Fassaden-Photovoltaik: Wann lässt die Schweiz die Sonne ran?
Der Photovoltaik-Boom macht auch vor Fassaden nicht halt. Oder, besser gesagt: Er sollte es nicht. Noch zögern die Bauherrschaften, obwohl vieles für eine Solarfassade spricht. Gerade bei Sanierungen.
Nach sonnigen Flecken suchten die Menschen immer schon. Doch plötzlich tun sie das mit neuem Eifer: Um die Energiewende in der Schweiz zu beschleunigen, soll die Photovoltaik massiv ausgebaut werden. Und so sucht das Land fieberhaft nach schnell erschliessbarem Solar-Potenzial.
Bisher wurden vor allem Dächer genutzt, auf ihnen steht immer noch sehr viel Fläche zur Verfügung. Alpine Solaranlagen sind aus einem anderen Grund begehrt: Sie liefern etwa die Hälfte des Energieertrags im Winterhalbjahr, wenn in der Schweiz weniger Strom produziert als verbraucht wird. Gewissermassen zwischen den beiden Typen liegen Fassaden-Solaranlagen. Sie produzieren zwar insgesamt weniger Strom als Anlagen auf Dächern am gleichen Ort, aber dafür ebenfalls gleichmässig über das Jahr verteilt. Und wie bei Dachanlagen gibt es bereits allerorts geeignete Standorte: die Gebäude der Schweiz.
Bis jetzt erst wenig Fassaden-Solaranlagen
Ein Blick in die «Statistik Sonnenenergie 2021» des BFE zeigt, dass im Berichtsjahr auf fast 27’000 installierte Solaranlagen nur etwas über 100 Fassadenanlagen kamen. Warum ist dieser Anteil so tief? «Das grösste Hemmnis ist sicherlich die Überzeugungsarbeit, die benötigt wird, um Investoren zu gewinnen», sagt Urs Hanselmann, Leiter Technik beim Kompetenzzentrum Gebäudehülle Schweiz. «Nachteile gibt es – abgesehen vom Brandschutz bei Hochhäusern ab 30 Meter Höhe – keine. Die Gestaltungsvielfalt von Fassadenmodulen ist enorm, und die Zahl der möglichen Anwendungen steigt stetig.»
Gebäudehülle und Wärmeerzeugung zusammen denken
Fassaden-Photovoltaik hat in der Schweiz einen relevanten Kontext: die energetischen Sanierungen. Viele Gebäude hierzulande sind in einem energetisch schlechten Zustand. Einerseits versorgt sie oft noch eine Öl- oder Gasheizung mit Energie, andererseits wird Energie aufgrund der schlecht gedämmten Gebäudehülle förmlich verschwendet. Energetische Modernisierungen stellen deshalb oft die Gebäudehülle in den Fokus. Doch statt sie nur besser gegen Wärmeverluste zu schützen, lässt sich die Hülle auch aktivieren, sprich: mit Solarpanels versehen. Das gilt für das Dach wie für die Fassade.
Wärmepumpen und (Fassaden-)PV als Dream-Team
Hanselmann argumentiert ähnlich, führt jedoch noch die Heiztechnik als Treiber auf: «Gerade bei der Umstellung auf eine Wärmepumpe wird zusätzlicher Strom benötigt.» Wenn die Gebäudehülle nicht modernisiert werde, laufen Wärmepumpen nicht so effizient, wie sie könnten, da die Vorlauftemperatur höher eingestellt werden müsse. «In einem neu gedämmten Gebäude aus den 1970er-Jahren brauchen Wärmepumpen halb so viel Strom aus dem Netz wie in einem ungedämmten.» Eine PV-Anlage erzeuge einen Teil des Stroms, den die Wärmepumpe benötigt, so Hanselmann weiter.
Bei der Umstellung auf eine Wärmepumpe wird zusätzlicher Strom benötigt.
Urs Hanselmann, Leiter Technik beim Kompetenzzentrum Gebäudehülle Schweiz
Dies reduziere die vom Netz bezogene Strommenge weiter. Der Jahresertrag der Photovoltaik sei zwar am Steildach deutlich höher. Dafür liefere die Fassade in den Wintermonaten mehr Strom. Gerade an Hochhäusern könnte Photovoltaik die Winterstromproblematik entschärfen.
BIPV in die Sanierung bringen: EPFL-Forscher nimmt Herausforderung an
Photovoltaik in die Gebäudehülle – und damit die Fassade – zu integrieren, ist zu einer architektonischen Disziplin geworden: BIPV (Gebäudeintegrierte Photovoltaik, engl.: building integrated photovoltaics). Doch während es bei Neubauten immer mehr schillernde Beispiele gibt, fehlen diese bei Umbauten. Dieser Herausforderung hat sich das Laboratory of Architecture and Sustainable Technologies (LAST) an der EPFL angenommen. In seiner Doktorarbeit untersuchte Dr. Sergi Aguacil verschiedene energetische Sanierungsstrategien mit BIPV.
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In der Untersuchung wurden Gebäude in der Stadt Neuenburg ausgewählt, die für einzelne Bauepochen typisch sind. An ihnen simulierte Aguacil verschiedene Sanierungsszenarien mit aktuellen Bauteilen und überprüfte sie sowohl auf ihre energetische Leistung als auch auf ihre architektonische Qualität. Die Szenarien reichten von einer reinen Verbesserung der Isolation über eine Konservierung mit nur wenigen PV-Elementen hauptsächlich auf dem Dach hin zur Renovation mit deutlich mehr PV-Elementen bis zu einer Transformation, bei der die Gebäudehülle für die Stromproduktion verwendet und visuell deutlich verändert wird. Die Ergebnisse diskutierten Expertinnen und Experten aus Architektur, PV-Branche und anderen Planungsberufen in einem Workshop.
Solar-Fassaden energetisch, ökonomisch und ästhetisch bewertet
Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Bei sämtlichen Gebäudetypen verbessert eine «BIPV-Sanierung» die Energieeffizienz. Strategien, die auf grossflächige Fassaden-Solaranlagen setzen, können Gebäude teilweise auf den Standard der 2000-Watt-Gesellschaft bringen, wenn zusätzlich das Heizsystem umgestellt wird. Zudem sind alle Strategien mittel- bis langfristig ökonomisch rentabel. Bei manchen Gebäuden amortisiert sich die Modernisierung durch die eingesparten Energiekosten innert 15 Jahren. Gerade bei neueren Gebäuden mit Baujahr nach 1960 schneiden die Strategien mit Fassaden-PV hierbei deutlich besser ab. Die architektonische Qualität wird unterschiedlich bewertet: In den meisten Fällen ist zumindest der konservierende Ansatz «eher erstrebenswert», in einem Fall ist sogar die Transformation das bevorzugte Szenario. Nachfolgend einige Computer-generierte Varianten aus der Arbeit von Aguacil: Ein typisches Wohnhaus, das 1990 gebaut wurde, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Links der Originalzustand, in der Mitte eine simulierte BIPV-Renovation, rechts die Transformation.
BIPV und die Klimaerwärmung
Sanierungen beinhalten wie alle Bauprojekte Annahmen über die Zukuft. Eine Annahme, die sich immer weniger ignorieren lässt, ist diejenige einer immer wärmeren Welt. In einer Folgearbeit hat Sergi Aguacil mit seinem Team deshalb untersucht, wie BIPV-sanierte Gebäude auf die Klimaerwärmung reagieren.
Solar sanieren macht Gebäude ‹klimarobust›.
Die Simulation, die Aguacils Sanierungs-Szenarien drei Klimawandel-Szenarien des IPCC gegenüberstellt, kommt zu einem klaren Ergebnis: Je umfassender ein Gebäude solar saniert wird – also auch Fassaden-PV einsetzt –, desto energieeffizienter ist es in Zukunft einerseits, und desto weniger unterscheiden sich andererseits die energetischen Eckdaten zwischen den Klimawandel-Szenarien. Anders ausgedrückt: Solar sanieren macht Gebäude «klimarobust». Dies daher, da sie nicht nur weniger Energie verbrauchen, sondern diese auch in grossem Masse selbst produzieren. Da können kalte wie heisse Tage kommen.
Fazit: Solarfassaden und Sanierungen passen zusammen
Der Gebäudepark der Schweiz ist reif für die Transformation. 78 Prozent aller Gebäude sind vor 1990 gebaut worden. Erst ab diesem Zeitpunkt wurden die SIA-Standards zu energieeffizientem Bauen weitreichend implementiert, die als Folge der Ölkrise entstanden sind. Während heute die Ölkrise der 1970er-Jahre weit weg scheint, ist die Klimakrise erkennbare Realität und auch die Importabhängigkeit der Schweiz in Sachen Energie ist im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen. Im Gebäudebereich ist in der Schweiz alles vorhanden, um den Herausforderungen zu begegnen: die baulichen Mittel, das technische Know-how und inzwischen auch die Beweisführung, dass energetisch Sanieren funktioniert, wenn man dabei auf die Kraft der Sonne setzt.
Hochhäuser sind für Photovoltaik in doppelter Hinsicht ein Spezialfall. Einerseits haben sie in der Regel mehr Fassaden- als Dachfläche und bieten sich deshalb für Fassaden-PV an. Andererseits gelten für Hochhäuser – in der Schweiz Gebäude mit über 30 Metern Gesamthöhe – strengere Brandschutzbestimmungen. Die schweizerischen Brandschutzvorschriften fordern für Hochhausfassaden Baustoffe mit der höchsten Brandverhaltensklasse RF1. PV-Module erfüllen diese Klasse zwar in der Regel standardmässig, Kabel und weitere Installationen einer PV-Anlage jedoch nicht.
Aktuell müssen PV-Anlagen an Hochhausfassaden fallspezifisch von den Gebäudeversicherungen beurteilt werden, was die Baukosten in die Höhe treibt. Die Fachstelle Brandschutz der Gebäudeversicherung Bern (GVB) schreibt dazu auf Anfrage: «Grundsätzlich werden PV-Anlagen an Fassaden heute objektspezifisch beurteilt. Aktuell gibt es Bestrebungen, das Verfahren zur Beurteilung des Brandschutzes von PV-Anlagen an Fassaden zu vereinfachen. Ergebnisse dazu werden 2023 erwartet.»
Eine Frage, die sich bei BIPV-Sanierungen stellt, betrifft den Anteil der Fassade, der «aktiviert» sprich mit Solarpanels eingekleidet werden soll.
Eine Antwort darauf liefern der Eigenverbrauchs- und der Selbstversorgungsgrad, die mit einer bestimmten Bedeckung erreicht werden. Idealerweise sind beide Werte sowohl möglichst hoch als auch gleich gross. Sprich: Möglichst viel Solarenergie selbst verbrauchen und damit einen möglichst hohen Teil des eigenen Stromverbrauchs abdecken.
In der Praxis wird dafür oft ein Grenzwert für die Sonneneinstrahlung festgelegt. Unterschreitet ein Teil der Gebäudehülle diesen Wert, wird dort eher kein Solarpanel angebracht. Einen noch höheren Anteil der Gebäudehülle zu aktivieren, macht ausser aus ästhetischen Gründen für die Energieeffizienz wenig Sinn – es wird mehr Strom ins Netz abgegeben.
Bringt man eine Batterie in die Gleichung, ändert diese sich zugunsten eines grösseren Anteils aktiver Fassadenelemente. Experten können mit dem Design Explorer der EPFL die einzelnen Sanierungs-Szenarien erforschen. Dort sind die Daten und Visualisierungen der Arbeit von Sergi Aguacil hinterlegt und können nach verschiedenen Kriterien gefiltert werden.
Das ganze tönt gut. Ich könnte mir vorstellen, dass ein möglicher Grund für die kleine Anzahl von Fassaden-PV die notwendige Baubewilligung ist. Für Anlagen auf dem Dach braucht es m. W. keine.
Ich finde es super mit der Gebäudehülle oder auf Flachdächer, die auch schon bestehen. Ob Eigentum oder Mietshaus, es sollten die Chancen genutzt werden, wenn sich diese bieten. Weil je nachdem wie die Solarzellen schon reagieren, bei wenig Licht oder erst bei Sonne kann schon viel Strom Energie umgesetzt werden. Ich habe dieses in Skandinavischen Ländern gesehen, wo normales Tageslicht schon ausreichte um Strom zu erzeugen. Es wurden auch alltägliche Gegenstände eingesetzt um damit Strom zu erzeugen. Ich finde es besteht noch sehr viel Potential was genutzt werden kann. Wir müssen es einfach umsetzen.
Die Diskusion, Solaranlagen auf neuen Gebäude als Pflicht einzuführen finde ich gut, ich frage mich nur, warum der Bund seine Möglichkeiten nicht nutzt und beidseitig aller Autobahnen Solaranlagen anbringt. Das würde schon einiges bringen, ohne Zwangsmassnahmen.
Ganz überall entlang der Autobahnen wäre das schwierig, sei es aufgrund der Sicherheitsanforderungen oder aufgrund der Wirtschaftlichkeit. Wo aber bereits Bauwerke stehen, wird diese Idee aktiv verfolgt und geht jetzt in die Umsetzung: Das Bewerbungsverfahren für PV-Anlagen auf Lärmschutzwänden und Rastplätzen ist kürzlich abgeschlossen worden. https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/themen/energie-klima/photovoltaik-nationalstrassen/bewerbung.html
Arnold Berger
Vor 1 Jahr
Besten Dank für die Antwort, die mich vollumfänglich zufrieden stellt. Mit den beten Grüssen Arnold Berger Zumikon
Kommentare: Was denken Sie?
Erwin Fuhrer
Vor 2 Jahren
Das ganze tönt gut. Ich könnte mir vorstellen, dass ein möglicher Grund für die kleine Anzahl von Fassaden-PV die notwendige Baubewilligung ist. Für Anlagen auf dem Dach braucht es m. W. keine.
B.B.
Vor 2 Jahren
Ich finde es super mit der Gebäudehülle oder auf Flachdächer, die auch schon bestehen. Ob Eigentum oder Mietshaus, es sollten die Chancen genutzt werden, wenn sich diese bieten. Weil je nachdem wie die Solarzellen schon reagieren, bei wenig Licht oder erst bei Sonne kann schon viel Strom Energie umgesetzt werden. Ich habe dieses in Skandinavischen Ländern gesehen, wo normales Tageslicht schon ausreichte um Strom zu erzeugen. Es wurden auch alltägliche Gegenstände eingesetzt um damit Strom zu erzeugen. Ich finde es besteht noch sehr viel Potential was genutzt werden kann. Wir müssen es einfach umsetzen.
Arnold Berger
Vor 1 Jahr
Die Diskusion, Solaranlagen auf neuen Gebäude als Pflicht einzuführen finde ich gut, ich frage mich nur, warum der Bund seine Möglichkeiten nicht nutzt und beidseitig aller Autobahnen Solaranlagen anbringt. Das würde schon einiges bringen, ohne Zwangsmassnahmen.
Thomas Elmiger
Vor 1 Jahr
Ganz überall entlang der Autobahnen wäre das schwierig, sei es aufgrund der Sicherheitsanforderungen oder aufgrund der Wirtschaftlichkeit. Wo aber bereits Bauwerke stehen, wird diese Idee aktiv verfolgt und geht jetzt in die Umsetzung: Das Bewerbungsverfahren für PV-Anlagen auf Lärmschutzwänden und Rastplätzen ist kürzlich abgeschlossen worden.
https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/themen/energie-klima/photovoltaik-nationalstrassen/bewerbung.html
Arnold Berger
Vor 1 Jahr
Besten Dank für die Antwort, die mich vollumfänglich zufrieden stellt. Mit den beten Grüssen Arnold Berger Zumikon