Energiestrategie für klimafreundliche Gurken aus dem Gewächshaus
Gemüse aus der Region kann trotz kurzer Transportwege eine schlechte Klimabilanz haben, wenn es in fossil beheizten Gewächshäusern gewachsen ist. Bis 2040 soll sich das ändern und die Schweizer Gemüseproduktion ohne fossile Brennstoffe zum Heizen auskommen.
Regional und saisonal: Idealerweise ernähren wir uns so. Immerhin gut die Hälfte des in der Schweiz verzehrten Gemüses ist tatsächlich auf hiesigen Äckern gewachsen. Respektive in Gewächshäusern, denn für einige beliebte Gemüse wie Gurken oder Tomaten ist die Freilandproduktion ungeeignet.
Gewerbliche Gewächshäuser und Folientunnel für den Gemüseanbau kommen zusammen auf rund 470 Hektaren. Auf dieser Fläche wachsen pro Saison mehrere Kulturen. Auch heimische Beeren, Kräuter oder Zierpflanzen gedeihen häufig geschützt unter Glas, Polycarbonat oder Plastikfolie.
Schutz vor der Witterung
Mit Gewächshäusern sind die Anbaubetriebe unabhängiger von der Witterung. Die Pflanzen wachsen gleichmässiger, und die Vegetationsperiode verlängert sich. Zumal viele Gewächshäuser bei Bedarf beheizt werden.
Öl- und Gasheizungen dominieren
In rund 90 Prozent der beheizten Schweizer Gewächshäuser sorgt eine Öl- oder Gasheizung für ein optimales Klima. Das erfordert rund 400 GWh an fossiler Energie. Dadurch gelangen pro Jahr gut 100’000 Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Das trübt die Klimabilanz des regionalen Gemüses, trotz kurzer Transportwege. Im Winter schneiden etwa Freiland-Tomaten aus Spanien, die mittels LKW in die Schweiz transportiert werden, in der CO2-Bilanz besser ab als Schweizer Tomaten aus fossil beheizten Gewächshäusern.
Energiestrategie für Gewächshäuser
Wie alle Branchen in der Schweiz arbeitet auch die Landwirtschaft auf das Netto-Null-Ziel hin. Die meisten Gemüsegärtnerinnen und -gärtner haben eine Zielvereinbarung mit dem Bund abgeschlossen und diverse Effizienzmassnahmen umgesetzt. So konnten sie den CO2-Ausstoss in Gewächshäusern in den letzten 10 Jahren bereits um 35 Prozent pro Hektare senken. Um auf Netto-Null CO2 zu kommen, muss nun aber noch viel mehr geschehen.
Für den sogenannten «gedeckten Anbau» in Treibhäusern hat der Verband Schweizer Gemüseproduzenten VSGP in Zusammenarbeit mit weiteren Branchenverbänden und mit einzelnen Händlern, unterstützt von EnergieSchweiz, die «Energiestrategie 2040» ausgearbeitet: Im Zieljahr soll die Heizwärme für Gewächshäuser ausschliesslich aus erneuerbaren Energien, Umweltwärme oder Abwärme stammen.
Viele Betriebe werden ihre Gewächshäuser wohl schneller umrüsten. Lieferanten der Migros müssen dies sogar, denn die Migros hat sich zum Ziel gesetzt, bereits 2025 keine Früchte und Gemüse aus fossil beheizten Gewächshäusern mehr zu verkaufen.
Erneuerbare Energieträger für Gewächshausheizungen
Je nach Anbaufläche und Heizleistungsbedarf der Gewächshäuser eignen sich unterschiedliche Energieträger für den Ersatz der fossilen Heizung:
Holz in Form von Holzschnitzeln oder Pellets.
Abwärme oder Umweltwärme, etwa aus Erdwärme, Grundwasser, ARA-Abwasser oder Kälteanlagen, mit Wärmepumpe
Abwärme, die ohne Wärmepumpe direkt zum Heizen genutzt wird. Das kann beispielsweise die Abwärme einer Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) sein, Prozessabwärme oder der Anschluss an einen Wärmeverbund ohne fossile Energieträger.
Zertifiziertes Biogas und biogene Flüssigbrennstoffe (Bioheizöl), die in konventionellen Gas- oder Ölkesseln verbrannt werden.
Warmwasser aus Aquiferen (mitteltiefe Geothermie)
Nicht alle Energieträger sind an allen Orten verfügbar. Zudem gibt es grosse Unterschiede beim technischen Aufwand und den Investitions- und Energiekosten.
Strategie: Fossilfrei in zwei Etappen
Schweizer Gemüse, Beeren und Zierpflanzen sollen in zwei Etappen «fossilfrei» werden. Bis 2030 sollen Gewächshäuser zu 80 Prozent erneuerbar beheizt sein. In dieser ersten Etappe liegt der Fokus auf der Grundlast und dem Trockenheizen (s.u.). Bis Ende 2040 soll der gedeckte Anbau dann ganz ohne fossile Brennstoffe auskommen, auch für die Spitzenlast, die Frostfreihaltung und die CO2-Düngung.
Der Verband BioSuisse definiert zudem einen Mindest-Dämmwert für die Hülle von beheizten Gewächshäusern und macht weitere Vorgaben, etwa für Maximaltemperaturen. Auch kantonale Richtlinien machen Vorgaben für die Gebäudehülle von Gewächshäusern.
Wärmebedarf für Trockenheizen, Grund- und Spitzenlast
Grundlast und Spitzenlast
Bei Kälteeinbrüchen – oder an kalten Tagen nach Sonnenuntergang – kühlt die Luft im Gewächshaus sehr schnell ab. Die Heizung arbeitet dann auf Hochtouren, damit die Kulturen keinen Schaden nehmen. Das heisst, der Heizleistungsbedarf steigt innerhalb von kurzer Zeit sehr stark an. Diese Spitzenlasten fallen selten an, im Schnitt während rund 200 bis 300 Stunden pro Jahr. Dennoch beansprucht die Spitzenlastabdeckung etwa 20 Prozent der gesamten Heizenergie. Der «normale» mittlere Heizleistungsbedarf liegt deutlich tiefer; das ist die Grundlast.
Trockenheizen
Ein Teil der Heizenergie wird nicht zur Regulierung der Innentemperatur, sondern zum sogenannten Trockenheizen verwendet: Gewächshäuser müssen gut belüftet sein, damit die Luft nicht zu feucht wird. Denn eine zu hohe Luftfeuchtigkeit begünstigt Pflanzenkrankheiten. Um auch im Sommer einen ausreichenden Luftwechsel sicherzustellen, zirkuliert warmes Wasser in den Heizrohren. Dadurch entsteht ein thermischer Auftrieb, die Luft bewegt sich, und die Feuchtigkeit wird «hinausgelüftet».
Frostfreihaltung
Bei Frost werden die Kulturen geschützt, indem das Gewächshaus oder der Folientunnel auf maximal 5 Grad Celsius temperiert werden.
CO2-Düngung
Eine hohe CO2-Konzentration im Gewächshaus begünstigt das Wachstum der Pflanzen und erhöht die Erträge beim Gemüse. Nutzen die Gemüseproduzenten für die CO2-Düngung Abgase aus der Gewächshausheizung, müssen die Brennstoffe ab 2040 fossilfrei sein. Auch technisches CO2 ist eine Alternative, also reines Gas aus Flaschen oder Tanks.
Problemfall Spitzenlast
Heutige fossile Heizungen decken die Grund- und die Spitzenlast ab, sie sind also auf die maximale Heizleistung ausgelegt. Eine so dimensionierte Holzfeuerung oder Wärmepumpe wäre allerdings kaum wirtschaftlich. Die erneuerbar betriebenen Heizungen werden daher für die Grundlast ausgelegt.
Für die Spitzenlastabdeckung braucht es andere Lösungen. Wichtig ist, die Heizlast zu optimieren und die Anlage intelligent zu dimensionieren. Dazu ist meistens ein Energiespeicher oder ein zusätzlicher Spitzenlastkessel nötig, ein konventioneller Gas- oder Ölkessel betrieben mit Biogas oder Bioöl. Ganz gelöst ist das Spitzenlastproblem noch nicht. Deshalb sieht die Energiestrategie auch zwei Etappen für die Umstellung auf «fossilfrei» vor.
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Technisch ist die Umstellung auf ein erneuerbares Heizsystem kein grosses Problem, doch sie erfordert teils erhebliche Investitionen und Umbauten. Für die Gewächshausbetriebe entstehen dadurch Mehrkosten, die sich auch durch allenfalls günstigere Energiekosten nicht amortisieren. Und bei Heizungen mit eher niedrigen Investitionskosten sind die Energiekosten meist hoch, etwa bei Biogas oder teilweise auch bei der Abwärmenutzung.
Das myclimate-Klimaschutzprojekt «Förderprogramm für eine klimafreundliche Gewächshausbeheizung in der Schweiz» deckt einen Teil der Mehrkosten, doch auch der Handel und die Konsumentinnen sind laut VSGP gefordert, die Mehrkosten mitzutragen. Wie viel mehr Schweizer Gurken und Tomaten dereinst kosten werden, kann der Verband nicht genau beziffern. Der Preis hängt auch von den Energiekosten ab, die derzeit stark schwanken. Berechnungen im Jahr 2019 ergaben ein Aufpreis von 25 Rappen pro Kilogramm Tomaten, noch ohne Abzug allfälliger Fördergelder.
Dank Gewächshäusern haben wir hierzulande mehr und vor allem vielfältigeres regionales Gemüse zur Auswahl. In einigen Jahren wird «regional» dann auch immer «klimafreundlich» bedeuten.
In Hinwil steht die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) des Zweckverbands Kehrichtverwertung Zürcher Oberland (Kezo). Unmittelbar neben der Kezo haben sich zwei Gemüseanbaubetriebe angesiedelt, die ihre Gewächshäuser mit Abwärme aus der KVA heizen.
Die Gebrüder Meier haben das Projekt 2007 angestossen und ihr Gewächshaus in Hinwil 2009 in Betrieb genommen. Dafür hat das Bundesamt für Energie die Gemüseproduzenten und die Kezo mit dem Watt d’Or ausgezeichnet (Bericht im PDF-Newsletter energeia). Im Jahr 2015 kam das Gewächshaus der Beerstecher AG hinzu.
Die Abwärme aus KVA gilt zwar gemäss Gesetz als CO2-neutrale Heizenergie, doch die Kehrichtverbrennung setzt grosse Mengen CO2 frei. Auf dem Dach der Kezo steht seit 2017 eine Anlage, die CO2 aus der Luft filtert – weltweit die erst kommerzielle Anlage dieser Art. Seitdem versorgt die Kezo die Gemüseproduzenten nicht nur mit Wärme, sondern auch mit fossilfreiem Gas für die CO2-Düngung.
Wie die Firma Beerstecher dank Kezo-Abwärme schon heute klimaschonend produziert, hat sie in einem kurzen Video festgehalten.
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