Wie Niedertemperatur­netze gegen Hitze helfen

Thermische Netze sollen künftig eine wichtige Rolle in der Schweizer Energieversorgung übernehmen. Angesichts der Klimaerwärmung besonders spannend sind Niedertemperaturnetze: Sie können zum Kühlen von Gebäuden beitragen.

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Aufgerissene Strassen sind in der Schweiz ein vertrautes Bild. Immer häufiger aber werden nicht nur die üblichen Wasser-, Abwasser-, Strom- oder Telekommunikationsleitungen im Untergrund eingesetzt, sondern auch Rohre, die mit einer Dämmung ummantelt sind. Ihr Einsatzzweck: der Transport von Wärmeenergie in einem sogenannten thermischen Netz. Diese Netze, die auch als Fern- respektive Nahwärmenetz bezeichnet werden, übernehmen vor allem in dicht bebauten Gebieten eine immer wichtigere Rolle bei der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung.

Potenzial für 20% der Wärmeenergie

Für die Energiestrategie 2050 sind thermische Netze ein wichtiger Pfeiler, weil sie verschiedene Energiequellen nutzen können und so breit einsetzbar sind. Mit den heute bestehenden schweizweit rund 1000 Netzen ist das Potenzial indes noch keineswegs ausgeschöpft.

Energiequellen für thermische Netze Anteil 2019
Abwärme aus Kehrichtverbrennung 36 %
Erneuerbare Energien (Umweltwärme, Biomasse) 27 %
Abwärme aus Kernkraftwerken u. a. 19 %
Erdgas 17 %
Geothermie 2 %
Quelle: Faktenblatt Thermische Netze, EnergieSchweiz, 2021

Im August 2022 unterzeichneten die damalige UVEK-Vorsteherin Simonetta Sommaruga sowie Vertreter der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK), des Schweizerischen Städteverbands (SSV) und des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV) eine Charta (PDF), um den Ausbau von thermischen Netzen zu fördern. Die Vereinbarung sieht vor, dass das Wärmeangebot von 6 TWh im Referenzjahr 2020 bis 2030 um 33 % erhöht und bis 2050 verdoppelt werden soll. Damit würden thermische Netze dannzumal fast 20 % des Schweizer Wärmeenergiebedarfs decken (heute ca. 6 bis 8 %).

Die Unterzeichnenden der Charta: Martin Flügel, Direktor des SSV, Mario Cavigelli, Präsident der EnDK, die damalige UVEK-Vorsteherin Simonetta Sommaruga und Hannes Germann, Präsident des SGV. (Foto: Bundesamt für Energie BFE)

Hochtemperaturnetz als Standard

In der Vergangenheit entstanden thermische Netze in der Schweiz häufig im Umfeld von Kehrichtverbrennungs- und Abwasserreinigungsanlagen (KVA/ARA), um die dort entstehende Abwärme sinnvoll zu nutzen. Auch Wärmepumpen, die Abwärme oder Umweltwärme nutzen, sowie Holzfeuerungen sind häufig genutzte Energiequellen für einen Wärmeverbund. Diese Verbunde sind mehrheitlich als Hochtemperaturnetze ausgelegt. Das bedeutet, dass ihr Warmleiter (die Leitung, welche die Fernwärme transportiert) eine Temperatur von mehr als 60 °C aufweist. Auf diesem Temperaturniveau können die angeschlossenen Gebäude ohne weiteren Temperaturhub versorgt werden, die Übertragung der thermischen Energie erfolgt über einen Wärmetauscher.

Niedertemperaturnetze: attraktive Alternative

Seit einigen Jahren werden hierzulande vermehrt Niedertemperaturnetze realisiert, die auch als «Anergienetz» bezeichnet werden. Sie versorgen die angeschlossenen Gebäude mit Energie auf einem tieferen Temperaturniveau, meist zwischen 10 und 25 °C. Für eine direkte Beheizung und Warmwasserversorgung ist das zu niedrig, darum ist bei diesem Konzept meist eine dezentrale Wärmepumpe nötig, um die Temperatur auf das geforderte Niveau anzuheben.

Flexibler und effizienter

Ein Niedertemperaturnetz bietet durch den dezentralen Ansatz deutlich mehr Flexibilität als ein Hochtemperaturnetz, bei dem alle Gebäude mit derselben Temperatur versorgt werden. Bei Letzterem gibt jeweils das energetisch schlechteste Gebäude die Vorlauftemperatur vor. Insbesondere in Gebieten mit verschiedenen Immobilientypen – Neu- und Altbauten, Wohn- und Büronutzung – ist das nicht optimal. Ein mit Bodenheizung ausgerüsteter Neubau kommt zum Beispiel mit einer tieferen Vorlauftemperatur aus als ein Altbau mit Radiatoren. Diesen unterschiedlichen Anforderungen wird ein Niedertemperaturnetz besser gerecht als ein Hochtemperaturnetz. Zudem sind die Energieverluste beim Transport in Niedertemperaturnetzen geringer, weil die Temperaturdifferenz zwischen der Umgebung und dem Trägermedium – dem Wasser in den Zuleitungen – kleiner ist.

Blick von der Quaibrücke auf die Zürcher Innenstadt mit der Limmat im Vordergrund
Innenstädte wie jene von Zürich sind dicht besiedelt und haben oft eine Mischung zwischen Alt- und Neubauten sowie Wohn- und Bürogebäuden. Sie sind damit prädestiniert für die Versorgung durch ein Niedertemperaturnetz. (Foto: Pixabay/Christel)

Abwärme aufnehmen

Niedertemperaturnetze bieten die Möglichkeit, Abwärme von angeschlossenen Verbrauchern aufzunehmen und weiterzugeben, beispielsweise von Industriebetrieben oder Rechenzentren. Die anfallende Abwärme wird so während der Heizperiode für andere Verbraucher wie Wohn- oder Bürogebäude nutzbar gemacht. Bei einem solchen Energiefluss in beide Richtungen spricht man von einer bidirektionalen Auslegung eines thermischen Netzes.

Free-Cooling

Niedertemperaturnetze bieten überdies einen immer wichtigeren Bonus: Sie können nicht nur für die Beheizung und Warmwasserbereitung sorgen, sondern auch für die Kühlung. Beträgt die Vorlauftemperatur des Netzes weniger als 20 °C, lassen sich Immobilien über das vorhandene Heizsystem ohne Einsatz einer Kältemaschine kühlen. Der Energiebedarf liegt bei dieser als «Free-Cooling» bezeichneten Variante deutlich tiefer, weil nur die Umwälzpumpe der Wärmepumpe Strom benötigt. Eine solche energiesparende Kühllösung ist deshalb so interessant, weil angesichts der Klimaerwärmung künftig immer mehr Gebäude im Sommer gekühlt werden müssen, um eine Überhitzung zu vermeiden. Im Fokus stehen dabei vor allem Gewerbe- und Bürobauten, aber auch in gewissen Bildungs- und Wohnbauten – beispielsweise in Altersheimen – wird eine Kühlfunktion nötig sein. Mit einem Free-Cooling durch ein Niedertemperaturnetz kann man den Klimakomfort sicherstellen, ohne dass ein hoher zusätzlicher Energiebedarf entsteht wie bei einer konventionellen Klimaanlage.

Energiequellen für Niedertemperaturnetze

In der Schweiz eignen sich hauptsächlich Grundwasser, Prozessabwärme, Erdwärme sowie Seewasser für die Versorgung eines Niedertemperaturnetzes. Seewasser wird seit einigen Jahren immer öfter als Energiequelle genutzt, weil die Ufer der Schweizer Seen oft dicht besiedelt sind und sich so viele Verbraucher auf kleinem Raum versorgen lassen. Erdwärme wird über Sonden erschlossen. Bis 200 Meter in den Boden reichen beispielsweise die 431 Sonden im Anergienetz des Campus Hönggerberg der ETH Zürich, das 2020 mit dem Watt d’Or ausgezeichnet wurde.

Häufig genutzt wird auch die Abwärme aus der Kühlung von Rechenzentren, von denen in der Schweiz immer mehr gebaut werden. Da die Server konstant Kühlung benötigen, ist diese Energiequelle sehr zuverlässig und eignet sich bestens für die Versorgung eines Niedertemperaturnetzes.

Blick in ein Rechenzentrum
Serverräume von grossen Rechenzentren müssen permanent gekühlt werden. Niedertemperaturnetze können die anfallende Abwärme für die Versorgung anderer Verbraucher im Netz nutzen. (Foto: Green)

Strommix für Wärmepumpen beeinflusst Klimaverträglichkeit

Weil Niedertemperaturnetze verschiedene erneuerbare Energiequellen nutzen können, sind sie grundsätzlich sehr umweltschonend. Ein klimaneutraler Betrieb ist aber nur dann möglich, wenn auch der Strom für den Betrieb der Wärmepumpen ausschliesslich erneuerbar produziert wird. Punkto Strombedarf schneiden die Wärmepumpen in einem Niedertemperaturnetz meist besser ab als in einem Hochtemperaturnetz. Das ist darauf zurückzuführen, dass beim Niedertemperaturnetz die Temperatur der Energiequellen zu sehr guten Leistungszahlen der Wärmepumpen führt.

Aus wirtschaftlicher Sicht rentieren Niedertemperaturnetze aber nur, wenn sie auch zum Kühlen genutzt werden. Für die Beheizung alleine sind Hochtemperaturnetze effizienter. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Niedertemperaturnetze ihr Potenzial vor allem dort ausspielen können, wo sich Immobilien mit Kühlbedarf ans Netz anschliessen lassen. Für die ausschliessliche Versorgung von Wohnbauten eigen sie sich also eher nicht – zumindest noch nicht. Je heisser die Sommer werden, desto mehr Kühlung braucht es künftig auch für diese Gebäude.

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  • Martin Fierz

    Vor 11 Monaten

    Am Schluss des Artikels wird gesagt, dass Hochtemperaturnetze für Heizung alleine wirtschaftlicher sind als die Niedertemperaturnetze. Können Sie dazu mehr sagen? Natürlich hat man im Niedertemperaturnetz höhere Anschaffungskosten für die dezentralen Wärmepumpen, dafür spart man dann im Betrieb viel Geld weil die Arbeitszahlen viel höher sind. Rechnet sich das wirklich nicht, wenn man den Zeithorizont etwas länger wählt? Solche Netze werden dann ja jahrzehntelang betrieben…!?

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    • Remo Bürgi
      Remo Bürgi

      Remo Bürgi

      Vor 11 Monaten

      Danke für diese Frage, ich habe dazu nochmals einen Fachexperten konsultiert. Ob ein Netz wirtschaftlich ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein zentraler Faktor für die Wirtschaftlichkeit sind die Kosten der Energiequelle. Ein Niedertemperaturnetz, das eine kostengünstige Abwärmequelle nutzt, kann in der Tat trotz höherer Anschaffungskosten über die Lebensdauer wirtschaftlicher sein. Dabei ist es wichtig, die Wärmegestehungskosten und nicht nur die Investitionskosten zu betrachten. Dies gilt insbesondere für die Nutzung von Holz und fossilen Energieträgern, deren Kosten zuletzt gestiegen sind. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Nachfrage nach Kälte wird in Zukunft deutlich steigen – das ist eine Tatsache. Hier bieten Niedertemperaturnetze (bzw. Anergienetze) einen klaren Vorteil.