Künstliche Intelligenz hilft beim Energiesparen

Dank künstlicher Intelligenz optimiert sich Gebäudetechnik eigenständig. Eine selbstlernende Heizungsregelung zum Beispiel verbessert die Energieeffizienz und gleichzeitig den Komfort. Das funktioniert auch in unsanierten Altbauten.

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Junge Frau im Schneidersitz vor Radiator schaut auf ihr Smartphone

Wie Energiesparen geht, wissen wir alle. Aber gerade vermeintlich einfache Massnahmen lassen sich oft doch nicht so leicht umsetzen wie gedacht, vor allem nicht dauerhaft. Nur so viel zu heizen wie nötig ist so ein Beispiel. Wer lediglich die Temperatur reduziert, riskiert Komforteinbussen. Und wer möchte sich schon zumuten, täglich aufgrund der Wetterprognose die Einstellung aller Heizkörper von Hand anzupassen?

Energieeffizient heizen mit KI

Wird in Kürze die Sonne hervorkommen und den Raum aufheizen? Dann sollte ich die Heizung nicht anstellen oder hochdrehen, denn sonst überhitzt der Raum. Aber dazu muss ich im Voraus wissen, wann die Sonne durchs Fenster hereinscheint und ob die Wolken sich bald verziehen. Und dann muss ich immer noch entsprechend handeln.

Intelligente Gebäudetechnik?

Technik kann uns bei vielem helfen. Wir können damit die Heizung und andere Gebäudetechnik programmieren und Funktionen automatisieren. Bisher mussten wir der Technik aber immer noch sagen, was sie machen soll, ihr Zeitpläne oder Regeln vorgeben. Im Fall der Heizung definieren wir Sollwerte, beispielsweise für die Raumtemperatur. Steigt diese über den Sollwert, reduziert die Heizung ihre Leistung.

Hebel für die Temperaturregulierung der Heizung in einem alten Personenzug
Die Temperaturregulierung mittels Hebel ist selbsterklärend. Heutige Heizungsregelungen für Gebäude erlauben differenziertere Einstellungen für Solltemperaturen und Heizzeiten. (Foto: Pixabay / Daniel Kirsch)

Nutzt man smarte statt herkömmliche Heizungsthermostaten, steigert das den Komfort und gleichzeitig sinkt der Energieverbrauch. Viele smarte Thermostaten erkennen etwa, wenn gelüftet wird und reagieren augenblicklich darauf, damit nicht zum Fenster hinausgeheizt wird. Bis zu 10 % Heizkosten lassen sich mit smarten Thermostaten sparen.

Von smart zu lernfähig

Man kann aber noch weiter gehen und künstliche Intelligenz (KI) die Gebäudetechnik regeln lassen. Das Versprechen: Heizen – um bei diesem Beispiel zu bleiben – wird noch komfortabler und gleichzeitig energieeffizienter als mit Gebäudeautomation oder im Smart Home.

Gebäudetechnik ist dank KI nicht nur «smart», sondern auch lernfähig. Anders als herkömmliche regelbasierte Regelungen arbeiten KI-basierte Regelungen keine vorgegebenen Wenn-dann-Funktionen ab, um die Sollwerte zu erreichen. Nur das Ziel wird der KI vorgegeben, nicht der Weg dorthin. Selbstlernende Gebäudetechniksysteme ermitteln eigenständig die aktuell optimale Betriebsweise und reagieren auf Veränderungen, etwa beim Nutzerverhalten oder einem Wetterumschwung.

Lernen aus Daten

Damit Gebäudetechnik selbstständig lernt, braucht es einen geeigneten Algorithmus sowie die für die jeweilige Aufgabe relevanten Daten. Beim Beispiel der Heizung sind das neben der eingestellten Solltemperatur und den Aussen- und Raumtemperaturen auch Daten zum Gebäude, zum Wetter sowie zu Raumbelegung und Nutzerverhalten.

Eine älterer Mann mit Smartphone sitzt auf der Couch vor einem Heizkörper unter einem Fenster
Auch wenn künstliche Intelligenz die Heizung regelt, können Nutzerzinnen und Nutzer die Einstellungen via Thermostat oder App ändern. (Foto: Shutterstock / Jelena Stanojkovic)

Vorausschauende Heizungsregelung

Einen solchen selbstlernenden Algorithmus für die Heizungsregelung haben Felix Bünning und Benjamin Huber am Urban Energy Systems Lab der Empa entwickelt. Inzwischen haben sie gemeinsam mit einem weiteren Empa-Forscher das Spin-off viboo gegründet, das eine prädikative, also eine vorausschauende Heizungsregelung als Cloudlösung anbietet.

Das Besondere an der viboo-Regelung ist, dass sie in die Zukunft blicken kann. Der Algorithmus bezieht aktuelle Wetterdaten und -prognosen aus dem Internet, er kennt den aktuellen Sonnenstand und die zu erwartende Sonneneinstrahlung durch die Fenster in den Raum sowie allenfalls auch die Raumbelegungen. Ausserdem weiss er, wie sich das Gebäude thermisch verhält. So kann der Algorithmus die Entwicklung der Raumtemperatur für mehrere Stunden vorhersagen und die Heizung entsprechend vorausschauend regeln.

Energie sparen dank Blick in die Zukunft

Prädikative Regelungen sind einerseits sehr komfortabel, weil im Raum stets angenehme Temperaturen herrschen, ohne dass die anwesenden Personen eingreifen müssen. Scheint beispielsweise die Sonne ab einer bestimmten Tageszeit durch die Fenster und erwärmt den Raum, weiss der Algorithmus das im Voraus und regelt die Heizung so, dass der Raum nicht überhitzt. Anderseits sparen vorausschauende Regelungen Energie, weil sie die Räume auf die effizienteste Weise heizen, und nicht auf die schnellste.

Ohne Lernen keine Intelligenz

Seine «Fähigkeiten» erlangt der Algorithmus durch maschinelles Lernen: Er erkennt Muster in Datensätzen und entwickelt durch wiederholtes Ausprobieren eigenständig die beste Lösung für die ihm gestellte Aufgabe, die er dann auch auf neue Datensätze anpassen kann.

Zudem haben die Entwickler grundlegende physikalische Gesetzmässigkeiten in den Algorithmus implementiert. Er kennt von Beginn an wichtige thermische Prinzipien, die für jedes Gebäude gelten, unabhängig von Ort und Typ. Dadurch benötigt der viboo-Algorithmus zum Lernen weniger Daten und weniger Zeit als andere Regelalgorithmen.

Im folgenden Video erklärt Empa-Forscher und viboo-Mitentwickler Benjamin Huber die prädikative Heizungsregelung.

Zwei Wochen KI-Training

Anhand der Ventilstellung des Heizkörpers und der Raumtemperatur berechnet der Algorithmus ein Modell des Gebäudes. Nach spätestens zwei Wochen Training weiss er, wie das Gebäude auf Temperaturänderungen reagiert, und kann die Heizungsregelung optimieren.

Berechnen Menschen solch ein Gebäudemodell und programmieren anschliessend eine massgeschneiderte Heizungsregelung, ist das sehr aufwendig und dementsprechend teuer. Und bei Veränderungen der Bedingungen müsste die Regelung von Hand umprogrammiert werden. Computer finden auch oft präzisere Lösungen – sofern sie die dafür nötigen Daten und Algorithmen nutzen können.

Cloud-Lösung

Damit ein Algorithmus die Raumtemperatur regeln kann, müssen die Heizkörper respektive die Bodenheizung mit handelsüblichen smarten Thermostaten ausgerüstet werden, die eine Cloud-to-cloud-Verbindung ermöglichen. Einige Hersteller von smarten Thermostaten arbeiten bereits mit viboo zusammen, weitere sollen folgen. «Wir glauben fest an eine Hardware-unabhängige (agnostische) Lösung, die möglichst viele Leute nutzen können», sagt Felix Bünning, Mitgründer und CEO von viboo.

Sensoren messen die Raumtemperatur

Smarte Thermostaten verfügen über alle erforderlichen Sensoren. Aber besonders, wenn Möbel oder Vorhänge die Thermostaten verdecken, empfehlen die viboo-Köpfe zusätzliche Raumsensoren. Die Messdaten und damit auch die Regelung sind dann genauer.

Die smarten Thermostaten senden die Messwerte an die viboo-Cloud, in der auch der Regelalgorithmus läuft. Die Nutzerdaten werden verschlüsselt und anonymisiert in einer Schweizer Cloud gespeichert. Auf Wunsch kann man sie jederzeit wieder löschen lassen.

Der selbstlernende Algorithmus in der viboo-Cloud kommuniziert mit den smarten Thermostaten im Gebäude. (Grafik: Screenshot viboo)

CO2 sparen in unsanierten Altbauten

Einen Thermostat auszutauschen dauert nur wenige Minuten. Inklusive Einbau kostet ein Smart-Thermostat um die 100 Franken, dazu kommt die viboo-Regelung für 1 Franken pro Thermostat und Monat. Die Lösung ist kostengünstig, schnell und ohne Umbauten installiert. Das macht sie ideal für unsanierte Altbauten und generell für Häuser mit fossilen Heizungen. Denn mit der optimierten Regelung lassen sich CO2-Emissionen sofort reduzieren – während bis zur energetischen Sanierung und zum Heizungsersatz unter Umständen noch viele Jahre verstreichen.

Ein Mann montiert einen Thermostatregler an einem Heizkörper
Innerhalb von wenigen Minuten ersetzt ein Installateur einen analogen durch einen smarten Thermostaten. (Foto: Empa)

Grosses Effizienzpotenzial in Bestandsbauten

Da die Mehrheit der Schweizer Gebäude immer noch über Öl- oder Gasheizungen verfügt und viele Bauten zudem unzureichend gedämmt sind, ist das Potenzial für Einsparungen bei Energieverbrauch und CO2-Emissionen immens. Auf 20 bis 40 % beziffern die viboo-Schöpfer das Energiesparpotenzial ihrer vorausschauenden Regelung gegenüber herkömmlichen analogen Thermostaten. Im Vergleich zu herstellereigenen Algorithmen von smarten Thermostaten sind es 10 bis 15 %. Das haben Testläufe in mehreren Wohn-, Büro- und Schulgebäuden gezeigt. «Ausserdem haben wir bei unseren Tests die kommerzielle Skalierbarkeit unserer Technologie bewiesen», ergänzt Felix Bünning.

Die tatsächlichen Einsparungen hängen neben weiteren Faktoren vom jeweiligen Gebäude ab. In einem noch nicht energetisch sanierten Gebäude ist das Sparpotenzial aufgrund des hohen Wärmebedarfs grösser als in einem energieeffizienten Bau. Aber auch in letzterem ist eine optimierte Regelung wertvoll – punkto thermischen Komforts, aber auch aus Effizienz- und damit Kostengründen. Zumal die angestrebte flächendeckende Versorgung mit erneuerbaren Energien einfacher umzusetzen sein wird, wenn weniger davon benötigt wird.

Selbstlernendende Algorithmen fürs Energiemanagement

KI kann nicht nur Heizungen und andere Gebäudetechnik regeln, sondern auch das Energiemanagement übernehmen. Sie könnte beispielsweise in Gebäuden mit Photovoltaikanlage den Eigenverbrauch optimieren. Auch könnte KI Defekte, Störungen und Fehlfunktionen in Gebäudetechnikanlagen und -installationen frühzeitig erkennen.

Eine Grafik zeigt die Faktoren, welche eine KI-Steuerung für das Energiemanagement eines Hauses mit PV-Anlage einbezieht: Uhrzeit, Sonnenscheindauer, Stromtarif, Elektroauto, Temperatur im Heisswasserspeicher, Aussentemperatur
Eine KI-Steuerung kann das Energiemanagement optimieren, indem sie verschiedene Faktoren wie Klimadaten und den aktuellen Stromtarif einbezieht und aus dem Nutzerverhalten lernt. (Grafik: Empa)

Mehrere Schweizer Städte und Gemeinden setzen die viboo-Regelung bereits in ihren Gebäuden ein. Bisher ist die Lösung ausschliesslich für öffentliche Auftraggeber sowie für B2B-Kunden erhältlich. Private müssen sich noch ein wenig gedulden. Und bis dahin noch selbst vorausdenken und am Thermostat drehen.