Wie der Brandschutz bei Photovoltaik-Fassaden funktioniert

Im Frühjahr 2023 sorgte die Gebäudeversicherung Zürich für Aufregung, als sie die Bewilligungspraxis für Photovoltaik-Fassaden verschärfte. Ein Stand-der-Technik-Papier soll künftig die Nachweisführung erleichtern.

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Brennendes Photovoltaikmodul bei einem Brandversuch

Während Photovoltaikmodule auf Dächern längst zum Normalfall geworden sind, sind sie an den Fassaden noch selten anzutreffen. Dabei ist deren energetische Aktivierung ein wichtiger Pfeiler der künftigen Stromversorgung. Auf 17 TWh pro Jahr beziffert das Bundesamt für Energie das Potenzial, das die hiesigen Fassaden für die Produktion von erneuerbarem Strom bieten. Zum Vergleich: Die Schweizer Kernkraftwerke erzeugen jährlich rund 22 TWh Strom. Der Wert der Fassaden-Photovoltaik geht aber über den reinen Stromertrag hinaus. Im Winterhalbjahr bringen vertikal installierte Module wegen des tieferen Einfallswinkels der Sonnenstrahlen mehr Ertrag als solche auf Dächern. Solarfassaden produzieren also dann besonders viel Strom, wenn auch viel Strom benötigt wird.

Aufwendige Brandversuche nötig

Die Photovoltaik an Fassaden hat indes noch einige Hürden zu überwinden, bis sie die vorgesehene Rolle im Energiesystem übernehmen kann. Eine ist der Brandschutz bei Gebäuden, die höher sind als 11 m. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geriet das Thema im Frühjahr 2023, als verschiedene Medien über einen Bewilligungsstopp für Fassaden-Photovoltaikanlagen durch die Gebäudeversicherung Zürich berichteten. In der Zwischenzeit sind solche Anlagen wieder bewilligungsfähig, wobei ein objektbezogener Prüfnachweis einzureichen ist.

Konkret müssen derzeit noch für viele Projekte eigene Brandversuche durchgeführt werden, was zeitlich und finanziell aufwendig ist. Der Branchenverband Swissolar entwickelt deshalb ein Stand-der-Technik-Papier, das brandschutztechnisch erprobte Systeme enthalten wird. Diese sollen dann ohne separates Prüfverfahren bewilligungsfähig sein.

Brandgefahr an Fassaden

Warum Brandschutz an Fassaden insbesondere bei hohen Gebäuden wichtig ist, zeigt das tragische Beispiel des Grenfell Towers in London. Im Sommer 2017 geriet dort eine Küche im 4. Stock in Brand. Dieses Feuer konnte die Feuerwehr zwar rasch löschen, aber durch das Fenster hatte sich der Brand auf die Fassadenverkleidung, eine erst kurz zuvor neu installierte Wärmedämmung, ausgeweitet. Dort liess sich das Feuer nicht mehr stoppen, sodass es innert drei Stunden auch auf die anderen Fassadenseiten übergriff und von dort über offenstehende Fenster Innenräume in Brand setzte. Der Brand forderte mehr als 70 Todesopfer. Bei der Untersuchung des Brandhergangs zeigte sich unter anderem, dass bei der Sanierung der Fassade teilweise leicht entzündbare Materialien eingesetzt worden waren.

brennendes Hochhaus in Wohngegend
Im Juni 2017 breitete sich ein Brand im 4. Stock des Grenfell Towers in London über die Fassade auf das ganze Gebäude aus. (Foto: Natalie Oxford / Wikipedia)

Brandausbreitung verhindern

Ab einer gewissen Gebäudehöhe kann die Feuerwehr einen Brand nicht mehr von aussen bekämpfen. Daher ist es essenziell, dass sich Brände bei hohen Gebäuden nicht über die Fassade ausbreiten, weil die Feuerwehr dort keinen Löschangriff ausführen kann. Die Fassaden hoher Gebäude – in der Schweiz liegt die Grenze bei 11 m – müssen daher so geplant und realisiert werden, dass die Ausbreitung eines Brandes auf höhere Geschosse verhindert wird. Zudem muss sichergestellt sein, dass sich ein Brand nicht horizontal (seitlich) ausbreitet und dass keine Bauteile herunterfallen. Dies gelingt durch die Wahl nicht oder nur schwer brennbarer Materialien respektive technische Massnahmen.

Brandbeitragsklassen von Materialien

Materialien werden abhängig von ihrem Brandbeitrag in vier Klassen eingeteilt (Quelle: GVB). Das Kürzel «RF» steht für «réaction au feu»:

Klasse Beispiele
RF1 = kein Brandbeitrag Glas, Beton, Gips
RF2 = geringer Brandbeitrag Eichenholz, brandschutzbehandelte Stoffe
RF3 = zulässiger Brandbeitrag die meisten anderen Holzarten
RF4 = unzulässiger Brandbeitrag Holzspäne, Karton

Bei Photovoltaikmodulen mit einer Vorder- und Rückseite aus Glas verzögert sich das Brennen der Zwischenschicht, sodass solche Module als RF2 klassifiziert sind. Glas-Folien-Module hingegen erreichen lediglich RF3, weil die Folien dieser Brandschutzklasse entsprechen.

Brandschutz bei PV-Fassaden sicherstellen

Was ist punkto Brandschutz zu beachten, wenn man als Bauherrschaft oder Architekt (mit Unterstützung einer Brandschutz-Fachperson) eine Photovoltaik-Fassade plant? Antworten darauf gibt das Übergangsdokument (PDF) «Brandschutz für hinterlüftete Photovoltaikanlagen an Fassaden», das Swissolar 2023 publiziert hat. Es dient als Orientierungshilfe, bis das Stand-der-Technik-Papier veröffentlicht wird. Das Dokument unterscheidet die geltenden Anforderungen nach der Gebäudehöhe.

Gebäude geringer Höhe

In die Kategorie «Gebäude geringer Höhe» fallen Objekte mit einer Gesamthöhe bis 11 m, also zum Beispiel zwei- bis dreigeschossige Wohnhäuser. Weil die Feuerwehr bei solchen Immobilien einen Brand an der Fassade von aussen löschen kann, bestehen keine zusätzlichen Schutzziele (siehe Ausklapp-Element). Photovoltaikanlagen an Fassaden sind ohne Nachweisverfahren bewilligungsfähig, technische oder konstruktive Massnahmen für den Brandschutz sind nicht nötig. Mit anderen Worten: Planung und Installation von PV-Fassaden sind bei Gebäuden bis 11 m aus Sicht des Brandschutzes unproblematisch.

Gebäude mittlerer Höhe

Zu dieser Kategorie gehören Gebäude mit einer Gesamthöhe zwischen 11 und 30 m. Da die Feuerwehr Brände bei Immobilien dieser Höhe nicht immer von aussen bekämpfen kann, gelten deutlich schärfere Anforderungen. Als Schutzziel gilt gemäss der Brandschutzrichtlinie (PDF):

Brennbare Aussenwandbekleidungen und/oder Wärmedämmungen sind konstruktiv so zu unterteilen, dass sich ein Brand an der Aussenwand vor dem Löschangriff durch die Feuerwehr um nicht mehr als zwei Geschosse oberhalb des Brandgeschosses ausbreiten kann.

In der Planungspraxis muss die Erfüllung dieses Schutzziels mit einem Nachweisverfahren belegt werden. Es dürfen nur Materialien mit einem geringen Brandbeitrag (RF2) eingesetzt werden, also nur Photovoltaikmodule mit einem Glas-Glas-Aufbau. Zudem ist ein bauliches Konzept nötig, das beispielsweise mittels Brandschutzriegeln die vertikale Brandausbreitung verhindert. Konzepte, welche die im erwähnten Übergangsdokument aufgeführten Kriterien erfüllen, können den Nachweis argumentativ erbringen. Bei Konzepten, die davon abweichen, muss der Nachweis mittels Brandversuchen erbracht werden. Mit dem derzeit in Erarbeitung befindlichen Stand-der-Technik-Papier sollen künftig verschiedene Standardlösungen zur Verfügung stehen, damit nicht für jedes Projekt ein Brandversuch gemacht werden muss.

Aufbau einer Photovoltaikfassade in einer Prüfanlage: je 5 Panels im Hochformat übereinander in 3 Spalten montiert. Daneben der Versuch, bei dem das unterste mittlere Panel in Brand gesetzt wurde, von dem ausgehend das Feuer auf das Panel darüber übergreift.
Brandversuche wie hier in der MFPA Leipzig sind aufwendig, zumal es in der Schweiz keine geeignete Prüfanlage gibt. (Fotos: Energie 360°, Screenshot YouTube)

Hochhäuser

Für Hochhäuser – Gebäude mit einer Höhe zwischen 31 und 100 m – lautet die Materialanforderung grundsätzlich RF1, also «kein Brandbeitrag». Davon abgeleitet hat die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) im Herbst 2023 zwei Schutzziele festgelegt:

  • Schutzziel Brandüberschlag: Bei einem Brand darf es vor dem Löschangriff der Feuerwehr nicht zu einer Brandübertragung über die Aussenwand über mehr als zwei Geschosse oberhalb der Brandetage kommen.
  • Schutzziel Aussenwand­bekleidungssystem: Ein Brand im Bereich des Aussenwand­bekleidungssystems darf sich nach der Entzündung des Aussenwand­bekleidungssystems in vertikaler Richtung nur bis zur nächsten Geschossebene selbstständig ausbreiten. Die Funktion des vertikalen Fluchtwegs darf nicht beeinträchtigt werden. Das Aussenwand­bekleidungssystem ist so zu konstruieren, dass die Feuerwehr keine Intervention von aussen vornehmen muss.

Da mit der Photovoltaik per se von der Anforderung RF1 abgewichen wird, muss bei Fassadenanlagen bei Hochhäusern immer ein Nachweisverfahren durchgeführt werden.

Praxisbeispiel: Energie 360°

Wie das Nachweisverfahren mit einem Brandversuch funktioniert, zeigt ein Beispiel aus Zürich. Der Energieversorger «Energie 360°» begann im Frühjahr 2023 mit den Bauarbeiten zur Modernisierung des Hauptsitzes in Zürich-Altstetten. Teil des Projekts ist die Integration einer Photovoltaikfassade.

Grosses Bürogebäude mit Photovoltaik-Fassade, die Panels in mehreren bläulichen Farben bilden ein Muster aus Quadraten
Der Hauptsitz von Energie 360° wird nach der Modernisierung wesentlich von der neu installierten Photovoltaik-Fassade geprägt. (Visualisierung: Jessenvollenweider Architektur)

Baustopp wegen PV-Brandschutz

Die Gebäudeversicherung Kanton Zürich änderte aber wie erwähnt ihre Bewilligungspraxis für PV-Fassaden bei Gebäuden mit einer Gesamthöhe von mehr als 11 m. So war nun zwingend ein Nachweis nötig, dass sich ein Brand der PV-Module nicht über mehr als zwei Stockwerke ausbreiten kann. Als erstes betroffenes Unternehmen führte Energie 360° zusammen mit dem städtischen Amt für Hochbauten und weiteren Fachleuten einen Brandversuch durch, um den Nachweis zu erlangen. Allerdings gibt es in der Schweiz bisher noch keine geeignete Prüfanlage, in der sich Photovoltaikfassaden punkto Brandschutz untersuchen lassen.

Der zweite Versuch glückt

Schliesslich konnte Energie 360° in einer Prüfanstalt in Leipzig eine 7,5 auf 4 m grosse Testanlage aus PV-Modulen aufbauen und unter kontrollierten Bedingungen in Brand setzen. Beim ersten Versuchsaufbau verzichteten die Fachleute auf spezifische Brandschutzmassnahmen. Das genügte offenbar nicht: Der Brand weitete sich rasch vertikal auf die ganze Fassade aus.

Beim zweiten Versuch wurden Stahlbleche als horizontale Brandriegel zwischen den Modulen eingebaut.

Beim zweiten Aufbau wurden Stahlbleche als horizontale Brandriegel zwischen den einzelnen Modulen eingebaut. Der Brand im Prüflabor verlief wie gewünscht: Die Stahlbleche verhinderten die Weiterverbreitung des Brandes auf die darüberliegenden Module. Damit war den Nachweis erbracht, dass die brandschutztechnischen Anforderungen an die neue PV-Fassade erfüllt sind. Nun kann im Frühling 2024 die Umsetzung beginnen.

Die Brandversuche im Video