Klimaanlagen: Kommen wir auch in Zukunft ohne sie aus?

Der Klimawandel führt zu immer heisseren Sommern und dadurch zu einem steigenden Kühlbedarf in den Gebäuden. Der Wärmebedarf dagegen sinkt, weil die Winter milder werden. Wir zeigen, welche Auswirkungen dies hat und wie man damit umgehen kann.

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Die Klimaerwärmung bewirkt viele unterschiedliche Veränderungen. In der Schweiz machen sich vor allem zwei davon stark bemerkbar: heissere Sommer und mildere Winter. Während wir in der Sommerzeit unter der Zunahme von Hitzetagen ächzen, denken wir in den kalten Monaten wehmütig an die Zeit zurück, als dank ausreichend Schneefall und anhaltend frostigen Temperaturen auch in tieferen Lagen noch Wintersport möglich war.

Der Heizwärmebedarf sinkt

Ebenfalls betroffen von den klimatischen Veränderungen ist der Gebäudepark. Ob zu Hause oder am Arbeitsplatz: Wir haben den Anspruch, dass die Raumtemperatur einen angenehmen Aufenthalt möglich macht. In der Schweiz bedeutet das, dass im Winter so geheizt wird, dass niemand frieren muss. Mit den wärmeren Temperaturen dürfte der Heizwärmebedarf künftig sinken. Im Sommer dagegen steigen vor allem während längerer Hitzeperioden die Innenraumtemperaturen und erreichen immer öfter Werte jenseits der Komfortgrenze. Daher müssen Immobilien zunehmend gekühlt werden. Da stellt sich angesichts des fortschreitenden Klimawandels die Frage: Verbrauchen wir in einigen Jahren mehr Energie fürs Kühlen als fürs Heizen?

Entwicklung des Kühlbedarfs in Wohnbauten

Igor Bosshard von der Ostschweizer Fachhochschule OST hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich die klimatischen Veränderungen auf den Wärme- und Kältebedarf des hiesigen Gebäudeparks auswirken. Dazu hat er verschiedene Studien verglichen und mit den Klimaszenarien CH2018 des National Centre for Climate Services (NCCS) in Kontext gesetzt (siehe Ausklapp-Element).

Die Resultate von Bosshards Untersuchungen zeigen, dass der Heizwärmebedarf von Wohnbauten in der Schweiz bis 2060 beim Klimaschutz-Szenario um 15 bis 30 Prozent sinkt. Beim Szenario ohne Klimaschutz könnte der Bedarf wegen der deutlich wärmeren Winter bis 2100 gar um 40 bis 50 Prozent tiefer liegen. Wir werden künftig also weniger heizen müssen – wie viel weniger, hängt vom Ausmass der Klimaerwärmung ab.

Kühlbedarf abhängig vom Klima-Szenario

Die Erwärmung führt nebst milderen Wintern auch zu heisseren Sommern mit mehr Hitzetagen und längeren Hitzeperioden. Wie wirkt sich das auf den Kühlbedarf in Wohngebäuden aus? Bosshard hat ihn dem Heizwärmebedarf gegenübergestellt. «Dabei zeigt sich, dass die fürs Kühlen benötigte Energie beim Szenario mit Klimaschutz nur geringfügig zunimmt», erklärt Bosshard. «Beim Szenario ohne Klimaschutz dagegen nimmt sie gemäss den Prognosen stark zu.» Doch selbst bei diesem Extremfall bleibe der Energiebedarf für das Heizen grösser als der für das Kühlen: Letzterer wird dem OST-Forscher zufolge rund 15 % des jährlichen Energieverbrauchs einer durchschnittlichen Wohnimmobilie betragen.

Balkendiagramm mit dem prognostizierten monatlichen Energieverbrauch für Heizen und Kühlen
Gemäss der Simulation eines Referenz-Mehrfamilienhauses nimmt der Kühlbedarf beim Szenario ohne Klimaschutz (extremes Szenario, dunkelblau) bis 2050 im Sommer stark zu. Er bleibt in der Jahresbetrachtung aber deutlich tiefer als der Heizenergiebedarf. (Grafik: Igor Bosshard, OST Ostschweizer Fachhochschule)

Schwer einschätzbar: das Nutzerverhalten

Bereits heute ist der Energieverbrauch von Gebäuden stark vom Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer abhängig. Lässt man beispielsweise während der Heizperiode die Fenster den ganzen Tag gekippt, steigert dies den Heizbedarf deutlich. Auch im Sommer sind die Einflussmöglichkeiten gross – in positiver wie in negativer Hinsicht. Wer etwa die Storen tagsüber schliesst, vermeidet direkten Sonneneinfall über die Fenster und verhindert ein starkes Aufheizen der Innenräume. Entsprechend liegt auch der Kühlbedarf wesentlich niedriger. «Ob und wie wir in Zukunft solche Massnahmen umsetzen oder nicht umsetzen, wird den Energieverbrauch für das Kühlen stark beeinflussen. Die Prognosen sind daher mit Unsicherheiten behaftet», gibt Bosshard zu bedenken.

Entwicklung des Kühlbedarfs in Bürobauten

Während in Wohnimmobilien der Energieverbrauch für das Kühlen heute vernachlässigbar ist und künftig nur beim Szenario ohne Klimaschutz stark ansteigen wird, präsentiert sich bei Gewerbeimmobilien eine ganz andere Ausgangslage.

Ungünstige Konstruktionen

Viele Bürobauten müssen bereits heute im Sommer gekühlt werden, um den Klimakomfort sicherzustellen. Das liegt einerseits daran, dass die internen Lasten im Vergleich mit Wohnbauten höher sind: Mehr Menschen und mehr Computer verursachen mehr Abwärme. Andererseits hat die Konstruktionsweise einen entscheidenden Einfluss. Die meisten modernen Bürogebäude haben grosszügige Fensterflächen, die viel Tageslicht ins Innere lassen. Dies erschwert aber im Sommer den Wärmeschutz, weil alle Fenster verschattet werden müssen. Die Verglasungen führen deshalb oft dazu, dass sich die Bauten an heissen Sommertagen besonders stark aufheizen.

Blauer Himmel spiegelt sich grünlich in einer Glasfassade
Verglaste Bürogebäude wie der Zürcher Prime Tower müssen im Sommer oft gekühlt werden, damit die Innenräume nicht überhitzen. (Foto: Thomas Elmiger)

Kältebedarf grösser als Wärmebedarf

Durch die hohen internen Lasten und den Wärmeeintrag über die Fenster gibt es gemäss Bosshard schon jetzt Bürogebäude, deren Energieverbrauch fürs Kühlen gleich hoch ist wie fürs Heizen. Angesichts der heisser werdenden Sommer ist klar, dass der Kühlbedarf weiter zunehmen und den Heizbedarf übertreffen wird. «Im Extremfall könnten gewisse Bürobauten beim Szenario ohne Klimaschutz bis 2100 sogar zehnmal mehr Kühl- als Heizenergie benötigen», sagt Bosshard. «Das würde die Betriebskosten stark erhöhen und wäre eine grosse Belastung für das Energiesystem.» Zwar dürften die Verbrauchsspitzen – Mittag und Nachmittag an sonnigen Sommertagen – mit den Produktionsspitzen der Photovoltaik zusammenfallen, die in Zukunft einen Grossteil der erneuerbaren Energie generieren soll. Der Solarstrom soll aber gleichzeitig für die Elektromobilität und andere Verbraucher zur Verfügung stehen sowie auch für Power-to-X-Konzepte, die den Überschussstrom in den Winter transferieren können. Die Effizienz der Gebäude im Sommer darf also nicht vernachlässigt werden, nur weil viel Solarstrom vorhanden ist.

Alternativen zur Klimaanlage

Was tun, damit künftig nicht alle Bürogebäude und allenfalls auch Wohnbauten mit Klimaanlagen ausgerüstet werden müssen, um eine Überhitzung zu vermeiden? Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Aspekte, die Bauherrschaften, Architektinnen und Planer berücksichtigen sollten.

Klimagerecht bauen

Wer einen Neubau oder eine Sanierung plant, sollte darauf achten, dass das Gebäude auch im Klima der Zukunft funktioniert – ohne exorbitanten Kühlenergiebedarf wohlgemerkt. Zentrale Ansätze dafür sind laut Igor Bosshard ein moderater Glasanteil, eine gute Beschattung und eine hohe Dämmqualität der Gebäudehülle, aber auch die Geometrie des Baukörpers sowie die thermische Speichermasse des Baus. Nicht zuletzt kann auch die Begrünung von Fassaden und Dächern sowie der Umgebung dazu beitragen, die Hitzebelastung im Gebäude zu reduzieren.

Hochhaus mit viel Grün auf Balkonen
Die Begrünung von Fassaden oder Dächern kann dazu beitragen, den Kühlbedarf von Immobilien zu reduzieren. (Foto: Thomas Elmiger)

Nachtauskühlung gegen Erhitzung

Bei einer länger andauernden Hitzeperiode werden selbst gut geplante Gewerbe- und möglicherweise auch Wohnbauten irgendwann Kühlung brauchen, damit die Innentemperaturen erträglich bleiben. Das lässt sich grundsätzlich mit Klimaanlagen bewerkstelligen, aber diese verschlingen viel Energie, die wir für andere Zwecke benötigen. Gefragt sind Alternativen mit geringem oder gar keinem Energiebedarf. Die einfachste Variante ist die Nachtauskühlung, bei der man nachts kühle Aussenluft ins Gebäude leitet, welche die tagsüber aufgenommene Wärme aus den Räumen entfernt und so für Abkühlung sorgt. Das ist entweder über geöffnete Fenster oder eine mechanische Lüftung möglich. «Diese Methode funktioniert aber nur, wenn die Temperaturen in der Nacht deutlich sinken», schränkt Bosshard ein. «In Tropennächten, wenn das Thermometer nicht unter 20 °C fällt, bleibt eine Nachtauskühlung weitgehend wirkungslos.»

Freecooling: geringer Energiebedarf

Eine weitere Möglichkeit ist das sogenannte Freecooling. Dabei lässt man kühles Wasser durch die Leitungen zirkulieren, die im Winter zum Beheizen des Gebäudes genutzt werden. Dadurch wird den Räumen Wärme entzogen und die Temperatur um 2 bis 4 °C abgesenkt. Als Kältequelle kommen Geothermie (über Erdsonden), Grundwasser sowie See- oder Flusswasser infrage. Auch Niedertemperaturnetze können die benötigte Kühlenergie bereitstellen. Energie benötigt beim Freecooling eigentlich nur die Umwälzpumpe der Wärmepumpe, die das Kühlwasser durch die Leitungen bewegt. Die Methode verursacht daher nur einen geringen Stromverbrauch.

Klimaanlage als letzte Option

Bei Bauten, die sich im Sommer stark erhitzen und mit anderen Massnahmen nicht ausreichend gekühlt werden können, bleibt der Einbau einer Klimaanlage als letzte Möglichkeit. Sinnvollerweise kombiniert man diese mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach oder an den Fassaden, um den hohen Energiebedarf möglichst mit eigenem Solarstrom decken zu können. Am besten aber sorgen Eigentümerschaften und Baufachleute schon in der Planung dafür, dass das Gebäude später mit möglichst wenig Kühlung auskommt.