Die Lichtplanung sollte allen Menschen dienen, auch jenen mit eingeschränktem Sehvermögen. Alters- und Pflegeeinrichtung müssen den unterschiedlichen Beleuchtungsbedürfnissen noch mehr Rechnung tragen, aber auch öffentliche Bauten.
Eine gute Lichtplanung sorgt für Sicherheit, Orientierung und Sichtbarkeit, für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Sie behält auch den Energieaufwand stets im Blick. Eine sorgfältig durchdachte Beleuchtung berücksichtigt nicht nur Personen mit guter Sehkraft, sondern alle Menschen.
Gerade in Alters- und Pflegeeinrichtungen muss den Bedürfnissen von Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen noch mehr Rechnung getragen werden. Im Alter lässt die Sehkraft des Menschen nach, Augenerkrankungen nehmen zu. «Doch auch in öffentlich zugänglichen Gebäuden ist die Beleuchtung so auszulegen, dass sich Menschen mit Seheinschränkungen sicher und problemlos bewegen können», fordert Eva Schmidt. Sie ist Leiterin der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur.
Gleichmässigkeit der Beleuchtung ist wichtig
Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen brauchen mehr Licht, um Objekte und Details zu erkennen. Aber nicht nur das: «Ebenso wichtig wie die Beleuchtungsstärke ist die Gleichmässigkeit der Beleuchtung», betont die Architektin. Denn bei vielen Augenerkrankungen reagiert das Auge auch sensibler auf Blendung.
Ebenso wichtig wie die Beleuchtungsstärke ist die Gleichmässigkeit der Beleuchtung
Eva Schmidt, Leiterin Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur
Blendung entsteht häufig durch zu grosse Helligkeitsunterschiede. Solche Relativblendungen werden etwa durch Fenster am Ende eines Korridors erzeugt. Das Auge adaptiert an die helleren Bereiche. Der Flur erscheint dabei so dunkel, dass man Personen oder Eingänge nur noch schemenhaft erfasst. Für die Begrenzung der Blendung eigneten sich in diesem Fall vor allem Storen oder Jalousien, heisst es in der Publikation «Licht in Alters-, Wohn- und Pflegeeinrichtungen: Grundlagen der Lichtgestaltung für Menschen mit Seheinschränkungen» der Fachstelle. Sie schirmen die direkte Sicht auf den Himmel ab, aber lassen den Blick auf die Umgebung zu.
Besseres Licht und höhere Effizienz vereinen
Höhere Beleuchtungsstärken werfen natürlich die Frage der Energieeffizienz auf, wie Schmidt einräumt. Eine gute Steuerung und der gezielte Einsatz von Licht könne da vieles kompensieren. Und die grossen Unterschiede bei der Energieersparnis machten heute neue Technologien wie LED aus. «Menschen in Alterseinrichtungen haben durch die gemeinschaftliche Wohnform ausserdem einen vergleichsweise kleinen energetischen Fussabdruck.» Für die Expertin ist aber auch klar: «Der Gewinn an Sicherheit, Selbständigkeit und Sehleistung rechtfertigt den Energiebedarf einer adäquaten Beleuchtung.»
Stefan Gasser von der Schweizer Licht Gesellschaft SLG bestätigt ein hohes Einsparpotenzial: «Dank Sensoren wird das Licht nur dann eingeschaltet, wenn es tatsächlich benötigt wird. Dimmbare Beleuchtungsanlagen lassen sich auf unterschiedliche Bedürfnisse und Tageslichtsituationen einstellen. Das spart zusätzlich Energie.» Die Erfahrung der SLG zeigt, dass sich nur schon mit der Umstellung auf LED die Energieeffizienz mehr als verdoppeln lässt. Dank Sensorik liegt nochmals deutlich mehr drin. Auch Gasser hält es darum für vertretbar, einen Teil der Einsparung für eine verbesserte Lichtqualität einzusetzen, für höhere Beleuchtungsstärken, Entblendung, eine gute Farbwiedergabe und gute Kontraste.
Viele Beleuchtungslösungen benötigen heute dank Sensorik halb so viel Energie wie früher und sind gleich gut oder sogar besser. Bereits 2018 haben mehrere Branchenvertreter in Davos die Lichtinitiative energylight unterzeichnet, die auch von EnergieSchweiz unterstützt wird. Das erklärte Ziel des Projekts: 3,5 TWh pro Jahr einsparen.
Mit zunehmendem Alter lässt die Adaptationsfähigkeit des Auges nach. Das gilt besonders für die Anpassung an plötzliche Dunkelheit, wie Schmidt sagt. Bis zu einer halben Stunde könne es dauern, bis sich das Auge an die neue Lichtsituation gewöhnt habe.
Die Anpassung an veränderte Lichtverhältnisse dauert bis zu einer halben Stunde.
Adaptationsblendungen treten etwa dann auf, wenn jemand aus dem Freien in einen dunklen Eingangsbereich tritt. Oder wenn man aus dem hell erleuchteten Flur in sein Zimmer geht. Abhilfe schaffen könnten gut beleuchtete Übergangszonen, lässt sich in der Publikation nachlesen. Eva Schmidt und Fritz Buser haben das Dokument der Fachstelle kürzlich überarbeitet und ergänzt. Eingangsbereiche liessen sich mit Sitzmöglichkeiten auch als Aufenthaltsorte konzipieren.
Tageslicht fördert Wohlbefinden und Gesundheit – und spart Energie
Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeeinrichtungen halten sich heute einen Grossteil des Tages in sogenannter biologischer Dunkelheit auf. Das bedeutet: Sie verbringen viel zu wenig Zeit an Orten mit freier Sicht auf den Himmel oder draussen. Der Mangel an Tageslicht hat sowohl für das Wohlbefinden als auch die Gesundheit negative Folgen: Er beeinflusst nicht nur den Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern auch die Knochenstabilität oder den Appetit.
Mangel an Tageslicht hat sowohl für das Wohlbefinden als auch die Gesundheit negative Folgen.
Hier liesse sich auch baulich noch mehr machen, gibt Schmidt zu bedenken. So würden etwa Innenhöfe, natürlich belichtete Flure, Wintergärten oder Oblichter für mehr Tageslicht im Gebäudeinnern sorgen.
Öffentliche Gebäude müssen für Sehbehinderte zugänglich sein
Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen sollen auch in öffentlich zugänglichen Gebäuden problemlos ein- und ausgehen können. Gute Beispiele dafür sind laut Schmidt die ETH Zürich (siehe Zusatztext) oder der Bahnhof Löwenstrasse in Zürich. «Hier sieht man, dass beleuchtungstechnisch viel überlegt und geplant wurde.»
So seien zum Beispiel die Perronkanten in den Gleisanlagen des Bahnhofs Löwenstrasse mit visuellen und taktilen Markierungen deutlich gekennzeichnet. Eine Lichtstrecke hebt die Randbereiche zusätzlich hervor und sorgt für Sicherheit. Ausserdem erkenne man die anderen Menschen am Bahnhof sehr klar. «Der Bahnhof wirkt hell und freundlich», stellt Schmidt fest. «Trotzdem fühlt man sich nirgends geblendet.»
Gross sei der Gegensatz dabei zum Bahnhof Museumstrasse nur ein paar Schritte weiter, so Schmidt. «Dieser stellt Menschen mit einer Sehbehinderung noch immer vor grosse Herausforderungen.» Hier habe man architektonisch eine Nachtsituation nachbilden wollen: schwarze Decke, Hängeleuchten mit direkter Strahlung nach unten, dunkel gemusterter Fussboden. Trotz erneuerter Beleuchtung wirke der Bahnhof hier nach wie vor sehr dunkel. «Das zeigt, dass nicht das Licht alleine der ausschlaggebende Faktor ist», betont die Expertin. «Es müssen auch gestalterische Aspekte berücksichtigt werden.»
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Die ETH Zürich möchte ihre Gebäude und Dienstleistungen in den kommenden Jahren hindernis- und barrierefrei gestalten. Seit 2022 werden dazu in einem Pilotprojekt am Gebäude des Departements Umweltwissenschaften erste Anpassungen vorgenommen. Dazu gehören auch Massnahmen für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen, wie die Lichtplanerin Inge Sommerlatte sagt. Sie zeichnet mit ihrem Lichtplanungsbüro für diesen Bereich des Pilotprojekts verantwortlich. So wurde etwa die Beleuchtung in den Aufzügen sowie den rollstuhlgängigen Toilettenanlagen erneuert und die Lichtverhältnisse im Innenhof des Gebäudes wurden verbessert.
Wandleuchten statt Kippspiegel: Helle WC-Anlagen ohne Blendung. In den rollstuhlgerechten Toilettenanlagen wurden die bisherigen Kippspiegel durch Wandleuchten ersetzt. «Auf diese Weise ist eine hohe Beleuchtungsstärke ohne Blendung möglich», erklärt Sommerlatte. Blendung entstehe vor allem durch direktes Licht und zu grosse Kontraste.
Lichtdecke in den Aufzügen: Homogene Beleuchtung ohne verwirrende Lichtspiele. In den Aufzügen wurden die Spots durch eine Lichtdecke ersetzt. Die leuchtende Fläche sorgt laut Sommerlatte für eine homogene Beleuchtung. Die einzelnen Lichtpunkte dagegen hätten in Kombination mit den Edelstahlflächen zu verwirrenden optischen Täuschungen geführt.
Neue Beleuchtung im Innenhof zur Vermeidung visueller Störungen. Die Beleuchtung im Innenhof wurde mit blendfreien Leuchten erneuert. So sollen keine visuellen Störungen in den angrenzenden Büros mehr entstehen.
Gute Sehbedingungen in den Treppenhäusern. Anpassungsarbeiten sind auch bei den Treppenhäusern im Gebäude an der Universitätsstrasse nötig. «Der Sicherheitsaspekt steht hier ganz besonders im Fokus», sagt Sommerlatte. Die bestehenden Wandleuchten wurden durch Deckenleuchten ersetzt. Diese Aufgabe gestalte sich jedoch sehr komplex, da auch die Elektroinstallationen angepasst werden müssen. Aufwendig sei zudem die Erschliessung der beleuchteten Handläufe.
Massnahmen zur Hindernisfreiheit mit anderen Sanierungsarbeiten durchführen
Fast am zentralsten ist für Sommerlatte aber die Orientierung – auch zum Gebäude hin. «Erst mit Leitsystemen, Wegführungen und Beschilderungen sind öffentliche Gebäude wirklich auch für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen zugänglich.»
Grundsätzlich stellt die Lichtplanerin fest: «Massnahmen zur Hindernisfreiheit an Bestandsbauten sind oft langwierig und kostspielig.» Sinnvoll sei deshalb, diese wo möglich im Zuge anderer Sanierungs- oder Bauarbeiten durchzuführen.
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