Pflanzenkohle: Klimapositive Energie mit CO₂-Speicherung

Energie erzeugen, CO2 binden und gleichzeitig die Böden verbessern? Das verspricht Pyrolyse, die Herstellung von Pflanzenkohle. Es klingt fast zu gut, um wahr zu sein – doch der Blick aufs Detail zeigt: Fernwärme aus Pflanzenkohle ist tatsächlich klimapositive Energie und demnächst in Basel sogar regulär zu beziehen. Und für manche ist das Zweitprodukt sowieso das Wichtigste.

8 Min.
Kohlehäufchen, dahinter getrocknete Pflanzenschnitzel

Was ist Pyrolyse überhaupt? Pyrolyse bezeichnet den Umwandlungsprozess von organischem Material wie Holz und Pflanzenresten bei hohen Temperaturen ohne Sauerstoff. Der Prozess benötigt anfangs Energiezufuhr, hat aber auch einen Temperaturbereich, in dem Energie frei wird. Diese Überschusswärme grösserer Anlagen kann in ein Fernwärmenetz eingespeist werden. Je nach Rohstoff und Prozesssteuerung fallen Gase, Pyrolyseöl und ein festes Restprodukt wie Pflanzenkohle an. Pflanzenkohle als Bodenverbesserer, als Terra Preta, ist schon von den alten Kulturen am Amazonas bekannt.

Klimapositive Kohle?

Kohle hat in der Klimawissenschaft keinen guten Ruf. Denn die Verfeuerung fossiler Kohle setzt bekanntlich das Treibhausgas CO2 frei, das darin seit Jahrtausenden gebunden ist. In der aus heute wachsenden Pflanzen produzierten Kohle wird jedoch das CO2 gespeichert, das diese Pflanzen gerade erst während ihres Wachstums aus der Luft aufgenommen haben. Knapp die Hälfte davon wird bei der Pyrolyse wieder frei. Aber wenn diese Kohle nicht verfeuert, sondern in den Boden eingebracht wird, bleibt das restliche CO2 darin gebunden. Die Kohlestruktur trägt im Boden ausserdem zu besserem Pflanzenwachstum und damit zur verstärkten Aufnahme von CO2 aus der Luft bei.

Die Kombination aus Pyrolyse zur Energieerzeugung und der Verwendung von Pflanzenkohle zur Bodenverbesserung ist also ein zukunftsträchtiger Ansatz, an dem auch schon länger geforscht wird, nicht zuletzt in der Schweiz. Hier haben das Ökozentrum in Langenbruck und das Ithaka-Institut viel Vorarbeit geleistet. In Basel wird nun erstmals ein Energieversorger, die IWB, diese klimapositive Energie für ihre Kunden nutzen. Der Bau der Anlage im Stadtteil Kleinhüningen startete im Juni 2020. Als Rohstoff soll minderwertiger Pflanzenschnitt aus der Landschaftspflege zum Einsatz kommen, wie er in der Region ohnehin anfällt. Die Anlage soll etwa 1500 MWh Fernwärme aus Pflanzenkohle im Jahr produzieren, die direkt ins Netz eingespeist wird. Damit können rund 170 Haushalte versorgt werden. Es entstehen ausserdem 550 Tonnen Pflanzenkohle im Jahr, die verkauft werden können. Im November 2020 soll die Anlage betriebsbereit sein. Um den Pyrolyse-Prozess in Gang zu bekommen, werden im Jahr 25 MWh Gas benötigt. Läuft der Prozess, wird die dadurch erzeugte Wärmeenergie genutzt.

So soll die Pyrolyse-Anlage der IWB funktionieren: Mehr als die Hälfte des CO₂ bleibt gebunden. (Grafik: Simon Havlik/IWB)

So rechnet IWB: In einem Kilogramm naturbelassenem Holz sind 0,9 Kilogramm CO2-Äquivalent gespeichert. Davon werden 0,4 Kilogramm bei der Pyrolyse freigesetzt. Aus diesem einen Kilogramm Holz entstehen eine Kilowattstunde Fernwärme und 170 Gramm Pflanzenkohle, die dann in den Boden eingebracht werden kann. Darin sind noch 0,5 Kilogramm CO2-Äquivalent für die nächsten Jahrhunderte gespeichert. Pflanzenkohle widersteht den mikrobiologischen Abbauprozessen im Boden sehr lange. Eine Studie mit C14-markierter Pflanzenkohle kommt sogar zu dem Schluss, dass es je nach Bodenbeschaffenheit und lokalem Klima 2000 bis 4000 Jahre sein können. Damit ist die Pyrolyse zu Pflanzenkohle tatsächlich ein Prozess, welcher der Atmosphäre langfristig das Treibhausgas CO2 entzieht.

Braunschwarze Erde
Das Geheimnis einer guten Ernte ist der Boden – Terra Preta hilft, ihn zu verbessern. (Foto: GeorgeVieiraSilva/Shutterstock)

Was bewirkt Pflanzenkohle im Boden?

Die ersten, die Pflanzenkohle in den Boden einbrachten, waren vermutlich indigene Kulturen im Amazonas. Forscher fanden dort Stellen mit fruchtbarer, tiefschwarzer Erde vor, obwohl Regenwaldböden normalerweise eher mager sind, und nannten diese Stellen Terra Preta, schwarze Erde. Des Rätsel Lösung: Diese frühen Kulturen pflegten ihre Böden nachhaltig – mit einem Gemisch aus Essensabfällen, Fäkalien und Holzkohle. Mit dieser Kombination aus Kompost und Kohle gelang es ihnen im Laufe der Zeit, die vorhandene Erde so zu verbessern, dass sie mehr Ernte brachte und die Ernährung sicherte. Die Rolle der Kohle sieht die Forschung darin, dass sie verhinderte, dass die Nährstoffe zu schnell ausgewaschen wurden, wie es sonst in den Tropen leicht geschieht, und dass sich dort wichtige Mikroorganismen gut ansiedeln können. Die fein strukturierte Kohle kann ausserdem Wasser gut speichern.

Mit dem Grundprinzip dieser Terra Preta wird auch heute experimentiert. Statt Kunstdünger soll die Kombination aus solchen natürlichen Bodenverbesserern die Fruchtbarkeit der Äcker für die Zukunft sichern. Wissenschaftler des Ithaka-Instituts entwickelten ein Gefäss namens Kon-Tiki, mit dem jeder einfach hochwertige Pflanzenkohle vor Ort herstellen kann. Seine Feldversuche in Europa führt das Institut meist in der Domaine de Mythopia durch, einem Weinberg. Auch der Bio-Winzer Delinat verwendet schon seit Jahren Pflanzenkohle zur Bodenverbesserung. Als «schwarze Wundererde» erscheint Terra Preta immer mal wieder in den Medien. Fertige Terra-Preta-Substrate auf dem Markt sind allerdings nicht billig. Neben der Bodenverbesserung kann Pflanzenkohle auch in weiteren Bereichen genutzt werden, beispielsweise zur Güllebehandlung im Stall und bei der Silage von Futtermitteln.

Vorsicht PAK

Soweit klingt die Pyrolyse zu Pflanzenkohle nach einer unschlagbaren Kombination: Es wird Energie erzeugt, CO2 gebunden und mit dem Restprodukt auch noch der Boden verbessert. Aber Vorsicht ist angebracht. Das Stichwort dazu: Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK. Solche können bei der Herstellung von Pflanzenkohle entstehen und sind giftig. Und darum möchte man PAK selbstverständlich auch nicht im Boden haben. Die Kunst der Pflanzenkohle-Pyrolyse besteht darin, das Material so auszuwählen und den Verkohlungsprozess so zu steuern, dass sich möglichst wenig davon bilden – ob im Kon-Tiki-Modell des Ithaka-Instituts oder in einer industriellen Anlage wie in Basel.

Es ist also nicht ratsam, zur Bodenverbesserung irgendeine Kohle zu vergraben, und schon gar nicht die, über der man gerade Würstchen gegrillt hat. Die Standards des Europäischen Pflanzenkohle Zertifikats (European Biochar Certificate, EBC ) beinhalten strenge Grenzwerte, eingeteilt nach Einsatzgebieten. Dazu müssen laufend Proben genommen werden. Auch IWB wird seine Kohle entsprechend diesem Standard produzieren. Beim EBC handelt es sich zwar um einen freiwilligen Industriestandard in Europa. Die Stufe AgroBio ist jedoch in der Schweiz die Voraussetzung, damit man die Pflanzenkohle in der Landwirtschaft einsetzen darf.

Welcher Rohstoff für die Pyrolyse?

Für die Pyrolyse eignet sich eine Vielzahl von organischen Materialien. Der österreichische Hersteller Sonnenerde produziert beispielsweise Pflanzenkohle aus Zellulosefasern und Getreidespelzen. Für die CO2-Bilanz des Endproduktes ist es natürlich nicht sinnvoll, den Rohstoff über weite Strecken zu transportieren. Ebensowenig sinnvoll ist es, hochwertiges Holz zu verkohlen, das auch für die Möbelherstellung oder als Baumaterial Verwendung finden könnte. Langlebige Holzprodukte speichern ebenfalls CO2. Die IWB will Schnittmaterial aus der Landschaftspflege in der Region und Reste von Energieholz verwenden, das sich nicht für die Verfeuerung eignet.

Bewährungszeit für das Pyrolyse-Kraftwerk

Alle Energieversorger sind heute gezwungen, sich mit ihrer CO2-Bilanz zu befassen und neue Wege zu beschreiten. IWB ist zum Schluss gekommen, mit einer Pyrolyse-Anlage Ökonomie und Ökologie verbinden zu können. Wie sich dies in der Praxis bewährt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Gelingt es, stets ausreichenden und günstigen Rohstoff aus der Nähe zu beziehen und die ganze Kohleproduktion zu verkaufen, dürfte die Anlage in Kleinhüningen ein Modell für weitere sein – für klimapositive Energie, die auch noch den Boden verbessert.

Weitere Informationen zum Projekt der IWB, laufend aktualisiert: www.iwb.ch/pflanzenkohle.

Fünf Fragen an Philipp Vögelin, IWB

Philipp Voegelin beim Vortrag
Philipp Vögelin ist Strategieentwickler und Projektleiter Pfanzenkohle bei IWB. (Screenshot YouTube: Klimaplattform-Vortrag)

Wir befragten Philipp Vögelin im Nachgang zu seinem Referat «Pflanzenkohle – die klimapositive Energielösung» für die Klimaplattform der Wirtschaft, Basel, vom 26.5.2020.

IWB investiert einen mittleren einstelligen Millionenbetrag in die neue Anlage und produziert damit genug Wärme, um 170 Haushalte durch den Winter zu bringen. Erweitern Sie das Fernwärmenetz oder wird ein bestehender Wärmeerzeuger abgeschaltet?
Philipp Vögelin: IWB erweitert in den kommenden Jahrzehnten das Fernwärmenetz im Rahmen des kantonalen Energierichtplans. Der Fernwärmebedarf wird dadurch steigen. Die Pflanzenkohleanlage ist im Winterhalbjahr mit einer Einspeiseleistung von netto 300 bis 500 kW eine kleine Ergänzung zu den bestehenden Holzkraftwerken und der Kehrichtverwertungsanlage. Im Sommerhalbjahr planen wir, mit der Abwärme feuchtes Material vorzutrocknen.

Wie werden die Kosten für die Fernwärme aus Pflanzenkohle berechnet? Wird die Energie der IWB dadurch teurer?
Die Pflanzenkohleanlage erhält den gleichen Wärmeerlös wie die anderen Produktionsanlagen von IWB. Deshalb verändert sich der Fernwärmetarif durch den Anschluss der Pflanzenkohleanlage nicht.

Wie ist der Bedarf an Pflanzenkohle langfristig? Die Kohle baut sich ja sehr langsam ab, die Menschen wollen aber jeden Winter eine warme Wohnung. Könnte es irgendwann einen Sättigungseffekt geben, wenn so viel Pflanzenkohle produziert wird?
Die Nachfrage nach Pflanzenkohle ist in der Schweiz momentan um ein Mehrfaches höher als die Produktionsmenge. Ein Grossteil wird heute noch aus Deutschland und Österreich importiert. Die Bekanntheit von Pflanzenkohle steigt, daher erwarten wir in allen Anwendungsbereichen – Haushalt, Gärtnereien/Grünflächen, Landwirtschaft – ein Nachfragewachstum. Das theoretische Anwendungspotential ist in den genannten Bereichen auf jeden Fall sehr gross.

Wie wird der Vertrieb organisiert, damit der klimapositive Ansatz nicht gefährdet wird?
IWB versucht, die Pflanzenkohle mit möglichst geringen Transportdistanzen zu vertreiben. Der klimapositive Effekt würde komplett verlorengehen, falls die Kohle verbrannt würde. Aber dafür eignet sie sich mit der feinkörnigen Struktur nicht, ausserdem verkaufen wir gezielt an Haushaltsanwender, Gärtnereien, Landwirtschaft und spezialisierte Händler. Somit gelangt die Pflanzenkohle sicher in den Boden.

Gibt es schon Interesse von potenziellen Grossabnehmern für die Pflanzenkohle?
Ja, es gibt Interesse von Düngemittelhändlern und Grossgärtnereien.