Graue Energie: Auch die Haustechnik hat Lieferketten

Neue Studien belegen, dass Heizung, Lüftung und andere Gebäudeinstallationen im Saldo der grauen Energie bei Durchschnittsimmobilien über einen Viertel ausmachen. Um weitere indirekte Treibhausgasemissionen zu vermeiden, lassen sich jedoch vielfältige Wege finden.

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Leitungen für die Versorgung mit Wasser und für die Heizungsverteilung in einem Haus

Das energieeffiziente Bauen wird dieses Jahr 30 Jahre alt. 1994 entstanden am Zürichsee versuchshalber die ersten Minergiehäuser. Stark verbessert wurde die Dämmung an der Gebäudehülle und gleichzeitig die Fensterflächen an der Südfassade erweitert. Verglichen mit den Bauvorschriften von damals benötigten diese Energiesparhäuser nur noch einen Drittel der Heizenergie. Doch was vor drei Jahrzehnten ein Leuchtturm für die Baupraxis war, ist heute allgemeiner Standard. Neuerdings sind die meisten sparsamen Neubauten ausserdem CO2-frei nutzbar, oft dank einer Wärmepumpenheizung.

Die jüngsten Fortschritte haben allerdings einen Haken: Mehr Energieeffizienz und besserer Klimaschutz benötigen zusätzliches Material. Die Dämmschicht an der Gebäudehülle ist dicker. Glasscheiben sind energieintensiv hergestellte Materialien. Hochwertige Wärmeschutzfenster enthalten jeweils drei Schichten davon. Und das lokale Nutzen von erneuerbaren Energien braucht neues technisches Inventar.

Ökologischer Fussabdruck von Gebäuden

Lebenszyklusanalysen von damals und heute belegen, was das ökologische Plus bei Gebäuden materiell kostet. Im Jahr 2000 bilanzierten ETH-Fachleute vier vorbildliche Solarhäuser und schoben der Gebäudetechnik etwa zehn Prozent der Umweltauswirkungen zu. Inzwischen sei der Anteil der haustechnischen Gewerke an der grauen Energie dagegen auf 25 Prozent oder mehr gestiegen, sagen neuste Studien der Hochschule Luzern (HSLU).

Für den ökologischen Fussabdruck von Gebäuden ist das eine relevante Grösse: Zum einen konsumieren die Produktion, der Unterhalt und der Rückbau von Bauteilen und Haustechnikanlagen ihrerseits viel fossile Energie. Zum anderen wird der Treibhausgasausstoss aller vor- und nachgelagerten Lieferketten dadurch oft grösser als bei der Gebäudenutzung. Um die Klimafolgen gesamthaft zu reduzieren, sind sowohl die direkten als auch die indirekten CO2-Emissionen zu senken, lautet die jüngste Erkenntnis für ein zukunftsfähiges Bauen.

Gemäss der HSLU-Analyse spielt die Haustechnik eine ambivalente Rolle: Obwohl sie meistens einen effizienten Betrieb fördert, steigert sie selbst den Bedarf an grauer Energie. Mechanische Lüftungsanlagen, Sanitäreinrichtungen oder das Heizsystem benötigen Kanäle, Röhren, Speichertanks, Radiatoren und Drähte. Für das Herstellen von Stahl, Aluminium und Kupfer verwendet die Metallindustrie fast ausschliesslich fossile Energie.

CO2-Vergleich für Heizungen

Auch Erdwärmesonden, die zum Heizen und Kühlen eingesetzt werden, tauchen in der Ökoanalyse auf. Abhängig von der thermischen Leistung erstrecken sie sich bisweilen über ein weites Feld mit Gesamtlängen von mehreren Kilometern. Aber für den kleinen Massstab gilt: Wärmepumpen mit Erdwärmesonden schneiden in einem Grauenergievergleich meistens besser ab als Aussenluft-Wärmepumpen. Der bessere Wirkungsgrad sorgt dafür, dass die produktionsbedingten Treibhausgasemissionen weniger relevant sind als diejenigen, die aus dem Bezug von Strom aus externer Quelle stammen.

Jährliche CO2-Emissionen für ein Einfamilienhaus

Aber welches fossilfreie Heizungssystem ist erste Wahl, wenn neben dem direkten, auch ein indirekter, «grauer» Ausstoss zugerechnet wird? Einfach beantworten lässt sich dies mit dem nationalen Vergleichsportal erneuerbarheizen.ch; darauf werden lokale «territoriale» CO2-Emissionen und separat die grauen Emissionen aus vorgelagerten Prozessen angezeigt, wie folgende Tabelle zeigt.

Typ Heizungsanlage Jährliche direkte CO₂-Emissionen Jährliche direkte und indirekte CO₂-Emissionen
Stückholz 0 kg 617 kg
Pellets 0 kg 711 kg
Erdwärme-Wärmepumpe 0 kg 1010 kg
Aussenluft-Wärmepumpe 0 kg 1085 kg
Fernwärme 0 kg 1254 kg
Erdgas 4116 kg 4378 kg
Heizöl 5501 kg 6418 kg
Angaben für ein durchschnittliches Einfamilienhaus. (Quelle: erneuerbarheizen.ch)

Erneuerbare oder klimaneutrale Systeme wie Wärmepumpe, Biomasse oder Fernwärme sind in der Direktbilanz gleichauf. Zählt der indirekte Ausstoss mit, setzen sich Holzheizungen und Wärmepumpen an die Spitze. Die Verteilinfrastruktur erhöht dagegen die graue Energie von Wärmenetzen. Etwas besser sind thermische Solaranlagen: Sie beziehen Energie direkt von der Sonne und verursachen fast keine produktionsbedingten Treibhausgasemissionen.

Importstrom oder Solarfassaden?

Bei Wärmepumpen fällt primär ins Gewicht, welcher Strom für den Antrieb des Verdampfers konsumiert wird. Photovoltaikstrom vom eigenen Dach verursacht deutlich weniger indirekte Treibhausgasemissionen als der Stromkonsum ab eigener Steckdose. Hierdurch fliesst im Schnitt eine Mischung aus inländischer Wasser- und Atomkraft sowie fossilem Importstrom. Wer dagegen mehr Ökostrom beziehen will, wird nochmals das Grauenergiekonto belasten müssen: Solarfassaden zur Winterstromproduktion oder Speichersysteme zur Erhöhung der Eigenverbrauchsquote erfordern weiteres energieintensives Baumaterial.

Mehr als 20 Rohre in einem tiefen Graben in der Erde führen waagrecht hin zu senkrecht gebohrten Erdwärmesonden
Die Nutzung von Erdwärme erfolgt über Sonden, die abhängig von der Heizungs- oder Kälteleistung über tausend Laufmeter umfassen können. Auch dieser Materialaufwand schlägt sich in einer Ökobilanz nieder. (Foto: ETH, Campus Hönggerberg)

Ob sich das negativ auf die Ökobilanz auswirkt, lässt sich jedoch nicht generell beurteilen. Gemäss der deutschen Forschungsgruppe Solarspeichersysteme lohnt sich eine Batterie zum Beispiel, wenn der Nachtstrom vor allem aus fossilen Energiequellen stammt. Ausserdem lässt sich der CO2-Fussabdruck optimieren, mit praxiserprobten Optionen wie Second-Life-Batterien oder einer bidirektionalen Integration von Elektroautos in das Gebäudebetriebssystem.

Low-Tech oder Reuse?

Wichtig zu wissen wäre aber, wie ein Gebäude ökologisch umfassend zu entwerfen ist. Low-Tech-Konzepte wie das «Haus ohne Heizung» oder «2226» versprechen ein reduziertes Gewicht an grauer Energie; allerdings fehlen fundierte Vergleichszahlen dazu. Im Gegenzug hat sich das Wiederverwenden von technischem Zubehör, gemäss dem Reuse-Prinzip, in wissenschaftlich evaluierten Fallstudien als nachweisbarer Gewinn für das Klima erwiesen.

Bei haustechnischen Gewerken lässt sich der Materialaufwand aber gezielt reduzieren. Lüftungssysteme funktionieren auch ohne Kanäle einwandfrei und sparen so graue Energie. Verschlanken lassen sich auch Heizungsanlagen, wenn ihre installierte Leistung dem effektiven Bedarf entspricht. Jüngst evaluierte Neubauten ergeben dagegen ein anderes Bild: Viele Wärmeerzeugungsanlagen sind überdimensioniert und deshalb mit zu viel Material ausgestattet.

Metallische Unterkonstruktion zur Montage von Solarmodulen an einer Gebäudefassade, darauf ein Modul mit Kabeln
Bei der Beschaffung von Photovoltaik-Modulen lohnt sich auf Herkunft und Herstellung zu achten. Graue Energie spart man aber auch, wenn die PV-Bauteile in die Gebäudehülle integriert werden – und nicht wie auf dem Bild über eine bestehende Waschbetonwand gehängt sind. (Foto: Faktor)

Etablierte Bilanzierungsmethoden

Lebenszyklusanalysen sind nicht auf graue Energie oder vorgelagerte Treibhausgas­emissionen fixiert. Damit können auch spezifische Belastungen für Luft, Boden oder Gewässer während einer Produktionskette abgeschätzt werden, wie zum Beispiel der Uranabbau beim Strom aus Kernkraftwerken oder die Lithiumgewinnung bei Strombatterien.

Wichtig zu wissen ist dabei: Das Berechnen der grauen Energie, von direkten und indirekten Treibhausgasemissionen – oder als Orientierungshilfe auch der Umweltbelastungspunkte – erfolgt nach wissenschaftlichen Regeln. Unter anderem bedienen sich die inländischen Gebäudelabels Minergie und SNBS daraus abgeleiteter Planungshilfen wie zum Beispiel dem SIA-Merkblatt 2032 oder der KBOB-Dokumentation «Ökobilanzdaten im Baubereich».

Graue Energie in PV-Modulen ist schnell amortisierbar

Ein wachsendes Interesse an solchen Analysen zeigt die PV-Industrie. Immer mehr Hersteller legen die internationalen Warenflüsse und deren ökologische Folgen offen. Zu entdecken ist, dass viele Solarfabriken in Asien noch Kohlestrom verbrauchen. Allerdings sind inzwischen auch sauberere Alternativen erhältlich: PV-Module, die selbst mit erneuerbaren Energien hergestellt werden, können ihre graue Energie innerhalb von wenigen Jahren amortisieren.

Rezyklierte PV-Dachanlage an einem Re-Use-Pilotprojekt in Winterthur
Das Wiederverwenden von technischen Komponenten spart graue Energie und vermeidet zusätzliche produktionsbedingte Treibhausgasemissionen. (Foto: Faktor)

Eine Pilotstudie des Bundes und der Stadt Zürich gibt zusätzliche Anhaltspunkte, wie Photovoltaik am Gebäude ökologisch zu optimieren ist. Primär wird darin empfohlen, PV-Module jeweils unmittelbar in die Gebäudehülle zu integrieren. Ansonsten erhalten Dach und Fassade eine Zusatzschicht, was sich nachteilig auf die Grauenergiebilanz auswirkt.

Minuspunkte ergeben sich ebenfalls durch ein Einfärben oder beim Platzieren von Solarmodulen an häufig beschatteten Flächen. Zwar weist die Studie darauf hin, dass der Umweltfussabdruck von Solarfassaden bisweilen doppelt so gross ist wie für die Stromproduktion auf Dächern. Doch selbst dies erscheint in einer Gesamtschau vertretbar: Am Gebäude selbst erzeugter Solarstrom verursacht weniger als halb so viele indirekte CO2-Emissionen als in der Schweiz gelieferter Durchschnittstrom. Mehr graue Energie für ein klimafreundliches Bauen zu investieren, lohnt sich in diesem Fall nach wie vor.