiezentrale: Wärmetauscher entnehmen dem Seewasser hier thermische Energie. (Foto: EKZ)

Im Winter von Vorteil

Nachdem dem Seewasser in der Zentrale Wärmeenergie entzogen wurde, wird es in den See zurückgeleitet. Im Winter ist das Wasser dabei etwas kälter als bei der Entnahme. Im Freecooling-Betrieb im Sommer fliesst es leicht wärmer in den See zurück. Ob diese Temperaturunterschiede negative Auswirkungen auf das Ökosystem der Gewässer haben, hat eine Studie des eidgenössischen Wasserforschungsinstituts Eawag untersucht. Die Studienautoren kamen zum Schluss, dass die leichte Abkühlung eines Gewässers im Winter keinen negativen Einfluss auf das Ökosystem hat. Sie kann sogar der Klimaerwärmung entgegenwirken, die in vielen Gewässern die Temperatur ansteigen lässt.

Ökologische Auswirkungen prüfen

Für den Sommerfall hingegen, wenn das genutzte Seewasser leicht erwärmt ins Gewässer zurückfliesst, müssen vorgängig die ökologischen Auswirkungen geprüft und strenge Vorgaben eingehalten werden. Zudem empfehlen die Autoren der Eawag-Studie, dass das genutzte Wasser in der sogenannten Sprungschicht in einer Tiefe von 15 bis 40 Metern zurückgegeben wird. In diesem Bereich variieren die Wassertemperaturen naturgemäss recht stark. Vor allem bei grossen Seen ist das Volumen der Sprungschicht so gross, dass die dort lebenden Organismen vom zurückgeführten Wasser nur geringfügig beeinflusst werden. Grundsätzlich ist also auch die Nutzung von Seewasser im Sommer ohne negative Auswirkungen auf das Ökosystem möglich.

Links: Bau einer Seewasserleitung im Zürichsee. Rechts: Die Überbauung «LagoMio» in Wädenswil. – Die möglichen Auswirkungen der Seewassernutzung auf das Ökosystem werden bei jedem Projekt genau geprüft. (Fotos: EKZ)

Wirtschaftlichkeit der Seewassernutzung

Ein Seewasserverbund ist grundsätzlich dann wirtschaftlich, wenn er möglichst viele Verbraucher auf möglichst kleinem Raum versorgen kann. Folglich eignet sich die Seewassernutzung vor allem für dicht besiedelte Gebiete in der Nähe eines grossen Gewässers. Von diesen geeigneten Gebieten gibt es in der Schweiz nach Einschätzung von Experten noch viele, weil die Ufer der grossen Seen oft dicht besiedelt sind.

Finanzielle Vorteile

Wer als Eigentümerschaft den Anschluss an ein thermisches Netz mit Seewassernutzung realisiert, profitiert von verschiedenen Vorteilen. Finanzielle Förderung zum Beispiel: Kanton und Stadt Zürich unterstützen wie auch viele anderen Gemeinden den Ersatz einer fossilen Heizung durch einen Fernwärmeanschluss. Prüfen lässt sich dies beispielsweise mit der Standortsuche auf der Website www.energiefranken.ch. Ein Vorteil kann auch sein, dass der Anschluss an ein thermisches Netz kaum Installationen benötigt. Eine Wärme-Übergabestation ist ähnlich kompakt wie eine Gasheizung. Platz, den andere Heizsysteme für den Tank oder Geräte benötigen, ist nicht nötig. Gerade an Standorten mit hohen Bodenpreisen sind damit durchaus relevante finanzielle Vorteile verbunden. Zudem fallen kaum Kosten für Unterhalt oder Wartung an. Und: Die Energiepreise für Seewasser-Energie sind sehr stabil und nicht von einem Weltmarkt abhängig wie etwa bei einer fossilen Heizung.

Komfortable Lösung

Interessant ist der Anschluss an einen Seewasserverbund aber auch aus Gründen des Komforts. Zum einen ist die Kühlung an heissen Sommertagen ein attraktiver Bonus, die Investition in eine Klimaanlage erübrigt sich. Zum anderen funktioniert der Fernwärmeanschluss vollautomatisch und zuverlässig – der Betriebsaufwand für Eigentümerschaften und Nutzende ist entsprechend gering.

Alternative nachhaltige Wärmequellen

Wenn die Seewassernutzung an einem Standort nicht möglich ist, kommen verschiedene andere CO2-neutrale thermische Quellen als Alternative infrage. Für grössere Objekte oder für die Versorgung eines thermischen Netzes sind dies in erster Linie Holzschnitzel-Feuerungen oder die Abwärme von Abwasserreinigungsanlagen. Diese beiden Alternativen haben jedoch im Vergleich zum Seewasser den Nachteil, dass das Kühlen im Sommer nicht möglich ist. Auch Grundwasser, Flusswasser oder das Abwasser einer Kläranlage lässt sich thermisch nutzen und ist je nach Standort eine Abklärung wert. Für kleinere Überbauungen sind Erdsonden-Heizungen beliebt, die ebenfalls heizen und kühlen können.

Wer also in Seenähe wohnt, ist gut beraten, den See nicht nur als hübsche Kulisse zu betrachten, sondern auch als attraktiven erneuerbaren Energiespeicher. So wie es das Projekt «LagoMio» in Wädenswil vormacht.