Biogas: wertvolle Energie aus Gülle und Mist

Rund 120 Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz wandeln Gülle und Mist in Biogas um und tragen so zur Versorgungssicherheit bei. Um das Potenzial künftig besser nutzen zu können, müssen noch einige Hürden gemeistert werden.

8 Min.
Luftbild eines Landwirtschaftsbetriebs mit einer Biogasanlage (Tanks und Behälter in verschiedenen Grössen, am auffälligsten eine grosse runde grüne «Blase»)

Gemäss den Energieperspektiven 2050+ werden in knapp 30 Jahren die Wasserkraft (45 TWh) und die Solarenergie (34 TWh) den Grossteil des hierzulande benötigten erneuerbaren Stroms bereitstellen. Eine weitere erneuerbare Energiequelle wirkt da schon fast vernachlässigbar: Die Produktion aus Biomasse soll dannzumal 1,4 TWh generieren. Im Gegensatz zu Solar- und Windenergie ist Biomasse aber gut speicherbar und bietet damit einen wichtigen Vorteil, weil daraus jederzeit Strom produziert werden kann.

Heute existieren in der Schweiz mehr als 600 Anlagen, die Biogas produzieren. Ein Teil davon wird aus 42 Anlagen direkt ins Erdgasnetz eingespeist, der Rest über die sogenannte Wärme-Kraft-Kopplung (WKK) in Strom und Wärme umgewandelt. Ein Grossteil der Anlagen gehört zu Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Daneben bestehen aber auch rund 120 Anlagen auf Landwirtschaftsbetrieben. Wie dort die Biomassenutzung in der Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel des Holzhofs im thurgauischen Amlikon-Bissegg.

Bauernhof mit Biogasanlage

Bereits seit mehr als 20 Jahren versorgt ein Biogas-Kraftwerk den Landwirtschaftsbetrieb der Familie Wartmann mit Energie. Der Holzhof ist dadurch weitgehend unabhängig, wobei die Autarkie nicht der zentrale Beweggrund für den Bau des Kraftwerks war. Vielmehr ist es den Wartmanns ein Anliegen, möglichst umweltverträglich zu produzieren. Heute gelingt ihnen dies, wie ein ganz spezielles Produkt vom Holzhof zeigt: der einzige CO2-neutral hergestellte Käse der Schweiz.

Aus Gülle wird Methan

Durch die Haltung von Nutztieren entstehen Gülle und Mist. Klassischerweise wird diese Biomasse als Dünger auf den Feldern ausgebracht, wobei unkontrolliert Methan freigesetzt wird. Das hat negative Folgen für die Umwelt, denn Methan ist rund 28-mal klimaschädlicher als CO2. Auf dem Holzhof hingegen werden Gülle und Mist gesammelt und in einem gasdichten System weiterverarbeitet. Dadurch spart der Betrieb jährlich rund 700 Tonnen CO2-Äquivalente ein. Dies entspricht der Emissionsmenge, die 500 durchschnittliche Personenwagen mit Benzinmotor pro Jahr verursachen.

Die Biomasse wird in einer Grube gesammelt und vermischt. Anschliessend kommt das Ganze in einen grossen Tank, der als Fermenter oder Vergärer bezeichnet wird. Dort wandeln bei einer Temperatur von über 40 °C spezialisierte Mikroorganismen die Biomasse über ihren Stoffwechsel in Biogas um. Dessen Hauptbestandteil ist Methan, weshalb der Prozess auch als Methanisierung bezeichnet wird.

Super-Dünger entsteht

Nach einigen Wochen im Fermenter kommt die Biomasse in einen zweiten Tank, den Nachgärbehälter. Dort entsteht weiteres Biogas, bis der Methanisierungsprozess der Biomasse abgeschlossen ist – in der Regel ist das nach etwa zwei Monaten der Fall. Die übriggebliebene Biomasse ist nicht etwa nutzlos, sondern ganz im Gegenteil zu einer Art Super-Dünger geworden. Anders als der herkömmliche Hofdünger stinkt er nicht und kann nach dem Ausbringen besser von den Pflanzen aufgenommen werden, weil er flüssiger ist.

Der Stickstoff und der Phosphor im Dünger bleiben bei der Methanisierung erhalten, der Anteil an schnell verfügbarem Stickstoff steigt sogar, während sich der mittelfristig verfügbare Stickstoff reduziert. Dadurch können die Futterpflanzen den Dünger rasch aufnehmen und dienen später den Nutztieren des Holzhofs wieder als Nahrung. Über deren Verdauung beginnt der Kreislauf anschliessend von Neuem.

Schema des Produktionsablauf vom Stall/Misthaufen über eine Vorgrube in den Fermenter, weiter in den Nachgärbehälter/Gasspeicher bis zu Gärmist und Gärgülle, die wieder ausgebracht werden
So funktioniert die Methanisierung: Aus Biomasse entsteht in mehreren Schritten Biogas, das zur Strom- und Wärmeproduktion sowie für die Mobilität genutzt werden kann. (Grafik: Ökostrom Schweiz)

Strom für 1000 Haushalte

Jedes Jahr setzt der Holzhof rund 20’000 Tonnen Biomasse für die Methanisierung ein. Das gewonnene Biogas wird auf verschiedene Art und Weise verwendet. Ein Gasmotor wandelt einen Grossteil in Strom um. Die Netto-Jahresproduktion liegt bei 5 GWh, was dem Bedarf von rund 1000 Haushalten entspricht. Ein Teil des Stroms wird vor Ort für den Bedarf des Hofs genutzt, der Rest ins öffentliche Netz eingespeist. Die bei der Stromgewinnung entstehende Abwärme (jährlich rund 5,5 GWh) hat ebenfalls ihren Wert: Dank ihr kann sich der Holzhof selbst im Winter zu 100 Prozent selbst versorgen. Die thermische Energie sorgt für die Beheizung der Gebäude auf dem Areal und für die Erwärmung der Fermenter.

CO2-neutraler Käse

Die Wärme lässt sich auch bei der energieintensiven Käseherstellung einsetzen. So kann der Holzhof weitere Treibhausgasemissionen einsparen, denn üblicherweise stammt die thermische Energie von einem heizöl- oder gasbetriebenen Dampfkessel. Nur der Milchtransport und gewisse Zusatzprodukte wie Reinigungsmittel und Verpackungsmaterial verursachen noch Emissionen. Der Holzhof kann diese aber mit CO2-Zertifikaten aus der eigenen Überproduktion kompensieren und so schon heute sagen, dass sein Käse CO2-neutral hergestellt wird. Geplant ist zudem, mittelfristig die Transport- und Zugfahrzeuge des Hofs von fossilem Treibstoff auf Biogas umzurüsten und damit die Emissionen weiter zu reduzieren.

Biogasanlagen auf nationaler Ebene

Biogasanlagen können also auf lokaler Ebene Treibhausgasemissionen reduzieren und die Energieversorgung sicherstellen. Welche Bedeutung haben sie für das Schweizer Energiesystem insgesamt? Welche Hürden sind noch zu meistern, um den angestrebten Ausbau zu realisieren?

Beitrag zum Netto-Null-Ziel

Die 120 landwirtschaftlichen Biogasanlagen in der Schweiz setzen auf die Erzeugung von Strom. Dabei sind sie unabhängig vom Wetter und von der Jahreszeit und können auf kurzfristigen Bedarf reagieren. «Die Anlagen unterstützen damit die Netzstabilität und leisten vor allem im Winter einen wichtigen Beitrag zur erneuerbaren Stromproduktion», sagt Stefan Mutzner von Ökostrom Schweiz, dem Fachverband für landwirtschaftliches Biogas. Die Jahresproduktion der Anlagen betrug 2022 etwas mehr als 200 GWh Strom und etwa 120 GWh Wärme. Im Hinblick auf das Schweizer Netto-Null-Ziel sind sie zudem wichtig, weil sie das klimaschädliche Methan zu nutzbarer Energie umwandeln und fossiles Erdgas oder Heizöl ersetzen können. So reduzieren die Biogasanlagen die Treibhausgasemissionen gleich doppelt. Gemäss Ökostrom Schweiz erbrachten die landwirtschaftlichen Biogasanlagen 2021 allein durch die Verwertung der Hofdünger im gasdichten System eine Reduktionsleistung von rund 82’000 Tonnen CO2-Äquivalenten. Das entspricht dem CO2-Ausstoss, den 35’000 Menschen verursachen, die von Zürich nach New York fliegen.

Keine Förderung für Gaseinspeisung

Stromproduzierende Biogasanlagen werden heute beim Bau mit Investitionskostenbeiträgen von bis zu 50 Prozent und einem Betriebskostenbeitrag für die Stromeinspeisung ins öffentliche Netz gefördert. Längerfristig soll die sogenannte «gleitende Marktprämie» die Gestehungskosten einer Anlage decken, wie es früher durch das Einspeisevergütungssystem «KEV» erfolgte.

Anders die Situation bei Biogasanlagen, die das Gas ins Netz einspeisen – sie erhalten heute keine staatliche Unterstützung. Mit der Umsetzung des CO2-Gesetzes könnte sich dies ändern, ein erster Entwurf sieht entsprechende Beiträge vor. Um die Biogaseinspeisung ins öffentliche Gasnetz voranzutreiben, wäre eine solche Förderung wichtig. Bisher besteht gemäss Mutzner das Problem, dass die Abnehmer oft nicht bereit sind, für das Biogas jenen Preis zu bezahlen, der zur Deckung der Gestehungskosten nötig wäre. Deshalb fehlt die Investitionssicherheit für den Bau von Anlagen, die Biogas einspeisen. Das hängt auch damit zusammen, dass der Import von Biogas günstiger ist und viele Gasversorger daher auf ausländische Biogaszertifikate setzen, statt den Ausbau hierzulande zu fördern.

Hinweistafel auf eine Gasleitung vor dem Hintergrund der Schweizer Berge
Das Einspeisen von einheimischem Biogas ins Erdgasnetz wird heute noch kaum gefördert. (Foto: VSG)

Potenzial besser nutzen

«Als Fachverband setzen wir uns dafür ein, dass die ökologischen und sozialen Anforderungen der Schweizer Gesetzgebung für den Import von Biogaszertifikaten und deren Anerkennung weiterhin erfüllt sein müssen», sagt Mutzner. «So liesse sich das einheimische Biogaspotenzial, das gemäss wissenschaftlichen Studien zwischen 4 und 6 TWh liegt, deutlich besser und schneller erschliessen.» Die Landwirtschaft könnte stark zum Ausbau beitragen, denn von den jährlich anfallenden 22 Millionen Tonnen Hofdünger werden aktuell weniger als 5 Prozent für die Biogasproduktion genutzt. Andere Länder wie Deutschland mit einem Anteil von 30 Prozent und Dänemark mit 40 Prozent sind da deutlich weiter. Dass nebst landwirtschaftlicher Biomasse auch Rest- und Abfallstoffe für die Biogasherstellung eingesetzt werden, schliesst Mutzner nicht aus. Der grösste Teil der organischen Reststoffe, die nicht aus der Landwirtschaft stammen, wird jedoch bereits energetisch genutzt. Der Zubau wird sich somit auf ausschliesslich mit Hofdünger betriebene Anlagen beschränken. Mutzner ergänzt: «Der Anbau von Energiepflanzen speziell für die Energieproduktion ist in der Schweiz faktisch untersagt. Es darf keine Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion geben.»

Wie Biogas produziert und genutzt wird

Biogas ist teuer

Dass das Einspeisen von Strom aus Biogasanlagen für das Schweizer Energiesystem vor allem im Winter wertvoll ist, dürfte weitgehend unbestritten sein. Debattiert wird jedoch immer wieder, ob Biogas für die Wärmeversorgung von Gebäuden eingesetzt werden soll oder nicht. Zurecht lässt sich argumentieren, dass dafür auch andere erneuerbare Systeme wie Fernwärme oder Wärmepumpen infrage kommen. Stattdessen könnte das Biogas zum Beispiel für Hochtemperaturanwendungen in der Industrie verwendet werden, die sich sonst kaum dekarbonisieren lassen. «Biogas als Brennstoff für industrielle Prozesse oder als Treibstoff für Kraftfahrzeuge wäre sinnvoll und wünschenswert», bestätigt Mutzner. «Leider ist Biogas im Vergleich zu fossilem Erdgas teurer, sodass die Verbraucher in der Regel darauf verzichten.»

Zwei LKW mit grünen Blättern als Aufdruck auf dem Führerstand stehen auf einer Landstrasse, über der Kabine ist ein Schriftzug "Véhicule Ecole" angebracht.
Eine LSVA-Teilbefreiung würde den Einsatz von Biogas im Schwerverkehr deutlich attraktiver machen. (Foto: Scania)

LSVA-Teilbefreiung oder höhere CO2-Abgaben?

Das ist Mutzner zufolge insofern nachvollziehbar, als dass die Energiekosten einen grossen Anteil an den Produktionskosten ausmachen, die in der Schweiz sowieso schon sehr hoch sind. Je weniger Biogas allerdings im Inland produziert wird und jederzeit verfügbar ist, desto anfälliger ist die Schweizer Industrie in schwierigen Versorgungslagen. Es bräuchte also Förderanreize, damit die hiesige Industrie und Transporteure auf einheimisches Biogas umsteigen. Würde beispielsweise eine LSVA-Teilbefreiung für erneuerbare Treibstoffe eingeführt, wäre Schweizer Biogas-Treibstoff auf einen Schlag eine willkommene Alternative für Kraftfahrzeuge. Im Bereich Brennstoffe könnten alternativ durch höhere CO2-Abgaben gleich lange Spiesse zwischen Erd- und Biogas geschaffen werden.

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  • Kritisch

    Vor 7 Monaten

    Es ist sicher gut, das Methangas nicht auf den Feldern verdunsten zu lassen. Allerdings entsteht daraus nach der Verbrennung (z.B. bei der Stromerzeugung) auch wieder CO2. Weshalb wird hier von CO2-neutral gesprochen, wenn beim Prozess CO2 erzeugt wird?
    Zudem erzeugen die Rinder auch direkt treibhausgasrelevante Gase, die direkt in die Luft entweichen und nicht als Mist oder Gülle anfallen.

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    • Remo Bürgi

      Vor 7 Monaten

      Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Die im Artikel beschriebenen Prozesse sind Teil des kurzfristigen CO2-Kreislaufs. Das durch die Verbrennung entstehende CO2 stammt aus Biomasse und wird in der nachwachsenden Biomasse wieder gebunden. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erhöht sich nicht, daher ist dieser Kreislauf CO2-neutral.
      Dass das Nutzvieh auch Treibhausgase erzeugt, die direkt entweichen, ist natürlich richtig. Um das zu verhindern, müsste man auf die Nutztierhaltung verzichten – das wäre aber ein anderes Thema als die Biogasproduktion.

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    Robert Hofer

    Vor 3 Monaten

    Wichtig scheint mir, wenn Biogas verstromt wird, nicht Bandstrom zu erzeugen sondern damit die Solarenergie zu glätten, also Nachtstrom/Winterstrom zu produzieren, und dies primär in Fernheizwerken, damit ein maximaler Wirkungsgrad erzeugt werden kann.

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