Neuberechnung: CO₂-Budget wesentlich kleiner als gedacht
Wie viel CO2-Emissionen darf sich die Menschheit noch leisten? Laut einer neuen Studie ist das CO2-Budget wesentlich geringer als bisher angenommen. Wenn die Welt nicht handelt, könnte es schon 2029 aufgebraucht sein.
40 Milliarden Tonnen CO2 pustet die Menschheit jährlich in die Atmosphäre – Tendenz steigend. Doch selbst wenn die Emissionen konstant blieben, hätte die Welt laut einer neuen Untersuchung das globale CO2-Budget, um unter dem 1,5-Grad-Limit der Erderwärmung zu bleiben, bereits in sechs Jahren und ein paar Monaten aufgebraucht.
Was ist das CO2-Budget?
Die Idee eines CO2-Budgets ist nicht neu. Das Budget beschreibt die Menge an CO2, die die Menschheit noch ausstossen darf, ohne einen bestimmten Temperaturanstieg zu überschreiten. Der jüngste Weltklimabericht von 2021 gab das Budget, um das 1,5-Grad-Limit mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einzuhalten, mit 494 Milliarden Tonnen CO2 an.
Wie gross ist das verbleibende CO2-Budget?
In der kürzlich im Fachjournal Nature Climate Change veröffentlichten Studie ist dieses Budget nun um etwa die Hälfte auf 247 Milliarden Tonnen geschrumpft. Das Forschungsteam um den Physiker Robin Lamboll vom Imperial College London hat auch für das Zwei-Grad-Ziel ein Budget ausgerechnet.
Demnach bleiben noch 1220 Milliarden Tonnen, um die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf zwei Grad zu begrenzen. Um das Ziel mit Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit einzuhalten, sinkt das CO2-Budget auf 940 Milliarden Tonnen. Im Weltklimabericht waren es bei derselben Wahrscheinlichkeit noch 1150 Milliarden Tonnen.
Um das Zwei-Grad-Ziel mit Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit einzuhalten, beträgt das CO2-Budget noch 940 Milliarden Tonnen.
Obwohl die Ergebnisse der Studie wie eine enorme Abweichung von den Berechnungen der Klimaforscher:innen erscheinen mögen, habe «sich das tatsächliche Wissen darüber, wie das Klima auf CO2– oder andere Treibhausgasemissionen reagiert, durch diese Revision des CO2-Budgets nicht wesentlich geändert», sagte Gabriel Abrahão vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Abrahão war selbst nicht an der Studie beteiligt.
Tatsächlich ist ein Hauptgrund für die Unterschiede ziemlich profan. Während der Weltklimabericht das Budget für einen Zeitraum ab Anfang 2020 berechnete, beginnt der Zeitraum in der Studie drei Jahre später. Drei Jahre, in denen die Menschheit jährlich rund 40 Milliarden Tonnen CO2 von diesem Budget aufgebraucht hat.
Setzt man das in Relation, unterscheiden sich die Budgets beim 1,5-Grad-Ziel noch um etwa ein Drittel.
«Für das 1,5-Grad-Ziel wird es sehr, sehr knapp»
Das Drittel ist zu Teilen mit einem neuen Computermodell und verfeinerten methodischen Ansätzen zu erklären. Ausserdem benutzte die Forschungsgruppe neuere Emissionsdaten.
Das machte laut dem Physiker Abrahão besonders bei der Bewertung von Aerosol-Emissionen einen entscheidenden Unterschied. Aerosole sind Schwebeteilchen in flüssiger oder fester Form. Sie werden vor allem bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen freigesetzt.
Obwohl sie die Luftqualität negativ beeinflussen und deshalb Anstrengungen unternommen werden, um ihren Ausstoss zu reduzieren, haben sie eine kühlende Wirkung auf das Klima. Sie schirmen die Erdoberfläche von Sonnenstrahlung ab und regen als Kondensationskerne die Wolkenbildung an.
Die Autor:innen gehen in ihren Berechnungen davon aus, dass bei einem Ausstieg aus den fossilen Energien auch die Aerosolemissionen abnehmen – und damit ihre kühlende Wirkung. Damit berücksichtigen sie einen negativen Rückkopplungseffekt, den frühere Untersuchungen meist ignorierten.
Wie schnell dieser Ausstieg aus den Fossilen wirklich gelingen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Bis heute dominieren fossile Brennstoffe zu 80 Prozent die globale Energieversorgung.
Bis heute dominieren fossile Brennstoffe zu 80 Prozent die globale Energieversorgung.
Immerhin gibt der kürzlich erschienene «World Energy Outlook» der Internationalen Energieagentur IEA ein wenig Hoffnung. So spricht die IEA von einem «phänomenalen Aufstieg» sauberer Energietechnologien.
Ob das ausreichen wird, um auf 1,5-Grad-Kurs zu kommen, daran lassen die Ergebnisse von Lamboll und seinem Team zweifeln.
«Die aktuelle Studie zeigt vor allem eines: Für das 1,5-Grad-Ziel wird es sehr, sehr knapp», sagte Klimaexperte Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute in Köln. Es sei kaum relevant, ob das Budget bei gleich bleibenden Emissionen in sechs Jahren aufgebraucht ist oder in zehn Jahren – wie vor der Studie angenommen. Höhne: «Es ist in jedem Fall extrem eng. Und das ist keine neue Erkenntnis.»
Wir wissen genug, um zu handeln
Es gilt als durchaus realistisch, dass das 1,5-Grad-Limit bereits in diesem Jahrzehnt überschritten wird. Anders als in vielen Medien immer wieder falsch wiedergegeben wird, ist dieses Temperaturziel des Pariser Klimaabkommens damit aber noch nicht verfehlt.
Eine zeitweise Überschreitung des 1,5-Grad-Limits lässt das Abkommen durchaus zu. Es müssen allerdings Massnahmen ergriffen werden, damit die Überschreitung nicht dauerhaft wird. Darunter fällt zum Beispiel die Renaturierung von natürlichem CO2-Senken wie Wäldern oder Mooren.
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Würde die Menschheit ab heute ihre CO2-Emissionen kontinuierlich zurückzufahren, liesse sich aber auch eine kurzfristige Überschreitung vermeiden. Um das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen, müsste die Welt 2035 netto null Emissionen erreichen – also zehn Jahre früher, als beispielsweise Deutschland dies laut seinem Klimaschutzgesetz tun will.
Das Ziel der Schweiz ist es, bis 2050 klimaneutral zu werden. In der Volksabstimmung vom 18. Juni 2023 wurde das «Bundesgesetzes über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative)» angenommen. Das Gesetz sieht vor, den Verbrauch von Öl und Gas ohne Verbote zu reduzieren – dafür mit Anreizen für klimafreundliche Heizungen und innovative Technologien. Es enthält Zwischenziele für die Verminderung des Treibhausgas-Ausstosses in den wichtigsten Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie.
Um das Zwei-Grad-Ziel mit einer 90-prozentigen Chance zu erreichen, muss laut Studie die Netto-Null spätestens 2050 erreicht werden, für eine Zwei-Drittel-Chance erst 2070.
Viele an der Studie nicht beteiligte Wissenschaftler:innen halten die Ergebnisse der Untersuchung für verlässlich, so auch Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg. Sie frage sich, was für Erkenntnisse die Wissenschaft eigentlich noch liefern müsse, damit die Politik sich wirklich anstrenge, sagte die Klimaforscherin.
Ilyina: «Wir müssen dringend mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen beginnen. Trotz der verbleibenden Unsicherheiten wissen wir genug, um zu handeln.»
David Zauner studierte Geografie und absolvierte eine Ausbildung an der Freien Journalistenschule. Als freier Journalist hat er für verschiedene Medien und Formate gearbeitet, unter anderem ARD-Kontraste, Süddeutsche Zeitung und taz. Klimaforschung, Klimabewegung und die Frage, wie eine klimagerechte Transformation aussehen kann, sind die Schwerpunkte seiner Arbeit.
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