Bessere Dämmung spart oft weniger Heizenergie als erwartet

Je besser Gebäude isoliert sind, desto mehr Energie sparen wir. Oder? Ganz so einfach geht die Rechnung nicht auf. Die moderne berücksichtigt einen wesentlichen Faktor häufig zu wenig: den Menschen und seine Bedürfnisse nach Wärme und frischer Luft. Denn diese fallen je nach Situation unterschiedlich aus. Und das hat Folgen.

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Mehrfamilienhaus

Niemand will zurück zu klammen und zugigen Wohnungen, in denen die Wärme an allen Enden entwischt. Doch die immer bessere Isolierung von Wänden und Fenstern sorgt nicht zwangsläufig für ebenso grosse Energieersparnis. Denn moderne Gebäudetechnologien berücksichtigen häufig zu wenig, was die Bewohnerinnen und Bewohner tatsächlich brauchen, um sich zu Hause wohl zu fühlen. In gut isolierten Wohnungen ist es nicht nur häufig gefühlt zu warm, sondern die Luft ist auch zu trocken und der Kohlendioxidgehalt zu hoch. Die Folge: Was wir an Heizenergie sparen könnten, fliegt manchmal im wahrsten Sinne des Wortes wieder zum Fenster hinaus.

Wir brauchen nicht immer gleich viel Wärme

Wie heizen und lüften Menschen also in gut isolierten Gebäuden? Wo stehen diese Verhaltensweisen im Konflikt mit den Bedingungen in ihrer Wohnung? Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? Diesen Fragen wollten die Wissenschaftler Amelie Bauer, Simon Möller, Bernhard Gill und Franz Schröder auf den Grund gehen. Sie haben dazu Bewohnerinnen und Bewohner verschiedener energieeffizienter Mehrfamilienhäuser in München befragt.

Die untersuchten Gebäude waren alle im Einklang mit der deutschen Energiesparverordnung entworfen worden, wie die Autoren in ihrer Studie in der Fachzeitschrift Energy Research & Social Science schreiben. Die Verordnung sieht vor, dass Energieverluste beim Heizen in erster Linie durch eine bessere Wärmedämmung von Wänden und Fenstern, aber etwa auch durch eine vorteilhafte Fassadengestaltung reduziert werden. So weisen die Wohnblocks in der Studie zum Beispiel gegen Süden hin grosse Fensterfronten auf, während auf der Nordseite kleine Fenster sind. Die Verordnung hält als Ziel fest, mit möglichst wenig Heizenergie eine konstante Raumtemperatur von 19 Grad zu erreichen.

Solche Bedingungen haben jedoch wenig mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Mieterinnen und Mieter zu tun, glauben die Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität beziehungsweise der Metrona Union GmbH in München. Im Gegenteil: In ihren Gesprächen machten die Autoren ein sehr breites Spektrum an Temperaturen aus, das je nach Tageszeit, Aktivität oder Ort als angenehm empfunden wird: Fühlen sich manche der Befragten auch noch wohl, wenn an einem sonnigen Wintertag eine Zimmertemperatur von 27 Grad gemessen wird, ist anderen selbst die Basistemperatur von 19 Grad zu warm. Lüften einige nur alle paar Tage einmal die Wohnung durch, lassen andere die Fenster manchmal stundenlang offen oder gekippt. Viele Bewohner mögen es in der Stube warm, aber im Schlafzimmer eher kühl. Ob man zu Hause ins Schwitzen gerät oder es einem fröstelt, hängt zudem davon ab, was man dort macht: Verbringt man den Nachmittag mit einem Buch auf dem Sofa, scheuert man den Badezimmerboden oder holt gerade zwei Dutzend frisch gebackene Cupcakes aus dem Ofen?

Fenster sind zu häufig und zu lange geöffnet

Energieeffiziente Gebäudetechnologie, so wie sie heute praktiziert wird, und individuelle Temperaturbedürfnisse gehen für die Forscher deshalb aus zwei Hauptgründen nicht gut zusammen:

  1. Gut isolierte Gebäude sorgen für konstante, eher hohe Temperaturen. Der Mensch mag es aber nicht unbedingt zu jeder Tageszeit und in jeder Situation gleich warm, sondern braucht auch immer wieder Kontraste. Hinzu kommt laut den Wissenschaftlern, dass die gemessene Basistemperatur häufig deutlich höher ist als die angestrebten 19 Grad.
  2. Zwar wird es in energieeffizienten Wohnungen rasch warm, absenken lässt sich die Temperatur aber nur langsam. Bewohner wollen die Raumtemperatur jedoch rasch und unkompliziert regeln und eine Veränderung unmittelbar spüren.

Beides trägt laut den Wissenschaftlern dazu bei, dass die Fenster selbst im tiefsten Winter häufig geöffnet werden und manchmal lange Zeit offen bleiben. Gekippte Fenster gehen zum Teil sogar tagelang vergessen, da die Luftzufuhr oft nicht bewusst wahrgenommen wird, wie die Forscher beobachteten. Häufiges und ausgedehntes Lüften bewirkt nicht nur Energieverluste, weil die erzeugte Wärme zum Fenster hinaus weht. Es beeinflusst auch die Temperaturregelung in den anderen Räumen oder gar in den angrenzenden Wohnungen.

Häufiges und ausgedehntes Lüften bewirkt nicht nur Energieverluste, weil die erzeugte Wärme zum Fenster hinaus weht. Es beeinflusst auch die Temperaturregelung in den anderen Räumen oder gar in den angrenzenden Wohnungen.

Für gemütliche Stunden auf dem Sofa muss nicht immer die Heizung hochgedreht werden – manchmal reichen auch eine Wolldecke und ein Heissgetränk. (Foto: Isabelle Taylor/Pexels)

Wolldecke und Bettflasche halten die Füsse auch warm

Die Autoren plädieren deshalb unter anderem für eine geringere Grundtemperatur in den Gebäuden. Die Raumtemperatur könnte so lokal und mit geringem Energieaufwand den individuellen Bedürfnissen entsprechend nach oben oder unten reguliert werden: im Sommer etwa mit Storen, die Schatten spenden; im Winter mit Infrarotheizkörpern oder auch der guten alten Wolldecke, einer Bettflasche oder einer Tasse Tee. Mit weniger rigorosen Isolationsstandards würde die Grundtemperatur zudem automatisch sinken; dafür sprächen auch finanzielle Gründe, wie die Wissenschaftler schreiben. Müsste man für die Sanierung weniger hohe Summen aufwenden, würden wohl insgesamt mehr Gebäude renoviert und Mieterhöhungen fielen in der Folge ebenfalls weniger drastisch aus. Denn die Rechnung, dass mit immer mehr Wärmedämmung immer mehr Energie gespart wird, gehe auch deshalb nicht auf, weil die sogenannte graue Energie nicht vergessen werden dürfe: der Aufwand also für Herstellung, Einsatz und Entsorgung des Isolationsmaterials. Die Wissenschaftler kritisieren zudem, dass Gebäude heute zu sehr mit Fokus auf die Wintermonate entworfen würden. So haben grosse Fensterfronten an den Südfassaden etwa zur Folge, dass es im Sommer rasch zu heiss wird.

Für das Wohlbefinden ist nicht nur die Temperatur entscheidend

Der Kritik, dass die moderne Gebäudetechnologie den Bedürfnissen von Bewohnern häufig nicht gerecht wird, schliesst sich auch Dietmar Eberle an, Architekt und Professor an der ETH Zürich. Die Temperaturverhältnisse isoliert als Erklärung für dieses Missverhältnis heranzuziehen, hält er jedoch für verfehlt. «Die Temperatur muss immer in Beziehung zu Luftfeuchtigkeit und CO2-Gehalt untersucht werden, um Schlüsse auf das Wohlbefinden des Menschen ziehen zu können.» Denn: Selbst wenn wir überzeugt sind, das Fenster der Hitze wegen geöffnet zu haben – die eigentliche Ursache ist häufig eine zu hohe Kohlendioxidkonzentration. Wir brauchen also nicht unbedingt kühlere Räume, sondern meistens einfach mehr frische Luft. Gerade in modernen Gebäuden mit Lüftungsanlagen steigt der CO2-Gehalt schnell an, ebenso ist die Luft zu trocken. Da wir solche Veränderungen aber in der Regel erst spät wahrnehmen, auf Temperaturschwankungen hingegen rasch reagieren, führen wir unser Unwohlsein häufig fälschlicherweise auf letztere zurück.