Energetische Sanierung macht Energieschleuder zum Passivhaus
Ein Bürogebäude aus den 1960er-Jahren verbraucht nach der Sanierung nur noch 7 % seines ursprünglichen Energiebedarfs. Das Energiekonzept basiert auf der Nutzung der Gebäudemasse und auf möglichst wenig Haustechnik. Für diese herausragende Leistung erhielten die Bauherrschaft und der Ingenieur den Watt d’Or 2021.
Wie macht man aus einer Energieschleuder ein energetisches Vorzeigeobjekt? Die Antwort auf diese Frage wissen Ingenieur Beat Kegel von Kegel Klimasysteme in Zürich und Michael Mettler, Geschäftsführer der Mettiss AG in St. Gallen. Gemeinsam haben sie ein Bürohaus aus den 1960er-Jahren energetisch auf Vordermann getrimmt. Für die innovative Lösung und den Mut zu diesem nicht alltäglichen Weg haben sie den vom Bundesamt für Energie verliehenen Watt d’Or 2021 erhalten.
Klares Ziel: Energieverbrauch senken
2019 entschied sich die Eigentümerin Mettiss AG, das über 50-jährige fünfgeschossige Bürohaus an der Rosenbergstrasse in St. Gallen umfassend zu sanieren und energetisch auf den neuesten Stand zu bringen. Die Bausubstanz des in Betonskelettbauweise erstellten Gebäudes war zwar noch intakt, doch seit der letzten Sanierung waren 25 Jahre vergangen.
Da ohnehin ein Wechsel des Einzelmieters anstand, erwies sich der Zeitpunkt für die Modernisierung als ideal. Dass das Bürohaus heute ein energetisches Vorzeigeobjekt ist, hat mit der persönlichen Überzeugung der Eigentümerschaft zu tun. «Die Energiewende vollzieht sich nicht einfach so, man muss sie aktiv herbeiführen», hält Michael Mettler fest. Als Unternehmer trage man eine Verantwortung für kommende Generationen, findet Mettler. Aus diesen Gründen will er das Immobilienportfolio der Mettiss AG soweit technisch möglich auf netto null trimmen. Bereits wurden sämtliche Ölheizungen stillgelegt und an vier Standorten Photovoltaikanlagen installiert, eine davon auf dem Dach des Bürogebäudes an der Rosenbergstrasse.
Gegebenheiten des Ortes nutzen
«Es ist nicht einfach, gute und innovative Haustechnik-Planer zu finden», sagt Mettler. Die meisten Planer legten Anlagen zu gross aus und verbauten zu viel Technik, anstatt massvoll zu dimensionieren und bereits vorhandene Potenziale zu nutzen. Genau hier setzt Beat Kegels Lösung an. Eine fundierte Kenntnis der Physik sowie der Einbezug baulicher Gegebenheiten und der Bedürfnisse der Nutzenden bilden die Basis seines Konzepts. Das tönt aus technischer Sicht einfach, setzt aber eine intelligente Planung voraus – und nicht zuletzt kommunikative Fähigkeiten, um Bauherrschaften und Planende von der unkonventionellen Lösung zu überzeugen. Bei Michael Mettler rannte Kegel offene Türen ein. Mettler ist selber Architekt, hat langjährige Erfahrung mit nachhaltigem Bauen und 2000-Watt-Arealen und weiss daher, wovon er spricht.
Energieverbrauch um Faktor 13 gesenkt
«Als Beat Kegel erklärte, dass sich der Energieverbrauch um den Faktor 10 senken lasse, dachte ich zuerst, das sei ein bisschen hoch gegriffen», blickt Mettler zurück. Er vertraute jedoch dem erfahrenen Ingenieur – zu Recht: Wie Messungen nach der ersten Heizperiode zeigten, konnte der Energieverbrauch gar um den Faktor 13 gesenkt werden. Das Ziel der Eigentümerschaft war indes nicht allein, mit einem möglichst zurückhaltenden Einsatz von Technik eine möglichst grosse Effizienzsteigerung zu erreichen, sondern auch den Komfort für die eingemieteten Institute der Universität St. Gallen HSG deutlich zu erhöhen.
Um in sämtlichen Räumen angenehme klimatische Bedingungen zu erreichen, wird die hohe thermisch aktivierbare Gebäudemasse genutzt. Zwischen 70 und 80 % der Heiz- und Kühlleistung des Gebäudes übernehmen die massiven Decken und Wände des Gebäudes. Die Haustechnik muss lediglich den Rest leisten. Die Raumdecke speichert die Wärme über mehrere Stunden, was den Heizbedarf im Winter deutlich reduziert. Auch die Abwärme der IT kann (ohne Wärmepumpe) zur Raumheizung verwendet werden. Sie liefert konstant 3 kW und reduziert damit den Jahreswärmebedarf. Während Hitzeperioden in den Sommermonaten wiederum ist eine Nachtauskühlung der Gebäudemasse möglich. Diese erfolgt energie- und kostensparend über ein «Freecooling» ohne Kältemaschine und macht etwa 70 % der Kühlenergie aus.
Das Prinzip des Freecooling ist einfach, verursacht nur geringe Kosten und ist gleichzeitig äusserst energieeffizient. Im Bürogebäude Rosenberg wird die überschüssige Wärme tagsüber in der thermischen Masse des Gebäudes gespeichert. Während der Nachtstunden gelangt ein Teil der Wärme durch Transmission, das heisst über die Gebäudehülle, nach aussen. Der Rest wird aufgrund der etwa 10 °C tieferen Aussentemperatur über Freecooling ohne Kältemaschinenbetrieb abgekühlt. Dies geschieht über dieselben Klimageräte, die bereits zum Heizen verwendet werden. Das Kühlwasser wird dabei über einen Aussenluftkühler rückgekühlt.
Verbundlüftung sorgt für frische Luft
Für die frische Zuluft sorgt eine sogenannte Verbundlüftung in einer Kaskade, welche die Korridore und die innenliegenden Zonen zur Luftverteilung nutzt. Dabei werden die Türen zu Lüftungselementen, sodass die Luft zwischen Büros und Korridor zirkulieren kann. Der Vorteil dieses Systems ist, dass pro Geschoss lediglich zwei Ein- respektive Auslässe für die Luft nötig sind und es ohne Lüftungskanäle auskommt. Dadurch kann man auf eine abgehängte Decke verzichten, was Voraussetzung dafür ist, die Decke als Speichermasse zu aktivieren.
Luftmenge bedarfsgerecht reduziert
Wälzte das Lüftungsgerät vor dem Umbau 12’000 m3 Luft pro Stunde um, sind es heute noch 1500 m3 bis 3000 m3. Im Gegensatz zur bisherigen Lüftung, die täglich 24 Stunden in Betrieb war, ist das jetzige System mit einem Sensor ausgestattet, der die CO2-Konzentration in der Abluft misst und das Gerät bedarfsgerecht steuert. Ein weiterer Vorteil: Die Raumhöhen sind weder durch Doppeldecken noch durch Lüftungsinstallationen beeinträchtigt. Brüstungselemente, in denen Heizung, Kühlung, Stark- und Schwachstromverteilung sowie individuelle Raumtemperaturregelung bereits integriert sind, ermöglichten eine kurze Bauzeit. Dank CNC-Fabrikation konnten die Komponenten im Werk montagebereit gefertigt werden, was eine schnelle Verarbeitung auf der Baustelle erlaubte. Auf eine aufwendige und kostenintensive Dämmschicht an der Aussenfassade konnte ebenfalls verzichtet werden, da die Elemente über eine Innendämmung mit Zelluloseflocken verfügen.
Fenster, Storen und Temperaturen lassen sich durch die Nutzerinnen und Nutzer selber bedienen. Ein neues Gebäudeleitsystem regelt sämtliche haustechnischen Anlagen. Ihre Steuerung ist intuitiv und sowohl für die Betreiber wie auch für die Nutzenden äusserst einfach verständlich. An der Gebäudehülle wurden lediglich Fenster und Storen modernisiert.
Keine wesentlichen Mehrkosten
Dass die Sanierung des Bürogebäudes ohne wesentliche Mehrkosten im Vergleich zu einer konventionellen technischen Erneuerung mit Passivhaus-Standard erreicht wird, hat nicht allein mit der Low-Tech-Lösung zu tun, sondern auch mit der kurzen Bauzeit. Dank der Vorfertigung verschiedener Elemente erfolgten Montage und Installation innerhalb von lediglich zwei Monaten. So konnten die Mietverluste durch den Leerstand der Immobilie auf ein Minimum reduziert werden.
Michael Mettler und Beat Kegel sind überzeugt, dass sich mit dem in St. Gallen angewendeten Energiekonzept ein Grossteil der Bürogebäude in der Schweiz auf einen minimalen Energieverbrauch trimmen liesse.
Bürogebäude mit Watt d’Or 2021 ausgezeichnet
Nach der Sanierung zeigt sich der Gewerbebau von aussen zwar fast unverändert, in seinem Innern hat sich jedoch vieles zum Guten gewendet. Dank der durchdachten Kombination von Haustechnikelementen, dem Einbezug der thermischen Masse des Gebäudes und einer innovativen Steuerung verbraucht der Bau heute nur noch 7 % seiner ursprünglichen Energie. Damit liegt er deutlich unter dem Grenzwert für Passivhäuser. Die elfköpfige Jury des Watt d’Or würdigte diese herausragende Leistung und zeichnete sowohl die Bauherrschaft wie auch den Haustechnik-Ingenieur in der Kategorie «Gebäude und Raum» aus.
Michael Mettler und Beat Kegel sind überzeugt, dass sich mit dem in St. Gallen angewendeten Energiekonzept ein Grossteil der Bürogebäude in der Schweiz auf einen minimalen Energieverbrauch trimmen liesse. «Ich würde Beat Kegels System jederzeit wieder einsetzen», zieht Mettler nach der Sanierung Bilanz. Ganz neu ist das Konzept allerdings nicht. Beat Kegel hat den Businesspark der Swisscom in Ittigen nach einem ähnlichen Prinzip realisiert und 2016 dafür den Watt d’Or erhalten. Damit «Kegels Regel» auch andernorts Schule macht, hat die Mettiss AG einen Dokumentarfilm realisiert, der die Funktionsweise des Energiekonzepts einfach erklärt.
Am 7. Januar 2021 hat das Bundesamt für Energie zum vierzehnten Mal den renommierten Schweizer Energiepreis Watt d’Or verliehen. Sein Ziel ist es, aussergewöhnliche Leistungen im Energiebereich bekannt zu machen. Sie sollen Wirtschaft, Politik und die breite Öffentlichkeit motivieren, die Vorteile innovativer Energietechnologien für sich zu entdecken. 64 Bewerbungen wurden eingereicht, von denen 24 für die Endrunde nominiert wurden. Aus diesen hat die elfköpfige Jury die Siegerprojekte in den vier Watt d’Or-Kategorien gekürt.
Sandra Aeberhard, eidg. dipl. Journalistin SAL/Journalistin BR, ist Geschäftsleitungsmitglied und Inhaberin bei Faktor Journalisten in Zürich. Sie verfasst für die Energie-Experten Beiträge zu den Themen Bauen, Energie und Mobilität.
Sehr gut – aber 50 Jahre zu spät… denn selbst nach dem sog. Ölschock von 1973 dauerte es noch 30 Jahre bis endlich eine minimale Isolation der Gebäudehüllen / Fassaden vorgeschrieben wurden. Das betrifft eine ganze Generation von Bauten.
So hat z.B. die ETH-Hönggerberg, mit einem ehemaligen Stadtbaumeister (!), die energetisch laustigsten Fassaden bis 1973 verbaut. Auf den Vorschlag eines Physikprofessors (G.Busch) für gemauerte, isolierte Brüstungen, war die Antwort: «so billig kann die ETH nicht bauen».
Sie hat damit bis zum heutigen Tag Energie verbraten in einem unvorstellbaren Ausmass – in den 70er Jahren hatte ich im Büro/Labor Eiszapfen am Alurahmen…
Kommentare: Was denken Sie?
Rolf Raess
Vor 4 Jahren
Sehr gut – aber 50 Jahre zu spät… denn selbst nach dem sog. Ölschock von 1973 dauerte es noch 30 Jahre bis endlich eine minimale Isolation der Gebäudehüllen / Fassaden vorgeschrieben wurden. Das betrifft eine ganze Generation von Bauten.
So hat z.B. die ETH-Hönggerberg, mit einem ehemaligen Stadtbaumeister (!), die energetisch laustigsten Fassaden bis 1973 verbaut. Auf den Vorschlag eines Physikprofessors (G.Busch) für gemauerte, isolierte Brüstungen, war die Antwort: «so billig kann die ETH nicht bauen».
Sie hat damit bis zum heutigen Tag Energie verbraten in einem unvorstellbaren Ausmass – in den 70er Jahren hatte ich im Büro/Labor Eiszapfen am Alurahmen…