Bemerkenswert an der Art und Weise, wie Minergie 2017 die verschiedenen Energieträger bewertet, ist die Gleichbehandlung von Elektrizität aus dem öffentlichen Stromnetz, ungeachtet dessen, ob es sich um Ökostrom oder um konventionelle Stromprodukte handelt. Bei der Berechnung der Minergie-Kennzahl wird der Bezug von Netzstrom nämlich mit dem gleichen Gewichtungsfaktor belegt. Dass Minergie damit den Bezug von Ökostrom aus dem Netz nicht honoriert, hat laut Minergie-Geschäftsführer Andreas Meyer Primavesi zwei Hauptgründe: Der wichtigste Grund sei, dass man den Minergie-Antrag in der Regel beim Abschluss des Vorprojekts einreicht. «Zu diesem Zeitpunkt kennt man – ausser bei Einfamilienhäusern, die vom Bauherrn selbst bewohnt werden – die künftigen Nutzer noch nicht. Es ist also eher eine Behauptung als eine Deklaration, dass diese künftig Ökostrom kaufen werden», sagt Meyer Primavesi. Und selbst wenn Ökostrom anfangs bezogen wird, gibt es laut Meyer Primavesi keine Garantie, dass die Nutzer dies langfristig tun: Meyer Primavesi sagt, ihm seien keine rechtlichen Mittel bekannt, die Mieter einer Liegenschaft langfristig – also über 15 bis 20 Jahre – zum Bezug von Ökostrom zu verpflichten. «Wir wollen vermeiden, dass jemand den Verweis auf künftigen Ökostrombezug dazu missbraucht, um Investitionen in die Qualität der Gebäudehülle, eine effiziente Haustechnik oder die Eigenstromproduktion zu umgehen. Weil wir nicht sicher sein können, dass dann tatsächlich Ökostrom bezogen wird, können wir dessen Anrechnung nicht zulassen.»
Ein zweiter wesentlicher Grund dafür, Ökostrom nicht anzurechnen, sei die Tatsache, dass dies auch von den gesetzlich vorgeschriebenen MuKEn 2014 so gehandhabt wird. Würde Minergie ihre Standards nicht mit den MuKEn abstimmen, könnte sich der Fall ergeben, dass ein Minergie-Haus die gesetzlichen Vorschriften nicht erfüllt. Das wolle man also auch vermeiden, sagt Meyer Primavesi. Und dann fügt er weitere Überlegungen hinzu: «Auch sind wir der Meinung, dass eine Minergie-Hauseigentümerin besser fährt, wenn sie einen eigenen Beitrag an die Energiestrategie 2050 leistet mit der dezentralen Eigenstromproduktion kombiniert mit hohem Eigenverbrauch.» Mit der Stromproduktion auf dem eigenen Grundstück werde ein Hauseigentümer «glaubwürdig und unabhängig; selbst bei einer Verknappung von günstigem Ökostrom in 10 Jahren». Zudem zahle sich die Eigenproduktion aus, weil die Gestehungskosten für Photovoltaik heute schon weit tiefer seien als beim Einkauf von zertifiziertem Ökostrom.
Sollte Biogas angerechnet werden?
Viel aktueller sei übrigens die analoge Frage beim Biogas. Meyer Primavesi umschreibt sie wie folgt: «Weil Minergie die Fossilen im Neubau ausschliesst (auch Erdgas) und an einzelnen Standorten – gerade in der Sanierung – einfach von Erdgas auf Biogas umgestellt werden könnte, ist die Anrechenbarkeit von Biogas von grosser Tragweite für den Gesetzgeber und Minergie.» Sollte die Garantie einer langfristigen Vertragsbindung gegeben sein, bestehe die Möglichkeit, dass man anders als beim Ökostrom vorgehen werde. «Aber: Es wäre dann, wie beim Ökostrom, darauf zu achten, dass das «Bio»gas ökologisch hält, was es verspricht. Importiertes Biogas aus vergärtem Mais ist nämlich keine sonderlich intelligente und umweltfreundliche Option, das weisen viele Studien nach. Und ökologisches, inländisches Biogas ist nur sehr beschränkt verfügbar», gibt Meyer Primavesi zu bedenken.
Kommentare: Was denken Sie?
Florence Stäheli
Vor 4 Jahren
Können Sie mir diesen Artikel in Englisch zustellen? Gibt es Material über Minergie in Englisch? Meine Freunde in den USA bauen ihr Traumhaus ab nächsten Frühling.
Danke.
Energie-Experten
Vor 4 Jahren
Hallo Frau Stäheli – Wir würden für einen Neubau in den USA einen Einstieg über https://www.energy.gov/energysaver/design/energy-efficient-home-design in Betracht ziehen, wo Informationen entsprechend der amerikanischen Baukultur verfügbar sind.
Auf der Website https://www.minergie.ch/ sind Inhalte in Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar. Da es sich um einen Standard handelt, der für die Schweiz entwickelt worden ist, wäre es allerdings nicht ganz einfach, Empfehlungen für die USA zu adaptieren (und auch nicht unbedingt zielführend).
Wir wünschen Ihren Freunden viel Erfolg beim Bauen des Energiespar-Traumhauses!