Wie flexible Preismodelle das Stromsystem stärken könnten

Mit der Verbreitung von Photovoltaik, Wärmepumpen und Elektroautos wandelt sich unser Stromsystem stark. Flexiblere Preismodelle können dazu beitragen, Produktion und Verbrauch besser aufeinander abzustimmen und so einen teuren Netzausbau zu vermeiden.

9 Min.
Garage mit E-Auto an einer wandhängenden Ladestation, im Vordergrund ein Smartphone. Dessen Bildschirm zeigt eine Strompreiskurve für das vergangene Jahr, mit tiefen Preisen im Sommer und höheren im Winterhalbjahr.

Sie sind die Superstars im künftigen Schweizer Energiesystem: Elektromobilität, Wärmepumpen und Photovoltaik. Diese drei Schlüsselelemente der Energiewende ermöglichen es, die Wärmeversorgung und die Mobilität zu dekarbonisieren sowie den steigenden Elektrizitätsbedarf mit erneuerbarem Strom zu decken. Doch wie es ist mit Superstars – der Umgang mit ihnen kann mitunter schwierig sein. Eine grosse Herausforderung ist ihre Integration ins Stromsystem, denn dieses sieht sich dadurch mit völlig neuen Aufgaben konfrontiert.

Netzausbau oder Entlastung

Dezentrale Photovoltaikanlagen produzieren Solarstrom ziemlich unregelmässig, da der Ertrag stark von Jahreszeit, Tageszeit und Witterung abhängt. Durch die Marktdurchdringung von Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen wiederum müssen zwei neue Verbrauchertypen versorgt werden, die sehr viel Strom benötigen. Dies fordert vor allem die Verteilnetze, also die unteren Ebenen unseres Stromsystems. «Die grossen Kraftwerke, die unser Stromsystem klassischerweise versorgen, speisen die Elektrizität ins Übertragungsnetz ein», erklärt Kristin Brockhaus, Expertin für Energiewirtschaft und Regulierung beim Verband Schweizerischer Energieunternehmen (VSE). «Neue Photovoltaikanlagen auf Ein- und Mehrfamilienhäusern hingegen werden an die untersten Netzebenen angeschlossen.» Diese Verteilnetze sind vielerorts noch nicht darauf ausgelegt, so viel Strom ein- oder auszuspeisen. Da der Kapazitätsausbau – also das Installieren leistungsfähigerer Leitungen – sehr aufwendig und teuer ist, sind Alternativen gefragt.

Karte der Schweiz mit dem eingezeichneten Übertragungsnetz (380/220/150 kV und Schaltanlagen)
Grosse Wasserkraft- und Kernkraftwerke speisen den Strom ins Übertragungsnetz ein (rote und grüne Linien). Die dezentralen Photovoltaikanlagen hingegen sind an die weniger leistungsstarken Verteilnetze angebunden. (Grafik: Swissgrid)

Netzbetreiber sind gefordert

Photovoltaik, Elektromobilität und Wärmepumpen sind darüber hinaus eine Herausforderung für den Betrieb der Verteilnetze. Die Spannung in den Netzen muss jederzeit konstant sein, damit es keine Stromausfälle oder Störungen gibt. Die unregelmässige und daher schwer kalkulierbare Einspeisung von Solarstrom sei ein Paradigmenwechsel für die Betreiber, sagt Brockhaus. «Im Vergleich zu den bekannten und gut steuerbaren Wasserkraft- und Kernkraftwerken sind dezentrale PV-Anlagen ungleich schwieriger zu integrieren.» Entlasten könnte man die Netze vor allem, wenn der Solarstrom direkt vor Ort verbraucht wird, also gar nicht erst übertragen werden muss. Lassen sich dadurch die Ein- und Ausspeisespitzen geringhalten, muss das Netz, das immer die höchste zu erwartende Leistung abdeckt, weniger oder nicht ausgebaut werden.

Die Sonnenblume als Vorbild?

Gefragt sind daher Lösungen, die Ertrag und Verbrauch koordinieren. Bei der Photovoltaik fallen die höchsten Erträge jeweils tagsüber an – und natürlich eher im Sommer als im Winter. Optimal wäre es also, die stromintensivsten Prozesse an der Sonne auszurichten, wie es der Empa-Forscher Harald Desing in seiner Studie zur «Sonnenblumengesellschaft» beschrieben hat. Dafür braucht es flexible Verbraucher, die man dann betreiben kann, wenn viel Solarstrom anfällt. Dazu zählen teilweise Wärmepumpen, vor allem aber die Batterien von E-Autos und gewisse Verbraucher im Haushalt. In vielen Fällen lässt sich ihr Betrieb je nach Solarertrag zeitlich vorziehen oder verschieben, ohne dass dadurch der Komfort für die Nutzenden beeinträchtigt wird.

Ladestation in Carport neben einer weissen Limousine
Elektroautos sind oft über einen längeren Zeitraum parkiert, sodass sich das Aufladen problemlos zeitlich steuern lässt. (Foto: Shutterstock / Owlie Productions)

Technik und Regulatorien

Damit eine solche Koordination von Verbrauch und Ertrag funktioniert, müssen bestimmte technische und regulatorische Aspekte erfüllt sein. So ist eine Energiemanagement-Software nötig, welche die Verbraucher und Erzeuger automatisiert steuern und damit je nach Bedarf die lokale Netzeinspeisung respektive -ausspeisung erhöhen oder reduzieren kann. Die entsprechenden Systeme sind heute vorhanden und grundsätzlich bereit für die breite Markteinführung. Aus rechtlicher Sicht müssen Netzbetreiber und Stromlieferanten (siehe Ausklappelement) mit den Endverbrauchern aber auch entsprechende Verträge abschliessen dürfen. «Der im Herbst 2023 vom Parlament angenommene Mantelerlass sieht vor, die Nutzung intelligenter Steuer- und Regelsysteme durch den Verteilnetzbetreiber zu erleichtern», sagt Brockhaus.

Die Rollen im Schweizer Stromsystem

Es ist wichtig, die verschiedenen Rollen in unserem Stromversorgungssystem zu unterscheiden. Viele Akteure übernehmen mehrere Rollen, insbesondere die grossen Energieversorgungsunternehmen.

Neue Strompreismodelle

Um Bezugs- und Einspeisespitzen künftig durch den Einsatz von Software zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, müssen auch die Endverbraucher mitspielen. Doch unter welchen Voraussetzungen sind sie bereit, ihre Verbraucher automatisiert steuern zu lassen? In erster Linie dürften wohl finanzielle Anreize nötig sein, denn aus rein ideellen Gründen werden die wenigsten zustimmen, beispielsweise den Betrieb ihrer Waschmaschine an einen externen Akteur zu delegieren. Damit ist auch klar: Mit den heutigen fixen Strompreisen für Endverbraucher im gebundenen Markt wird das Konzept nur beschränkt funktionieren.

Liberalisieren oder nicht?

Grossverbraucher mit einem jährlichen Verbrauch über 100 MWh können seit 2009 von der regulierten Grundversorgung in den freien Markt wechseln. Rund zwei Drittel von ihnen haben diesen Schritt bisher vollzogen. Mit einem sogenannten Spotpreisvertrag, der die aktuellen Marktpreise an sie weitergibt, können sie den Verbrauch erhöhen, wenn der Strom billig ist, und ihn drosseln, wenn der Strom teuer ist. Wegen der preislichen Unsicherheiten haben allerdings nur wenige Unternehmen einen solchen Vertrag – die meisten lassen sich den Strom von einem Anbieter ihrer Wahl zu im Voraus vereinbarten Konditionen liefern.

Ob der Schweizer Strommarkt in Zukunft komplett liberalisiert wird, ist politisch umstritten.

Privathaushalte sowie Unternehmen, die jährlich weniger als 100 MWh Strom beziehen, haben diese Freiheit nicht. Sie befinden sich zwingend in der regulierten Grundversorgung und müssen sich vom lokalen Versorger mit Strom zu dessen Preisen beliefern lassen. Ob der Schweizer Strommarkt in Zukunft komplett liberalisiert wird, ist politisch stark umstritten und heute noch nicht geklärt. Klar ist, dass sich bei einer Liberalisierung der Wettbewerb unter den Stromversorgern vergrössern würde und diese kreativere, beispielsweise flexiblere Preismodelle anbieten müssten. In Deutschland, wo der Strommarkt komplett liberalisiert ist, bestehen bereits solche Angebote. «Es hat sich aber gezeigt, dass einige flexible Stromprodukte für die Endverbraucher zu kompliziert oder zu riskant waren und sich daher nicht durchsetzten», sagt Brockhaus.

Bäcker schiebt Wagen mit unzähligen Brötchen, weitere Wagen im Hintergrund
Verbraucher mit einem Strombedarf von mehr als 100 MWh wie etwa Grossbäckereien können schon heute in den freien Strommarkt wechseln. (Foto: Shutterstock / Evgeniy Salov)

Einheitstarif statt Hoch- und Niedertarif

In der Schweiz gibt es heute bei den Strompreisen noch kaum Gestaltungsspielraum für die Versorger. Der Energietarif als Strompreis-Komponente hängt hauptsächlich von den Beschaffungskosten des Stromlieferanten ab. Preisanreize an die Endverbraucher, die der Netzstabilität dienen, müssten über den Netznutzungstarif erfolgen. Diese Komponente des Strompreises umfasst die Aufwände für den Netzbetrieb sowie die Infrastruktur. Teilweise werden beide Tarife für bestimmte Verbraucher in einem Hochtarif (gilt tagsüber an Arbeitstagen) und einem Niedertarif (gilt nachts und am Wochenende) angeboten. Einige Stromlieferanten haben sich davon aber verabschiedet und bieten stattdessen einen Einheitstarif an mit dem Ziel, dass der tagsüber erzeugte Solarstrom auch tagsüber verbraucht wird.

Rabatte für externe Steuerung

Eine heute schon realisierbare Möglichkeit, den Endverbrauchern Preisanreize für netzdienliches Verhalten zu geben, sind Rabatte auf den Netznutzungstarif. Der Bündner Netzbetreiber Rhiienergie zum Beispiel gibt seinen Kunden in der Grundversorgung einen Rabatt, wenn sie ihre Wärmepumpe und ihren Warmwasserboiler durch Rhiienergie steuern lassen. «Unsere rund 9000 Kundinnen und Kunden sind zufrieden mit dieser Lösung», sagt Geschäftsleiter Christian Capaul. «Nur eine Handvoll hat die externe Steuerung abgelehnt.» Rhiienergie kann so die Netzstabilität einfacher sicherstellen, weil es bei Lastspitzen Grossverbraucher gezielt abschalten darf. Das Unternehmen könnte sich auch flexiblere Modelle vorstellen, aber dafür müsste der Regulator gemäss Capaul erst mehr Freiheiten schaffen.

Flexibilisierung erwünscht

Heute muss ein Netzbetreiber gemäss Stromversorgungsgesetz allen Endverbrauchern in seinem Versorgungsgebiet, die auf der gleichen Spannungsebene sind und zur gleichen Kundengruppe gehören, denselben Netznutzungstarif anbieten. Je nach Grösse des Netzes kann die Netzbelastung sehr unterschiedlich sein, zum Beispiel wenn es sowohl urbane wie ländliche Gemeinden umfasst. In solchen Fällen wäre die Möglichkeit einer lokalen Differenzierung vorteilhaft, um die unteren Netzebenen gezielt entlasten zu können. Technisch wäre das umsetzbar – es hängt vor allem vom Regulator ab, ob künftig mehr Flexibilität bei der Gestaltung des Netznutzungstarifs möglich ist. Wie solche flexiblen respektive dynamischen Tarifmodelle künftig aussehen könnten, wird in der Branche in verschiedenen Projekten untersucht. EKZ beispielsweise hat dazu das Projekt OrtsNetz lanciert.

Speicher werden attraktiver

Dezentrale Stromspeicher sind eine weitere Möglichkeit, Last- und Bezugsspitzen zu glätten und damit dem teuren Netzausbau entgegenzuwirken. «Die Speicher dienen als Puffer, um überschüssigen Strom aufzunehmen oder bei grossem Bedarf zusätzliche Energie zur Verfügung zu stellen», erklärt Brockhaus. Heute seien stationäre Stromspeicher oder auch bidirektional nutzbare Batterien von Elektroautos aber noch teuer und kaum wirtschaftlich. «Mit entsprechenden Entschädigungen für die netzdienliche Nutzung und bei tieferen Anschaffungskosten könnte sich das aber ändern.»

Drei Batterieschränke in unterschiedlichen Grössen
Stationäre Stromspeicher können wesentlich dazu beitragen, Last- und Bezugsspitzen zu glätten. (Fotos: Modual AG)

Entflechtung als Hürde

Etwas komplizierter ist die Ausgangslage für die Netzbetreiber: Bewirtschaften sie selbst dezentrale Speicher, dürfen sie diese ausschliesslich netzdienlich nutzen. Grund dafür sind die sogenannten Entflechtungsvorgaben, also die strikte Trennung der verschiedenen Rollen im Stromsystem. Obwohl die Netzbetreiber häufig auch Grundversorger sind, können sie die Speicher nicht gleichzeitig für das Energiegeschäft nutzen. Ausserdem bietet die heutige Regulierung für Stromlieferanten in der Grundversorgung keine wirtschaftlichen Anreize, Speicher zur Senkung der Stromkosten einzusetzen.

Unabhängige Betreiber

Eine Alternative könnten unabhängige Betreiber bieten, die Speicherkapazitäten sowohl Netzbetreibern wie auch Stromlieferanten zur Verfügung stellen und damit eine hohe Wirtschaftlichkeit erzielen können. «Es gibt bereits einige Start-ups, welche die Speicher mehrerer Endverbraucher bündeln und vermarkten», erklärt Brockhaus. «Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Geschäftsmodell künftig noch attraktiver wird.»

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  • Walti-René Diener

    Vor 10 Monaten

    Wieso ist praktisch mit den neuen Tariferhöhungen der NT-Tarif in der spitzenfreien Nachtstunden jetzt gleich teuer wie der Hochtarif ?

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    • Thomas Elmiger
      Thomas Elmiger

      Thomas Elmiger

      Vor 10 Monaten

      EKZ schreibt zu dieser häufig gestellten Frage: «Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Niedertarif entspricht nicht mehr dem heutigen Verbrauchsverhalten. Gegenwärtig ist die Netzbelastung während Niedertarif-Zeiten ähnlich hoch wie während Hochtarif-Zeiten. Um eine faire und verursachergerechte Verteilung der Netzkosten sicherzustellen, führt EKZ im Jahr 2024 einen Einheitstarif für alle Netznutzungsprodukte ein. Diese Massnahme sorgt dafür, dass sich der Unterschied zwischen Hoch- und Niedertarif bei den EKZ-Tarifen verringert.»

      Es ist eben nicht mehr so, dass es in der Nacht keine Spitzen gibt, im Gegenteil, der Niedertarif hat diese sogar gefördert. So steht im Kommentar von EKZ weiter: «Die Einführung des Einheitstarifs in der Netznutzung zielt darauf ab, Anreize zu vermeiden, bestimmte Geräte (wie Geschirrspüler, Waschmaschinen, das Aufladen von Elektroautos oder Nachtspeicherheizungen) genau zum Umschaltzeitpunkt von Hoch- auf Niedertarif zu starten. Dies trägt dazu bei, Spitzenbelastungen in der Netznutzung zu vermeiden und die Netzbelastung über den Tag hinweg auszugleichen. Dadurch wird die bestehende Infrastruktur optimal genutzt und das Ziel einer kosteneffizienten Netzinfrastruktur erreicht.»

      Antworten auf diese und weitere häufige Fragen zum Stromtarif von EKZ für Private sind hier zu finden: https://www.ekz.ch/de/privatkunden/strom/tarife/stromtarife.html