Emissionshandel: Kritik und Reparatur eines kaputten Systems

Obwohl der Emissionshandel weltweit intensiviert wird, bleibt die kritische Frage: Wirkt er auch? – Viel gehandelt, wenig erreicht. Bisher kann der Emissionshandel noch keine grossen Erfolge für den Klimaschutz vorweisen. Trotz aller Kritik wächst die Zahl der Systeme. Wie kann man sie verbessern?

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Zwei Kraftwerksblöcke, im Vordergrund ein Kamin mit weissem Rauch

Nun also auch China. Nachdem die grösste Volkswirtschaft der Welt 2013 und 2014 bereits lokale Pilotprojekte von Emissionshandelssystemen lanciert hat, soll 2021 ein nationales System für den Emissionshandel – Emissions Trading Systems, kurz «ETS» – entstehen. Es wäre das weltweit grösste seiner Art. Zusammen mit den bestehenden Märkten in der EU und weiteren Ländern würden 18 Prozent aller globalen CO2-Emissionen gehandelt. Ist die Zukunft der Klimapolitik die Marktwirtschaft?

Schaut man die ETS der EU und der Schweiz an, so ist die Bilanz im besten Fall durchwachsen. Die Emissionen gehen durch den Cap-and-Trade-Mechanismus zwar zurück, verfehlen aber bisher die Klimaziele: 40 Prozent weniger Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 in der EU, 50 Prozent in der Schweiz werden angestrebt. Diese Ziele werden nicht erreicht, wenn die Emissionssenkung dem aktuellen Trend folgt.

Lehren aus Europa: Warum der Emissionshandel nicht funktioniert

Kritiker des Systems sehen den Grund in der Gestaltung der Parameter: der Obergrenze – dem «Cap» – und dem Preis für ein Emissionsrecht. Der Preis für ein Zertifikat liegt noch immer weit unter dem Niveau, das Experten als notwendig erachten, um die Emissionen auf einen Pfad zu bringen, der mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist. Studien im Rahmen des letzten IPPC-Berichts nennen mindestens 100 Dollar pro Tonne – je nach Entwicklungsszenario deutlich mehr. Der aktuelle Preis im EU-ETS liegt bei etwa 25 Euro.

Warum sind die Preise so tief? Die Antwort ist ökonomisch einfach: Es besteht ein Überangebot. Aus Angst, die am ETS beteiligten Unternehmen könnten ihre Anlagen und deren Emissionen in Länder ohne ETS verlagern – sogenanntes «Carbon Leakage» –, erhielten viele ihre Emissionsrechte gratis und grosszügig. Statt eines Lecks gibt es einen Effekt, der als «Wasserbett» bezeichnet wird: Da keine Knappheit an Zertifikaten besteht, werden Emissionen höchstens innerhalb des ETS verlagert, nicht aber gesenkt. Das Ziel wäre aber, die «Badewanne», aus der konstant Emissionsrechte abfliessen, letztlich komplett zu entleeren. Ob ein «strengerer» Markt funktioniert? Die im EU-ETS zuletzt gestiegenen Preise sind ein Hinweis, aber noch kein Beweis. Zu wenig sinken die Emissionen tatsächlich.

Idee 1: ETS auf andere Sektoren ausweiten

Eine Möglichkeit, den Emissionshandel wirksamer zu machen, ist, ihn auf andere Sektoren auszuweiten. Denn auch in den Sektoren Gebäude und insbesondere dem Verkehr sinken die Emissionen nur sehr langsam. Ein solches sektorspezifisches ETS will Deutschland ab 2021 einführen: das «nEHS». Es soll durch die Erfassung von Diesel, Heizölen, Erdgas und Flüssiggasen den Verkehrs- und den Gebäudesektor in ein gemeinsames ETS überführen.

Warum also dieses System nicht EU-weit einführen und mit dem EU-ETS verbinden? Zum einen sind die Mechanismen unterschiedlich: Während in einem ETS für die Grossindustrie wie demjenigen der EU die Emittenten bepreist werden, sind es im deutschen nEHS die «Inverkehrbringer» der Treibstoffe – also Treibstoffhändler. Man redet von Downstream- respektive Upstream-Systemen. Der Unterschied liegt in der Marktorganisation begründet: Die Industrieunternehmen im EU-ETS sind ein vergleichsweise kleiner Kreis von Teilnehmern mit hoher Marktkompetenz. Anders sieht es im Verkehr aus: Unvorstellbar, dass Millionen Autofahrer untereinander Emissionsrechte handeln.

Ein zweites Problem einer möglichen Verknüpfung liegt in den unterschiedlichen Vermeidungskosten. Im Bereich Verkehr sind diese pro Tonne CO2 weitaus höher als in der Industrie. Würde man beide Sektoren in einem ETS bündeln, würden die teuren Emissionen des Verkehrs mit denjenigen der Industrie kompensiert. Sprich: Das Wasserbett würde grösser. Es erscheint deshalb sinnvoll, dass sektorspezifische ETS – wie in Deutschland – voneinander getrennt werden, wenn man die Emissionsentwicklung möglichst streng kontrollieren will.

Idee 2: Internationaler Handel

Was ist nun aber mit dem neuen ETS in China? Könnte dieses nicht mit demjenigen der EU verknüpft werden und so ein neuer, umfassender Handelsraum entstehen? Auf die gleiche Art sind schon das Schweizer und das europäische sowie in Nordamerika und Asien nationale und regionale ETS verknüpft worden. Was spräche gegen den globalen Emissionshandel?

Einerseits können auch in anderen ETS die Caps zu grosszügig ausgelegt werden, sodass der Handel unattraktiv bleibt. Andererseits entstünden gerade in wirtschaftlich sehr unterschiedlich entwickelten Systemen zwischen den ETS grosse Preisdifferenzen. Der Anreiz, die Emissionen aus dem «teuren» in das «günstige» System zu verkaufen, anstatt zuhause in Massnahmen zur Senkung zu investieren, wäre gross – das Wasserbett lässt grüssen. Ausserdem würden dem «teuren» ETS die Einnahmen aus den Versteigerungen entgehen, die häufig zweckgebunden in Forschung oder nationale Klimaprogramme fliessen.

Schliesslich hätte ein internationaler Handel ein Problem der Preisgerechtigkeit: In Entwicklungsländern wären die Kosten für Emissionen so tief, dass der Anreiz bestünde, nur aus Handelsperspektive die Emissionen (und damit die Wirtschaftsaktivität) tief zu halten, während die Industrieländer ihre Emissionen günstig erkaufen. Das Wasserbett würde zur globalen Lagune – mit einem Badestrand am einen und einem Sumpf am anderen Ende. Märkte mit unterschiedlichen Voraussetzungen voneinander abzugrenzen, macht auch bei ETS Sinn.

Dabei darf ein positiver Effekt nicht unterschlagen werden, den gerade das chinesische ETS hat: Das Argument des «Carbon Leakage» wird umso schwächer, je mehr Länder eigene ETS haben. Vor allem solche, die potenzielle Abwanderungsziele von Unternehmen wären, die dem EU-ETS unterstehen. Dieser Vorteil müsste allerdings von den Marktorganisatoren – der Politik – auch in strengere Caps umgesetzt werden.

Fazit: Der Wandel kommt auch ohne Handel

Zum Schluss noch einmal ein Blick nach Deutschland: Der Sektor Kohleenergie ist dort einer der grössten nationalen Emittenten. Er fragt im EU-ETS viele Zertifikate nach. Deren steigender Preis hat in der Tat zuletzt den Kohlestrom in Deutschland verteuert. Doch den Kohlausstieg hat er nicht herbeigeführt – dieser ist ein eigenes energiepolitisches Projekt. Sollten die Kohlekraftwerke einst abgeschaltet und die Zertifikate, wie geplant, vom Markt genommen werden, verschwindet zwar ein wichtiger Emittent, der Handel bleibt jedoch unbeeinflusst.

Der Emissionshandel ist ein theoretisch wirksames Instrument, das vom Ende her gedacht ist – der gewünschten Emissionsmenge. In der Praxis ist er jedoch mit Problemen behaftet. Diese zu reparieren, braucht Zeit, die im Kampf gegen die Klimakrise immer knapper wird. Gleichzeitig sind klimapolitische Erfolge oft ohne Handel zustande gekommen: etwa durch Regulierung fossiler und Förderung erneuerbarer Energien. Gemäss Studien können solche Instrumente sogar helfen, den CO2-Preis zu senken, und damit das Effizienzversprechen des ETS einlösen. Der Handel alleine aber ersetzt nicht das Handeln.