Neuartige CO₂-Entnahme aus der Luft noch fast bei null
Um mehr als das Tausendfache müssen CO2-Entnahmetechniken wachsen, um die Welt bis 2050 klimaneutral zu machen und danach negative Emissionen zu erzeugen. Das ergab der erste globale Report zum Stand solcher Methoden, den eine internationale Forschergruppe Anfang 2023 vorgelegt hat.
2050, zur Mitte des Jahrhunderts, muss die Welt klimaneutral sein, verlangt das Paris-Abkommen. Neutral bedeutet: Unter der globalen CO2-Bilanz soll dann eine «Netto-Null» stehen.
Dass die Menschheit gar kein Gramm CO2 mehr emittiert, wird leider nicht eintreten. Auch in einer nachhaltigen Welt gibt es Restemissionen, besonders aus der Agrar- und der Abfallwirtschaft aufgrund der biologischen Vorgänge dort. Auch der Gebäudebereich wird noch CO2 emittieren. Wie gross die verbleibenden Emissionen der Industrie künftig ausfallen, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Debatten und hängt auch von der Entwicklung des CO2-Preises ab.
Auch die Schweiz hat das Ziel, ab 2050 nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre auszustossen, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden (Netto-Null-Ziel).
Die Klimastrategie des Bundes zeigt, dass die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 um rund 90 Prozent vermindern kann. Die verbleibenden Emissionen müssen mit Negativemissionstechnologien ausgeglichen werden. Auf Basis der Energieperspektiven 2050+ wird angenommen, dass bis 2050 jährlich rund 12 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden müssen. Gemäss dem Bericht des Bundesrats von 2022 (PDF) ist dafür ein schrittweises Vorgehen geplant.
Diese Informationen für die Schweiz wurden ergänzt durch die Redaktion.
Für die «Netto-Null» müssen diese Restemissionen kompensiert werden, vor allem durch Techniken, bei denen CO2 der Atmosphäre direkt oder indirekt entnommen und dann langfristig eingelagert wird. Diese Methoden rangieren unter dem Kürzel CDR, Carbon Dioxide Removal – also CO2-Entnahme. Klimaexperten sprechen auch von negativen Emissionen.
In den letzten Jahren drängte sich ein weiterer Grund auf, der CDR mehr und mehr interessant macht: Immer noch liegt der globale CO2-Ausstoss sehr hoch. Alle Szenarien des Weltklimarats, die das 1,5-Grad-Limit einhalten, verlangen zwar die Halbierung der Emissionen bis 2030 und die «Netto-Null» für 2050, aber sie sagen auch: Eine ganze Zeit lang wird die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden, es tritt der sogenannte Overshoot ein.
Um die Erwärmung dann wieder auf 1,5 Grad abzusenken und – angesichts der jetzt schon erlebbaren Klimaschäden – besser noch darunter, sollen hunderte Milliarden Tonnen CO2 aus der Luft geholt und abgespeichert werden. «Es geht hier nicht um ein Kann, sondern um ein Muss», erklärte diese Woche Jan Minx, leitender Wissenschaftler am Berliner Mercator-Forschungsinstitut MCC.
CO2-Entnahme soll bis 2050 um Faktor 1300 steigen
Minx gehört einer internationalen Forschergruppe an, die Anfang 2023 erstmals einen Report zum weltweiten Stand von CDR vorgelegt hat («The State of Carbon Dioxide Removal»). Die mehr als 100-seitige Studie stellt die erste weltweite Bestandsaufnahme und umfassende Bewertung der Massnahmen dar, um CO2 der Atmosphäre zu entziehen und dauerhaft zu speichern.
Heute werden weltweit rund 37 Milliarden Tonnen CO2 jährlich emittiert.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Fokus der Arbeit liegt, wie auch die Autoren betonen, nicht auf Projekten, bei denen Emissionen fossiler Kraftwerke oder Industrieanlagen aufgefangen und gespeichert werden sollen, also nicht bei Carbon Capture and Storage (CCS). Bei CDR geht es vielmehr ausdrücklich darum, das abzuspeichernde CO2 der Atmosphäre zu entnehmen.
Gegenwärtig werden weltweit rund 37 Milliarden Tonnen CO2 jährlich emittiert. Etwa zwei Milliarden Tonnen davon werden laut dem Report durch CDR entnommen. Das geschieht vor allem durch «konventionelles» CDR, wie die Wissenschaftler es nennen, beispielsweise Aufforstung oder Waldmanagement.
Beides ist sonst eher unter dem Label natürlicher Klimaschutz bekannt. Diesen Begriff wollen die Wissenschaftler aber nicht verwenden, erklärten sie bei einer Präsentation der Studie in dieser Woche. Auch den oft als CO2-Einsparer gelobten Moorschutz und die Wiedervernässung von Mooren sehen die Forscher als Emissionsvermeidung an und nicht als Methode zur CO2-Entnahme.
Wie lassen sich drei Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr einsammeln?
Die Forderung im Report ist eindeutig: Die schon vorhandene Senkenleistung muss deutlich vergrössert werden, auf mindestens drei Milliarden Tonnen CO2 jährlich. Dazu braucht es nach Ansicht der Forscher den massiven Ausbau neuartiger CDR-Methoden wie Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS), direkte CO2-Entnahme aus der Luft mit Speicherung (DACCS), Einsatz von Biokohle oder verbesserte Gesteinsverwitterung.
Mit diesen Methoden werden zurzeit laut Studie gerade einmal zwei Millionen Tonnen CO2 im Jahr der Luft entnommen. Grösstenteils gehe das auch noch auf das Konto eines Bioenergie-Projekts in den USA, ergänzt MCC-Forscher Minx. «Da stehen wir fast noch bei null.»
Studie sieht grosse globale «CDR-Lücke»
Das Thema CO2-Entnahme erhalte in Wissenschaft und Politik bisher zu wenig Aufmerksamkeit, kritisiert der Report. Es gebe eine grosse Lücke zwischen den CDR-Planungen der Staaten und dem, was erforderlich sei, um das Ziel des Pariser Klimavertrags zu erreichen, erklärt auch Oliver Geden, Klimaexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und Mitautor des Reports.
Vor fünf bis zehn Jahren habe er selbst noch zu den Kritikern von CO2-Entnahme-Modellen gehört, räumt Geden ein. Das habe sich geändert, zum einen, weil die eigentlich nötige CO2-Reduktion bisher global nicht stattgefunden habe.
Zum anderen sei die Pariser Klimavorgabe eben ein Netto-Null-Ziel, so der Klimaexperte. Das bedeute in der Praxis den Einsatz von CDR, weil es immer Restemissionen gibt. «Ein Ziel von null Emissionen ist nicht realistisch», betont Geden.
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Warnung: Die Zukunft nicht von CO2-Entnahme abhängig machen
Um die sich abzeichnende «CDR-Lücke» zu schliessen, müsste laut der Studie der Einsatz der neuartigen Methoden schon bis 2030 um den Faktor 30 ansteigen, bis Mitte des Jahrhunderts um den Faktor 1300. In extremen Szenarien mit viel zu wenig CO2-Reduktion sogar um den Faktor 4000.
Kein Staat sehe bisher in seinen nationalen Klimaplänen einen Ausbau von CDR bis 2030 vor, mahnt der Report, nur in einigen dieser Selbstverpflichtungen finde sich dies im Zeitraum bis 2050. Nach Ansicht der Autoren sind aber die nächsten zehn Jahre entscheidend, um CDR rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Zunächst müssten dazu Anlagen im industriellen Massstab zum Laufen gebracht und möglichst viele Methoden probiert werden.
Wir brauchen schnelle und tiefe Reduktionen von Treibhausgasen und CO2-Entnahmen. Das ist kein Entweder-Oder.
Jan Minx, leitender Wissenschaftler am Mercator-Forschungsinstitut MCC
Die Forscher warnen zugleich davor, die Zukunft zu sehr von CO2-Entnahmetechniken abhängig zu machen. «Wir brauchen schnelle und tiefe Reduktionen von Treibhausgasen und CO2-Entnahmen. Das ist kein Entweder-Oder», erklärt Jan Minx. Bis 2050 stünden dabei zunächst die konsequente CO2-Einsparung und der Aufbau einer Entnahme-Wirtschaft im Vordergrund, nach 2050 könne es dann um das Erreichen echter negativer Emissionen gehen.
«Längerfristig müssen wir uns auch ums Aufräumen der Atmosphäre Gedanken machen, denn die Klimaschäden sind schon sichtbar», schaut Minx voraus. Zunächst sei aber die grösste Herausforderung, einen politischen Raum zu schaffen, damit die Aufskalierung von CDR gelingt. «Und 2050 ist ja auch bald.»
Der Redakteur und Geschäftsführer des KJB KlimaJournalistenBüro studierte Journalismus, berichtete und kommentierte über Jahrzehnte für regionale und überregionale Medien über Wirtschaft, Energie, Klimawandel und Umwelt. Von 2005 bis 2013 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im deutschen Bundestag tätig, heute arbeitet er als freiberuflicher Journalist.
Das tönt ja gut und vernünftig, erinnert mich aber ans Perpetuum mobile. Wir «gewinnen» ja Energie, indem Kohlenstoff sich mit Sauerstoff verbinden darf. Wenn wir diese beiden wieder trennen wollen, benötigt dies doch mindestens gleichviel Energie. CO2 mit einem Anteil von weniger als 1% aus der Luft «herauszufiltern» ist wohl auch sehr aufwändig. Soll dieses dann ohne Auftrennen irgendwo eingelagert werden, so verschwindet auch Sauerstoff – was bedeutet dies für unsere Atmosphäre? Auf jeden Fall ist alles sehr energieintensiv und darf höchstens mit erneuerbaren Energien geschehen, also nicht rund um die Uhr. D.h. wiederum, dass die entsprechend teuren Anlagen nur begrenzt abgeschrieben werden können. Da würde ich schon einmal gerne genauere Berechnungen sehen.
Die grundsätzliche Erkenntnis, dass das CO2 wieder aus der Athmosphäre entzogen werden muss, ist richtig und alternativlos. Was leider auch dieser Beitrag ausblendet, ist die Prioritätenreihenfolge, weil mal nur normativ argumentiert wird. Für den Betrieb von CDR-Anlagen braucht es sehr viel Energie, sprich erneuerbaren Strom. Basierend auf den Erfahrungen des Climeworks-Projekts in Island braucht es ca. 2 MWh, um eine Tonne CO2 wieder einzufangen. Um also 37 Mrd. Tonnen weltweit abzuscheiden, braucht es 74 PWh Strom, das ist mehr also das doppelte der aktuellen weltweiten Stromerzeugung, wovon ja auch noch genug aus fossilen Quellen stammt. Auch ausgeblendet werden die Kosten, egal mit welchen Preisen pro Tonne CDR man rechnet.
Also, leider aber wichtig, muss die Prioritätenreihenfolge lauten: zunächst die globale Energieproduktion auf erneuerbaren Strom, Wasserstoff, SAF, etc. umstellen, das ist nämlich vergleichsweise günstig zu erreichen, und dann kommt CRD zum Zug. Das sehen übrigens auch die Exponenten von Climeworks so, die müssen es ja wissen.
Kommentare: Was denken Sie?
Stefan Bräuer
Vor 12 Monaten
Das tönt ja gut und vernünftig, erinnert mich aber ans Perpetuum mobile. Wir «gewinnen» ja Energie, indem Kohlenstoff sich mit Sauerstoff verbinden darf. Wenn wir diese beiden wieder trennen wollen, benötigt dies doch mindestens gleichviel Energie. CO2 mit einem Anteil von weniger als 1% aus der Luft «herauszufiltern» ist wohl auch sehr aufwändig. Soll dieses dann ohne Auftrennen irgendwo eingelagert werden, so verschwindet auch Sauerstoff – was bedeutet dies für unsere Atmosphäre? Auf jeden Fall ist alles sehr energieintensiv und darf höchstens mit erneuerbaren Energien geschehen, also nicht rund um die Uhr. D.h. wiederum, dass die entsprechend teuren Anlagen nur begrenzt abgeschrieben werden können. Da würde ich schon einmal gerne genauere Berechnungen sehen.
Oliver Schmid-Schönbein
Vor 11 Monaten
Die grundsätzliche Erkenntnis, dass das CO2 wieder aus der Athmosphäre entzogen werden muss, ist richtig und alternativlos. Was leider auch dieser Beitrag ausblendet, ist die Prioritätenreihenfolge, weil mal nur normativ argumentiert wird. Für den Betrieb von CDR-Anlagen braucht es sehr viel Energie, sprich erneuerbaren Strom. Basierend auf den Erfahrungen des Climeworks-Projekts in Island braucht es ca. 2 MWh, um eine Tonne CO2 wieder einzufangen. Um also 37 Mrd. Tonnen weltweit abzuscheiden, braucht es 74 PWh Strom, das ist mehr also das doppelte der aktuellen weltweiten Stromerzeugung, wovon ja auch noch genug aus fossilen Quellen stammt. Auch ausgeblendet werden die Kosten, egal mit welchen Preisen pro Tonne CDR man rechnet.
Also, leider aber wichtig, muss die Prioritätenreihenfolge lauten: zunächst die globale Energieproduktion auf erneuerbaren Strom, Wasserstoff, SAF, etc. umstellen, das ist nämlich vergleichsweise günstig zu erreichen, und dann kommt CRD zum Zug. Das sehen übrigens auch die Exponenten von Climeworks so, die müssen es ja wissen.