Verfasst von Paul Drzimalla
Nachhaltigkeit ist in aller Munde, scheint es. Doch in Wirklichkeit ist sie eher in den Kinderschuhen, wie ein Blick auf die Schweiz und ihren Ressourcenverbrauch zeigt. Der Earth Overshoot Day für die Schweiz fiel 2023 auf den 13. Mai. Nach nicht einmal fünf Monaten also hätte die Welt, würde sie so konsumieren, wie es die Schweizerinnen und Schweizer tun, mehr Ressourcen verbraucht, als die Ökosysteme innert eines Jahres regenerieren können.
Würden alle so leben wie die Menschen in der Schweiz im Jahr 2023, bräuchten wir 2,8 Erden.
Würden alle so leben wie die Menschen in der Schweiz im Jahr 2023, bräuchten wir 2,8 Erden. Und bezogen auf die eigenen Ressourcen bräuchte die Schweiz 4,4 «Schweizen», um den Konsum der Bewohnerinnen und Bewohner zu decken. Stellt sich die Frage: Wie lassen sich die weltweiten Ressourcen so einteilen, dass sie für das ganze Jahr reichen?
Von der Kreislauf- zur regenerativen Wirtschaft
Ein Konzept des nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen ist die Kreislaufwirtschaft. In ihr werden Materialien nicht einfach verbraucht, sondern möglichst lang im Umlauf gehalten. Die «Kreislauf-Materialnutzungsquote», die das Bundesamt für Statistik jährlich erhebt, steigt seit 2000 stetig – lag 2021 aber dennoch erst bei rund 14 Prozent. Der grösste Teil des rückgewonnenen Materials fällt auf Mineralien, etwa aus Bauschutt, die für die Betonproduktion genutzt werden. Ob sich die Kreislaufwirtschaft weiter durchsetzt, dürfte als zumindest unsicher bewertet werden.
Im «Statusbericht Kreislaufwirtschaft» hat die Berner Fachhochschule gemeinsam mit der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) 8000 Schweizer Unternehmen befragt. 12 Prozent geben an, Kreislaufaktivitäten im Geschäftsmodell verankert zu haben; allerdings investieren nur 9 Prozent der Unternehmen mehr als 10 Prozent ihrer Gesamtinvestitionen für solche Aktivitäten.
Reparieren statt nur Schaden minimieren
Deutlich weiter als die Kreislaufwirtschaft geht die regenerative Wirtschaft. Statt Ressourcen zu schonen, versucht die regenerative Wirtschaft, den Ökosystemen mehr zurückzugeben, als sie entnimmt. Dabei blicken Unternehmen, die regenerativ handeln, über die Systemgrenzen hinaus und fragen sich: Wo können wir in Umwelt, Gesellschaft und bei den Stakeholdern etwas zurückgeben?
öbu, der Verband für nachhaltiges Wirtschaften, hat im Herbst 2023 ein Forum zur regenerativen Wirtschaft durchgeführt. Für Geschäftsleiter Olmar Albers kommt dies gerade zur rechten Zeit: «Die aktuellen Herausforderungen und Krisen unserer Zeit erfordern ein Umdenken im verantwortungsvollen Wirtschaften. Nur wenn wir im ökologischen und sozialen Bereich mindestens so viel reinvestieren, wie wir verbrauchen, können wir tatsächlich einen positiven Impact erzielen.»
Kein Erfolg für die nachhaltige Wirtschaft?
So wie die Kreislaufwirtschaft noch in den Kinderschuhen steckt, tut es die regenerative Wirtschaft erst recht. Dessen ist sich auch Olmar Albers von öbu bewusst. «Im Moment tut sich die Wirtschaft schon sehr schwer, die Vorstufe der regenerativen Wirtschaft – die nachhaltige Entwicklung – auf die Beine zu stellen. Dazu reicht es, sich den Umsetzungsstand der Agenda 2030 der UNO, die Meldungen zum Erreichen der Pariser Klimaziele oder die Verhandlungen rund um den Weltklimagipfel anzuschauen.»
Damit die regenerative Wirtschaft eine Chance hat, brauche es verschiedene Dinge, darunter auch politische Rahmenbedingungen. «Positive Ansätze sind in Initiativen wie der Kreislaufwirtschaftsdirektive der EU oder den vorgeschlagenen Ergänzungen zum Umweltschutzgesetz in der Schweiz zu erkennen», so Albers. Dennoch seien diese Ansätze noch nicht weit genug fortgeschritten, um tatsächlich regenerative Lösungen hervorzubringen.
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Bei einer solch durchzogenen Bilanz in Sachen nachhaltiger Wirtschaft – macht da ein Konzept, das noch weiter geht als die Kreislaufwirtschaft überhaupt Sinn? Ja, findet Olmar Albers: «Nachhaltige Entwicklung bedeutet auf ökologischer und sozialer Ebene den Status quo beizubehalten, oder plakativ gesagt: weniger Schaden anzurichten. Der regenerative Ansatz geht einen Schritt weiter und strebt an, die bestehenden ökologischen Schäden mindestens wieder wettzumachen und dabei einen sozial gerechten Lebensraum zu schaffen oder wiederherzustellen.» Die Beziehung sei sequenziell, so Albers – von schädlich zu weniger schädlich zu regenerativ.
Der regenerative Ansatz strebt an, die bestehenden ökologischen Schäden mindestens wieder wettzumachen.
Olmar Albers, Geschäftsleiter öbu
Für ihn keine Konkurrenz, sondern eine fortschreitende Entwicklung. «Die Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln», so Albers. Darin seien bereits regenerative Ansätze enthalten. «Aber erst, wenn verbrauchte Ressourcen tatsächlich wieder der Umwelt zugeführt werden, bewegen wir uns in Richtung einer regenerativen Wirtschaft.»
Für viele Branchen geeignet
Das Konzept eigne sich für viele Branchen, sagt Olmar Albers abschliessend. «Am naheliegendsten und offensichtlichsten ist jedoch die Anwendung auf die produzierende Industrie. Erste vielversprechende Projekte, die potenziell regenerativ sind, gibt es beispielsweise schon in der Nahrungsmittel- oder der Textilindustrie.» Möglich also, dass Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz schon bald die Produkte der regenerativen Wirtschaft kaufen können. Und dabei nicht «die Welt verbrauchen» – Bilanz wird Jahr für Jahr am Earth Overshoot Day gezogen.
Artikel-Infos
Links und Quellen
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Titelfoto
Aufnahme aus der Raumstation ISS, getwittert von Astronaut Terry Virts mit dem Kommentar «#Sunset over the Med, #Italy, Adriatic, and Alps». (Quelle: NASA)
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Europäisches Parlament
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öbu
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Holcim
Redaktion
Paul DrzimallaPaul Drzimalla ist Texter/Konzepter und Redaktor bei Kooi AG. Er schreibt unter anderem über Energie- und Nachhaltigkeitsthemen.
Kommentare: Was denken Sie?
Orhan Üstün
Vor 9 Monaten
Guter Wille reicht nicht. Jeder von uns muss heute die Klimaproblematik akzeptieren und nicht ausreden! Jeder kann durch sein Verhalten die heutige und zukunftige Transformation des «naturnahen Zusammenlebens» beeinflussen, indem er/sie dies will und durch entsprechendes Verhalten mehr oder weniger praktiziert!