Die Art und Weise, wie wir Strom erzeugen und verbrauchen, ändert sich. Daraus ergeben sich neue Anforderungen ans Stromnetz. Eine wichtige Rolle spielen die Endkunden, die nicht mehr nur Elektrizität konsumieren, sondern auch selbst produzieren.
Nach wie vor stammen fast 60 % der in der Schweiz verbrauchten Energie aus fossilen Quellen (siehe Grafik). In den nächsten Jahren soll sich dieses Bild aber stark ändern: Um netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 zu erreichen, müssen wir die Energieversorgung dekarbonisieren. Als Ersatz steht Strom aus erneuerbaren Quellen im Vordergrund, insbesondere aus der Photovoltaik. Damit dies gelingt, ist ein massiver Zubau von Solaranlagen nötig. Im Gegensatz zu heute, wo einige wenige grosse Kraftwerke die Stromproduktion übernehmen, wird der Solarstrom künftig mehrheitlich dezentral von unzähligen kleinen Anlagen generiert.
Wärmepumpen und Elektroautos
Auf der Konsumseite führt die Dekarbonisierung zu einem ambivalenten Bild. Der Stromverbrauch wird steigen, weil in immer mehr Gebäuden Wärmepumpen heizen und das Warmwasser aufbereiten. Zudem ersetzen auf den Strassen Elektromotoren die Verbrenner. Der Gesamtenergieverbrauch hingegen wird sinken, weil elektrische Geräte im Vergleich zu ihren fossilen Vorgängern sehr effizient sind und deutlich weniger Energiezufuhr benötigen. Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge werden zu den grössten Verbrauchern in den Haushalten, was die erforderlichen Leistungen erhöht. Was bedeutet das konkret für unser Stromnetz? Inwiefern muss es angepasst respektive ausgebaut werden?
Verschiedene Lösungen für Netzausbau
«Grundsätzlich möchten Stromversorger einen kostspieligen Ausbau der Infrastruktur möglichst vermeiden», sagt Julian Wruk, Leiter Engineering im Bereich Netzdienstleistungen bei EKZ. «Digitale Lösungen werden entscheidend dazu beitragen, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.» Sie bieten den Stromversorgern neue Möglichkeiten, Produktions- und Lastspitzen im Netz vorherzusehen und zu glätten. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der gesetzlich vorgeschriebene Ersatz der konventionellen Stromzähler durch Smart Meter (siehe Aufklapp-Element).
Ein Smart Meter ist ein moderner Stromzähler, der die Verbrauchsdaten digital an den Stromnetzbetreiber übermittelt. Gleichzeitig kann er auch Daten empfangen, beispielsweise Tarifänderungen oder Updates. Die Übertragung erfolgt verschlüsselt und anonymisiert. Smart Meter sind eine wichtige Teiletappe für die Realisierung intelligenter Stromnetze (Smart Grids), weil die Netzbetreiber so jederzeit über aktuelle Informationen zum Verbrauch der Haushalte verfügen. In der Schweiz sollen bis 2027 mindestens 80 % der Stromzähler durch Smart Meter ersetzt werden.
Bessere Datengrundlage
Auf Basis von Smart-Meter-Daten und künstlicher Intelligenz lässt sich das Verbrauchsprofil der Kunden besser verstehen. «Traditionell werden Netze auf der Grundlage lange bewährter Grundsätze sowie für den schlimmsten anzunehmenden Fall geplant», erklärt Wruk. «So lassen sich die kommenden Herausforderungen beim Ausbau der Stromnetze jedoch kaum mehr bewältigen und bezahlen.» Stattdessen tragen digitale Lösungen wie Smart Meter dazu bei, dass die Betreiber mehr Informationen über ihr Netz zur Verfügung haben. Dies ermöglicht eine präzisere, wirtschaftlichere Planung: Man kann die Netze gezielt dort verstärken, wo es wirklich notwendig ist.
Flexible Preisgestaltung
Nebst digitalen Hilfsmitteln werden künftig flexiblere Preise eine wichtige Rolle spielen, um den Verbrauch zu steuern. Dies ist nötig, weil sich die Erträge aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind naturgemäss nicht regulieren lassen. Bekannt ist aber, wann welche Photovoltaikanlagen am meisten Ertrag generieren. Entsprechend muss das Ziel sein, während dieser Phasen möglichst viel Strom zu verbrauchen, denn dies ist einfacher und vor allem günstiger, als ihn zu speichern. Mithilfe flexibler Stromtarife können Stromversorger die entsprechenden Anreize für ihre Kunden setzen. Gerade beim Aufladen des Elektrofahrzeugs haben Konsumenten in der Regel einen gewissen zeitlichen Spielraum. Auch wer Geschirrspüler oder Waschmaschine heute zum günstigeren Nachttarif arbeiten lässt, kann dies künftig auf die Sonnenstunden verschieben.
Die Rolle der Konsumenten
Das Stromnetz der Zukunft wird zunehmend durch die Konsumenten gestaltet. Immer mehr von ihnen verbrauchen nicht nur Strom aus dem Netz, sondern generieren als Besitzer von Photovoltaikanlagen auch Elektrizität, die sie teils selbst verbrauchen und teils ins Netz einspeisen. Durch diese Doppelrolle als Produzent und Konsument werden sie zu sogenannten «Prosumern». «In der Summe ersetzen sie in Zukunft die grossen Kraftwerke, die das heutige Stromsystem prägen», sagt Wruk.
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unseren neuen Beiträgen – monatlich im Posteingang.
Mit der zunehmenden Bedeutung der Konsumenten für den Betrieb des Stromnetzes wächst auch ihr Einfluss. Je mehr elektrische Leistung ihre Anlage bereitstellt, desto grösser auch die Verantwortung. Im Netz müssen sich Stromangebot und -nachfrage jederzeit exakt die Waage halten, damit es stabil ist. Prosumer tragen zur Stabilität bei, indem sie dafür sorgen, dass ihre Anlage gut gewartet wird und stets betriebsbereit ist. Es lohnt sich für sie, einen möglichst grossen Teil ihres Stromverbrauchs mit selbst produziertem Strom zu decken. «Normale» Konsumenten unterstützen die Netzstabilität, wenn sie ihren Verbrauch der Erzeugung anpassen. Auch sie können zum Beispiel grosse Verbraucher im Haushalt dann laufen lassen, wenn viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht.
Sinngemäss gilt das natürlich ebenfalls für die Akteure der Wirtschaft. Grosse und kleine Firmen werden Anpassungsmöglichkeiten prüfen und umsetzen, was sich für sie lohnt.
Ohne Netzausbau geht es nicht
Digitale Lösungen und Preisanreize sind eine wichtige Alternative zum Ausbau der Netzinfrastruktur, in den EKZ heute jede Woche mehr als eine Million Franken investiert. Es werden dennoch weiterhin Investitionen in die Kapazität des Stromnetzes nötig sein, sagt Julian Wruk. «Es wird vor allem dort Anpassungen brauchen, wo der Strom künftig produziert wird: im lokalen und regionalen Verteilnetz.» Konkret dürften zunächst Transformatoren und Unterwerke vergrössert werden, später ist allenfalls auch ein Ausbau von Leitungen mit einem grösseren Querschnitt nötig. Tendenziell sind die Anpassungen gemäss Wruk dort nötig, wo viel produziert wird und die Netze schwach sind. Das ist beispielsweise im ländlichen Raum der Fall, wo viel Fläche für PV-Anlagen verfügbar ist und die Elektrizität zum Teil über Freileitungen transportiert wird. Die in urbanen Gebieten vorherrschenden Erdkabel dagegen stehen bei einem möglichen Ausbau zunächst weniger im Fokus.
Zuverlässigkeit als höchstes Gut
Das Schweizer Stromsystem der Zukunft wird deutlich dynamischer belastet werden, als es heute der Fall ist. Und: Es wird mehr Strom transportieren. Ansonsten wird es grundsätzlich genauso funktionieren wie heute, sagt EKZ-Experte Wruk. «Ein grosser Vorteil wird sein, dass die Stromversorger das Netz bis auf die unterste Ebene sehr gut kennen.» Das werde ihnen erlauben, aktiv einzugreifen, um beispielsweise die Lasten zu steuern. Das oberste Ziel bleibe dasselbe: Das Stromnetz muss zuverlässig sein – umso mehr, wenn mit den Wärmepumpen und der Elektromobilität weitere relevante Leistungen davon abhängen.
Kommentare: Was denken Sie?