Ob uns zu heiss ist, lässt sich nicht einfach am Thermometer ablesen

Der Energieverbrauch von Klimaanlagen in aller Welt gehört zu den grossen, aber oft übersehenen Problemen. Verbindliche Vorgaben für bessere Energieeffizienz sind deshalb unabdingbar. Dieser Technikfokus stehe jedoch manchmal einem breiteren Zugang zum Thema im Weg, argumentieren zwei Umweltwissenschaftlerinnen.

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Blick ins Grüne durch Lamellenstoren

Temperaturempfinden und Massnahmen gegen die Hitze werden auch von persönlichen, sozialen und kulturellen Faktoren bestimmt. In den Vereinigten Staaten etwa sind Klimaanlagen und Ventilatoren so omnipräsent wie in keinem anderen Land. Für das Kühlen von Räumen verbrauchen Amerikanerinnen und Amerikaner heute so viel Energie wie Afrika, Südamerika, der Nahe Osten und Asien zusammen, China einmal ausgenommen. Während in den USA ganze 90 Prozent der Bevölkerung über eine Klimaanlage oder einen Ventilator verfügen, sind es in den heissesten Regionen der Welt nur gerade 8 Prozent. Diese Zahl dürfte in den kommenden Jahrzehnten aber rasant ansteigen, prognostiziert die Internationalen Energieagentur IEA.

Ohne Kurskorrektur könnte sich der Energiebedarf von Klimaanlagen bis 2050 verdreifachen.

Die grösste Sorge bereitet der IEA die schlechte Energiebilanz der Anlagen, die heute weltweit im Einsatz sind: Sie brauchen häufig doppelt so viel Energie, wie es verfügbare Alternativen täten. Staatliche Interventionen und verbindliche Vorgaben für bessere Energieeffizienz seien deshalb unabdingbar. Ohne Kurskorrektur werde sich der Energiebedarf von Klimaanlagen sonst bis 2050 verdreifachen.

Einiges geht auch ohne Klimaanlage

Um dem grossen Energieverbrauch für Raumkühlung entgegenzuwirken, müsse der Blick über technische Überlegungen hinausgehen, sind die Umweltwissenschaftlerinnen Antonella Mazzone und Radhika Khosla überzeugt. Sie plädieren deshalb für einen breiteren Zugang zum Thema. Wann es wem zu heiss wird und welche Massnahmen man gegen die Hitze ergreift, hängt auch von persönlichen, sozialen oder gestalterischen Aspekten ab. Für einen Übersichtsartikel im Fachjournal Energy Research & Social Science haben die Forscherinnen der Universität Oxford deshalb knapp 170 Studien zusammengetragen und analysiert.

Soziale Aspekte und Marketing durchschauen

So sei die Klimaanlage von Industrie, aber auch von Politik und Medien von Anfang an stark als Symbol von Modernität und Hygiene vermarktet worden, schreiben Mazzone und Khosla. Bei der Anschaffung spielen meist nicht nur rationale Argumente eine Rolle, sondern auch unsere Kultur und unser Umfeld. Bedürfnisse nach Komfort und Kühle sind immer auch sozial konstruiert.

Gleichermassen wurden Schweiss und Körpergeruch irgendwann auch als Schichtmerkmal gehandelt. Es schwitzte (und schwitzt), wer körperlich anstrengende und eher schlecht bezahlte Arbeit leistete. Das klimatisierte Büro und die trockenen Achselhöhlen symbolisierten so auch den sozialen Aufstieg.

Das Versprechen der Werbung: Schöne, schweissfreie, glückliche Menschen mit Klimaanlage. (Symbolbild: Shutterstock/LightField Studios)

Emotionaler Stress als hitzige Angelegenheit

Hinzu kommt: Bei welcher Temperatur wir uns am wohlsten fühlen, ist individuell unterschiedlich. So ist es Frauen gemäss einer von Mazzone und Khosla zitierten Studie durchschnittlich bei einer Temperatur von 21,9 Grad drinnen am wohlsten – bei Männern ist es ein ganzes Grad weniger. Eine Rolle spielen ebenso Körpergewicht oder Alter, die Gestaltung des Alltags und der Freizeit, ob jemand regelmässig Sport treibt zum Beispiel.

Frauen fühlen sich in Gebäuden bei 21,9 Grad am wohlsten – bei Männern ist es ein ganzes Grad weniger.

Selbst der momentane Gefühlszustand hängt mit dem Temperaturempfinden zusammen: So weiss man beispielsweise, dass emotionaler Stress zu körperlicher Überhitzung führen kann. Umgekehrt zeigen Experimente, dass sich Menschen in einer warmen Umgebung eher einem Ort oder einer Gruppe zugehörig fühlen und Fragen eher bejahen. Wärme in Form eines heissen Bades wiederum könne Gefühle von Einsamkeit reduzieren helfen, während eine kalte Umgebung diese unter Umständen verstärkt.

Kind spielt mit Giesskanne an Wasserpfütze
T-Shirt, kurze Hose und Füsse ins kühle Nass: Wer energiesparend der Hitze etwas entgegensetzen will, setzt meist auf mehrere Strategien gleichzeitig. (Foto: Shutterstock/Marcin Balcerzak)

Der Blick ins Grüne bringt Frische ins Zimmer

Einen entscheidenden Einfluss auf das Temperaturempfinden hat auch die Raumgestaltung: Licht und Farbe, Töne und Gerüche, aber auch Material und Textur der Einrichtung prägen unser thermales Wohlbefinden. So empfinden Menschen einen Raum mit Ausblick ins Grüne beispielsweise als frischer als ein fensterloses Zimmer, obwohl die gemessene Temperatur identisch ist. Zudem wirkt eine kühle Umgebung bei rötlichem Licht wärmer, Blau oder Grün lässt Räume dagegen frischer erscheinen. Kälteres Licht rege zur Produktivität an, warme Farben trügen dagegen eher zur Entspannung bei, vermuten manche Forschende. So oder so kann eine Temperaturillusion durchaus in messbare Veränderungen der Körpertemperatur resultieren.

Kühlende Wirkung wird auch bestimmten Düften und chemischen Substanzen wie etwa Menthol oder Eukalyptus zugeschrieben. Und selbst Umgebungsgeräusche haben einen Einfluss auf unser Temperaturempfinden: Je grösser die Reduktion von Lärm, so zeigt eine weitere Studie im Übersichtsbeitrag von Mazzone und Khosla, desto grösser der thermale Komfort.

Passive Kühlungsmassnahmen werden häufig kumuliert angewendet

«Der technozentrische Blick schenkt der Wirkung von passiven Kühlungsmassnahmen zu wenig Aufmerksamkeit», kritisieren die beiden Wissenschaftlerinnen Mazzone und Khosla. Insbesondere gehe häufig vergessen, dass solche Strategien in der Regel kumuliert zur Anwendung kommen, also mehrere Massnahmen gleichzeitig durchgeführt werden: Wir ersetzen also nicht nur Businesshemd durch T-Shirt, um die Hitze erträglich zu machen, sondern holen uns auch die Wassermelone aus dem Kühlschrank, lassen die Storen herunter und verlegen das Strampeln auf dem Hometrainer auf die kühleren Morgenstunden. Dieses «Cooling Stacking» müsse unbedingt berücksichtigt werden, wenn das Potential solcher Massnahmen zur Kühlung und damit auch zum Energiesparen realistisch eingeschätzt werden soll.

Energiesparend erfrischen: Fünf Strategien gegen die Hitze

Es gibt zahlreiche energiesparende Massnahmen, um der Hitze zu entkommen. Mehrere solcher Strategien gleichzeitig anzuwenden verstärkt ihre Wirkung.

  • Kalte Früchtetees und scharfe Currys: Viel Wasser oder ungesüsste Getränke trinken, dazu erfrischende Speisen wie Früchte, Salate oder Joghurts. Scharfes Essen kann ebenso helfen, die Körpertemperatur zu regulieren.
  • Leinenhemd und Wadenwickel: Leichte und bequeme Kleidung anziehen, barfuss gehen, Stirn und Nacken mit feuchten Tüchern erfrischen. Kühlend wirken auch Arm- und Wadenwickel sowie Fuss- und Handbäder.
  • Storen runter und Fenster zu: Storen tagsüber herunterlassen, Fenster schliessen und Vorhänge zuziehen. Lüften in der Nacht und in den frühen Morgenstunden.
  • Emsiger Morgen und gemütliche Siesta: Körperliche Aktivitäten rund um die Mittagsstunden möglichst beschränken und schattige Orte aufsuchen; anstrengende Tätigkeiten auf die kühleren Morgen- und Abendstunden verlegen.
  • Blaue Wand und Blick ins Grüne: Das Zuhause und den Arbeitsplatz auf eine Weise gestalten, die die sinnliche Wahrnehmung von Frische verstärkt: Blau- und Grüntöne an Wänden und bei Einrichtungsgegenständen, der Geruch von Menthol und Eukalyptus sowie der Ausblick aus dem Fenster auf eine natürliche Umgebung tragen zum Gefühl von Abkühlung bei.