Aus Abwärme Strom erzeugen

Was tun mit Abwärme, für die es keine Verwendung gibt? Statt sie ungenutzt verpuffen zu lassen, lässt sie sich über das sogenannte ORC-Verfahren in Strom umwandeln. Dank immer kompakteren Anlagen lohnt sich dies inzwischen auch bei kleineren Abwärmequellen.

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Technische Anlagen umgeben von Wiesen unter einem blauen Horizont

Ob bei der Kehrichtverbrennung, in der industriellen Produktion oder beim Kühlen des Rechenzentrums: Unzählige technische Prozesse generieren Abwärme. Seit jeher wird versucht, sie möglichst effizient zu nutzen, beispielsweise als Quelle für die Wärmeversorgung von Gebäuden über thermische Netze.

Abwärmenutzung oft nicht möglich

Das ist eine sehr effiziente Methode – aber sie funktioniert nicht immer und überall. Einerseits muss in unseren Breitengraden meist nur zwischen Herbst und Frühling geheizt werden, wodurch im Sommer überschüssige Wärme anfällt. Andererseits entsteht die Abwärme oft nicht dort, wo man sie nutzen kann, weil die erzeugenden Anlagen häufig dezentral liegen. Und: Bei grossen Abwärmeerzeugern wie Zementwerken werden im Januar und Februar vielfach Revisionen durchgeführt – also genau dann, wenn die thermische Energie besonders wertvoll wäre. Aus diesen Gründen bleibt letztlich viel Abwärme ungenutzt.

Potenzial nicht genau bekannt

Wie viel genau, lässt sich für die Schweiz aufgrund fehlender Daten nicht sagen: Die meisten Unternehmen erheben keine Zahlen zur entstehenden Abwärme. Das liegt daran, dass für sie die Abwärme aus wirtschaftlicher Sicht meist kein relevanter Faktor ist. Das direkt nutzbare Abwärmepotenzial in der Schweiz wird gemäss Fachleuten oft überschätzt, insbesondere punkto Temperaturniveau. So fällt der Grossteil der Abwärme hierzulande im Bereich zwischen 30 und 60 °C an. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass es in der Schweiz etwa im Vergleich zu Deutschland viel weniger Schwerindustrie und Grundstoffchemie gibt, die Abwärme mit hohen Temperaturen generieren. Die überwiegende Mehrheit der hiesigen industriellen Abwärme eignet sich daher in erster Linie als Energiequelle für den Betrieb von Wärmepumpen.

Das ORC-Verfahren

Was lässt sich mit Abwärme anfangen, die nicht direkt oder zur Versorgung einer Wärmepumpe genutzt werden kann? Die naheliegende Lösung lautet, sie zu verstromen, denn Elektrizität ist einfacher übertragbar als Wärme und wird ganzjährig benötigt. Heute wird diese Möglichkeit jedoch aus verschiedenen Gründen noch selten eingesetzt.

Organische Medien statt Wasser

Für die konventionelle Stromgewinnung über Dampfturbinen sind recht hohe Temperaturen und Drücke nötig, um wirtschaftlich Strom erzeugen zu können. Abwärme fällt aber oft auch auf einem Temperaturniveau an, das für den Betrieb klassischer Dampfturbinen zu niedrig ist. Deshalb wird bei Temperaturen unter 300 bis 350 °C oft auf das Verfahren «Organic Rankine Cycle» (ORC) zurückgegriffen (siehe Ausklappelement). Dabei kommt nicht Wasserdampf als Arbeitsmittel zum Einsatz, sondern organische Flüssigkeiten oder Kältemittel, die einen niedrigeren Siedepunkt als Wasser haben. So lässt sich auch bei tieferen Temperaturen und Drücken ausreichend Dampf für die Turbinierung erzeugen. Dies wiederum ermöglicht den Bau von kompakteren Anlagen, die auch kleinere Abwärmequellen erschliessen können.

Modulare Auslegung

Das ORC-Verfahren ist keine neue Erfindung. Klassischerweise benötigt es in der Praxis jedoch recht komplexe Anlagen, deren Realisierung sich nur bei sehr grossen Abwärmequellen rentiert. Dies wollten einige junge deutsche Ingenieure ändern und gründeten 2008 die Firma «Orcan Energy». Ihr Ziel lautete, ORC-Kleinstkraftwerke auf Basis von modularen Standardkomponenten zu entwickeln. Sie sind damit günstiger, können schneller geliefert und angeschlossen sowie demontiert und mit einer anderen Abwärmequelle verbunden werden. Bei Bedarf lassen sich auch mehrere Module kombinieren. Die Technik funktioniert und kommt heute hauptsächlich in der Industrie zum Einsatz. Bei der Herstellung von Zement, Glas oder Metall gehen 30 bis 60 Prozent der eingesetzten Energie in Form von Abwärme verloren. Durch das ORC-Verfahren lässt sich zumindest ein Teil davon in Strom umwandeln.

Die Module von Orcan Energy im Einsatz

Mit der Technik von Orcan Energy sind bereits Abwärmequellen mit einer Temperatur ab 65 °C nutzbar – allerdings nicht für die Stromproduktion, sondern für den Betrieb von Kühlkreisläufen, die ohne Strombezug aus dem Netz arbeiten. Für die Produktion von Strom reichen unwesentlich höhere Temperaturen ab 80 °C aus. Der Wirkungsgrad steigt mit zunehmender Abwärmetemperatur: Bei 200 °C erreichen ORC-Anlagen etwa 20 %.

Schiffsmotoren effizienter machen

Ein besonderer Anwendungsfall der modularen Kraftwerke von Orcan Energy ist der Einsatz in grossen kommerziellen Schiffen. Deren Verbrennungsmotoren funktionieren mit Schiffsdiesel und erreichen einen Wirkungsgrad von maximal 50 bis 60 %. Die entstehende Abwärme verpufft meist ungenutzt. Mit der Integration eines kleinen ORC-Kraftwerks ist es möglich, daraus Strom zu generieren, den man beispielsweise für das Kühlen, für die Beleuchtung, die Navigation oder die Hilfsantriebe nutzen kann. Dies entlastet den Dieselmotor, der so weniger Strom für den Schiffsbetrieb erzeugen muss und dadurch 2 bis 10 % Treibstoff spart.

Kompakte Maschine in Gehäuse mit zahlreichen Anschlüssen und Gitterblech in weisser Abdeckung mit Orcan-Energy-Schriftzug
Diese kompakten Module von Orcan Energy lassen sich auch in grossen Frachtschiffen einsetzen, wo sie den Treibstoffbedarf der Dieselmotoren senken. (Foto: Orcan Energy)

Der Einsatz modularer ORC-Kraftwerke auf Schiffen dürfte in Zukunft noch attraktiver werden, wenn der Umstieg von fossilem Diesel auf erneuerbare «eFuels» kommt. Diese haben eine geringere Energiedichte und brauchen daher grundsätzlich grössere Tanks. Lässt sich der Treibstoffverbrauch durch eine ORC-Anlage senken, können die Tanks kleiner ausfallen, was wiederum der Frachtkapazität zugutekommt.

Die Zukunft des ORC-Verfahrens

So vielfältig die potenziellen Einsatzgebiete auch sein mögen, sind ORC-Anlagen heute doch noch eine Nischenanwendung. Für eine breitere Marktdurchdringung braucht es in verschiedener Hinsicht weitere Fortschritte.

Technische Weiterentwicklung

ORC-Anlagen bestehen im Allgemeinen aus vier Hauptkomponenten: dem Verdampfer, dem Kondensator, der Pumpe und dem Expander (Turbine). Während die ersten drei breit eingesetzte Standardkomponenten sind, ist der Expander der innovativste Teil einer ORC-Anlage. Dementsprechend liegt dort auch das grösste Potenzial für weitere technische Fortschritte. Weil beim ORC-Verfahren die Temperaturunterschiede zwischen den Wärmequellen- und Wärmesenkenströmen begrenzt sind, hängt der Wirkungsgrad des gesamten Prozesses stark von der Effizienz des Expanders ab.

Ein Industriekomplex mit Orcan-Energy-Modulen
Orcan Energy arbeitet seit Längerem mit der Nordenhamer Zinkhütte zusammen, einem Tochterunternehmen von Glencore. (Foto: Orcan Energy)

Aufmerksamkeit von Industrie und Politik gewinnen

Eine weitere Herausforderung besteht gemäss Orcan Energy darin, Industrie und Politik auf die Chancen moderner ORC-Anlagen aufmerksam zu machen. Dazu muss das Vorurteil der Nischenanwendung überwunden werden, das in den letzten Jahrzehnten wegen der nur limitiert einsetzbaren ORC-Grosskraftwerke entstanden ist. Orcan Energy will nach den Märkten Europa, USA und China auch in den Nahen Osten, nach Nordafrika und in den pazifischen Raum expandieren.

Und die Schweiz? Hier spürt das Unternehmen eine wachsende Nachfrage für seine modularen Kraftwerke und es werden auch bereits erste Projekte umgesetzt. Aufgrund des begrenzten Abwärmepotenzials im Bereich von 80 °C und höher dürften die Module von Orcan Energy hierzulande im industriellen Bereich eher für spezielle Anwendungen denn im breiten Markt eingesetzt werden.