Spätestens ab 2050 wird sich die Schweiz ohne Atomkraft und ohne fossile Energien mit Strom versorgen müssen. Das dürfte insbesondere im Winter nicht ganz einfach sein. Wir zeigen, was die Photovoltaik zur Energieversorgung in der kalten Jahreszeit beitragen kann.
Just als im Herbst der erste Morgenfrost zu beobachten war, meldeten sich in den Schweizer Medien wieder vermehrt Politikerinnen und Politiker zu Wort, um vor einer drohenden Winterstromlücke zu warnen. Der Hintergrund: Bis 2050 will der Bundesrat auf eine Energieversorgung ohne Kernkraft und ohne fossile Energieträger umstellen. Kompensiert werden soll dies durch den Zubau erneuerbarer Energien, insbesondere von Photovoltaik (PV). Dass sich damit an sonnenarmen Wintertagen die Versorgung gewährleisten lässt, scheint jedoch nicht gesichert. EnergieSchweiz hat daher untersuchen lassen, wie viel die Photovoltaik zur künftigen Winterstromversorgung beitragen kann.
Verschiedene Zubau-Szenarien
Die Anfang 2021 publizierte Studie «Winterstrom Schweiz: Was kann die heimische Photovoltaik beitragen?» geht davon aus, dass hierzulande künftig rund 30 TWh Photovoltaik-Strom pro Jahr produziert werden. Dies entspricht dem Zwölffachen der heutigen Produktion. Wie viel davon im Winter hergestellt werden kann, hängt vom Ausmass und von der Art des Photovoltaik-Zubaus ab. Im Rahmen der Studie prüften die Autoren drei verschiedene Szenarien:
Zubau wie bisher: Entwickelt sich der Zubau ähnlich wie bisher, entfallen in Zukunft rund 27 % des PV-Stroms auf das Winterhalbjahr. Bei 30 TWh Gesamtproduktion sind das etwa 8,1 TWh Winterstrom aus der Photovoltaik.
Maximaler Ausbau: Bei einer konsequenten Ausrichtung des Zubaus auf eine möglichst hohe Winterstromproduktion kann der Anteil des Winterstroms auf 35 % gesteigert werden. Bei einer Jahresproduktion von 30 TWh entspricht dies etwa 10,5 TWh.
Anreize: Durch gezielte Anreize zum Ausbau der Winterstrom-Photovoltaik lässt sich der Winterstromanteil inskünftig auf 30 % erhöhen, was eine Produktion von etwa 9 TWh bedeutet.
Maximalausbau nicht sinnvoll
Der Vergleich der drei Szenarien zeigt, dass sich selbst bei einem maximalen Ausbau (Szenario 2) der Anteil des Winterstroms im Vergleich mit Szenario 1 nur um 8 % steigern lässt. Zudem müsste bei diesem Szenario 25 % mehr Leistung installiert werden, um 30 TWh Jahresproduktion zu erreichen, weil die Ausrichtung auf den Winterstrom die Gesamtproduktion reduziert. Die Kosten für den Zubau wären 40 % höher als beim Basisszenario 1. Die Autoren der Studie erachten das Szenario 2 daher aus wirtschaftlicher Sicht nicht als sinnvoll.
Mittelweg dank Anreizen
Das dritte Szenario mit den Anreizen für den Winterstrom-Zubau – zum Beispiel in den Alpen (siehe Ausklapp-Element) – stellt einen Mittelweg dar. Zwar erhöht sich die Stromproduktion im Winterhalbjahr dadurch nur um knapp 1 TWh im Vergleich zum Szenario 1. Dafür lässt sie sich so aber in den drei besonders kritischen Monaten Dezember, Januar und Februar um mehr als 20 % steigern. Die Kosten für das Szenario 3 dürften gemäss der Studie etwa 6 % höher ausfallen als beim Basisszenario 1, weil winteroptimierte PV-Anlagen etwas teurer sind als herkömmliche Anlagen. Die Stromgestehungskosten lägen dadurch circa 0,4 Rappen pro Kilowattstunde höher. Aus Sicht einer möglichst hohen Schweizer Eigenstromversorgung im Winter scheint Szenario 3 mit den Anreizen für winterstromoptimierte Photovoltaikanlagen am vielversprechendsten zu sein.
Stark steigender Strombedarf im Winter
Was bedeuten die Resultate der Studie im Vergleich mit der mutmasslichen Winterstromlücke? Schon heute liegt der Schweizer Stromverbrauch im Winterhalbjahr bei über 30 TWh. Aufgrund der Elektrifizierung der Energieversorgung wird er weiter zunehmen. Gemäss einer Prognose der Empa (PDF) ist dafür insbesondere der Zubau an Wärmepumpen auf 75 % verantwortlich, der den Strombedarf im Winterhalbjahr um etwa 7,5 TWh erhöhen könnte. Auch die zunehmende Verbreitung von Elektrofahrzeugen steigert den Bedarf, in diesem Fall rechnet man mit knapp 2 TWh (siehe Grafik), wenn zwei Drittel aller Fahrten mit E-Autos zurückgelegt werden.
In Zukunft muss die Schweizer Stromversorgung also im Winterhalbjahr fast 10 TWh mehr liefern können. Gleichzeitig fällt der Strom aus der Kernkraft weg, die in diesem Zeitraum derzeit etwa 10 bis 12 TWh liefert. Dazu kommt, dass die Schweiz schon heute auf Stromimporte angewiesen ist. Von Oktober 2020 bis März 2021 betrug das Stromhandelsdefizit zum Beispiel rund 1,8 TWh. Künftig droht im Winterhalbjahr also eine Stromlücke von mehr als 20 TWh.
PV allein wird es nicht richten
Die Photovoltaik wird gemäss der EnergieSchweiz-Studie bei einem Zubau wie bisher in Zukunft 8 TWh Winterstrom liefern. Bei einem optimierten Zubau durch spezielle Anreize liegt noch 1 TWh mehr drin – aber auch 9 TWh PV-Strom werden bei Weitem nicht ausreichen, um die winterliche Versorgungslücke zu decken. Natürlich: Künftig ist jede Kilowattstunde Winterstrom wichtig, um unsere Energieversorgung zu unterstützen. Die Photovoltaik wird jedoch nicht die alleinige «Retterin in der Winterstromnot» sein – es wird weitere Massnahmen brauchen.
Wie und wo kann im Winter möglichst viel Solarstrom produziert werden? Vielversprechende Standorte bieten unsere Alpen, denn Photovoltaikanlagen in Höhenlagen produzieren in den Wintermonaten mehr Strom als Anlagen im Flachland. Das hängt damit zusammen, dass es an den alpinen Standorten weniger Nebeltage gibt, die Solarstrahlung hoch ist, der Schnee zusätzlich Strahlung reflektiert und die Umgebungstemperaturen tief sind. Mit einer Versuchsanlage oberhalb von Davos untersucht die «Forschungsgruppe Erneuerbare Energien» der ZHAW seit Ende 2017, wie im Alpenraum möglichst effizient Solarenergie gewonnen werden kann.
Verschiedene Neigungswinkel
Die Anlage beim Totalpsee auf rund 2500 Meter über Meer besteht aus sechs gegen Süden ausgerichteten Modulen, deren Neigung sich individuell anpassen lässt. Zwei Module sind bifazial, können also auf beiden Seiten Sonnenstrahlung aufnehmen und in Strom umwandeln. Mit den gemessenen Daten wollen die Forschenden herausfinden, welche Neigungswinkel im Hochgebirge am effizientesten sind und wie sich der Albedo-Effekt (Reflexion der Sonnenstrahlung) durch den Schnee auswirkt. Zudem sollen zuverlässige Aussagen zu den Erträgen von PV-Anlagen in den Alpen entwickelt werden – nicht zuletzt auch im Vergleich zu Anlagen im Flachland.
Erste Resultate
Die Messungen aus den Jahren 2018 bis 2020 zeigen, dass alle Solarmodule höhere Erträge liefern als erwartet. Durch den Einsatz von bifazialen Modulen und steilen Neigungswinkeln erreichten die Elemente zwischen 1636 und 1906 kWh/kWp. Das entspricht einem Mehrertrag von 70 bis 100 % im Vergleich mit durchschnittlichen PV-Modulen in der Schweiz. Als ertragsstärkstes Element auf der Totalp erwies sich das bifaziale Modul mit einer Neigung von 70 Grad. Es generierte im November, Dezember und Januar ähnlich viel Energie wie ein durchschnittliches Modul im Flachland während des Hochsommers. Die Versuchsanlage zeigt also, dass mit der richtigen Anordnung vor allem in jenen Wintermonaten ein hoher Solarertrag möglich ist, in denen die Schweiz besonders viel Strom benötigt.